Nude young couple between plants in the forest
Miguel Frias / Westend61
Miguel Frias / Westend61
Ratgeber Gesundheit

Ein Nerv für Liebe ohne Leiden

Der Vagusnerv ist so etwas wie unser innerer Therapeut. Ein Nerv, der unseren Körper entspannen lässt, und uns somit ein Gefühl der Sicherheit vermittelt. Es ist jener Nerv, der Sie entspannt sitzen und in Ruhe diese Zeilen lesen lässt, weil Ihr Vagus im Moment sehr gut funktioniert, erklärt Gesundheitscoach David Reif in der ORF Radio Vorarlberg-Reihe „Reif fürs Leben“.

Sendungshinweis

„Reif fürs Leben“ – ORF Radio Vorarlberg am Vormittag, 21. Dezember 2023, 09.00 bis 12.00 Uhr

Der Vagusnerv ist einer der längsten Nerven im Körper und spielt eine wichtige Rolle bei der allgemeinen Regulation des Nervensystems. Er ist der zehnte von zwölf Hirnnerven, hat verschiedene Funktionen im Körper und ist Teil des parasympathischen Nervensystems, das für die Steuerung von Ruhe, Entspannung und Verdauung zuständig ist.

Was der Vagusnerv macht und kann

Emotionen und Stress können sich negativ auf Herz und Kreislauf auswirken und zu Krankheiten führen. Der Vagusnerv, ein Zweig des vegetativen Nervensystems, kann u.a. einen sogenannten psychogenen Herzstillstand auslösen. Er ist verantwortlich für die Versorgung des inneren Verdauungstrakts, des Herzens und der Lunge und steuert alle anderen inneren Organe. Das VNS (Vegetative Nervensystem) besteht aus drei Teilen:

  • dem Sympathikus,
  • seinem Gegenspieler dem Parasympathikus (zu dem der Vagusnerv gehört)
  • und dem Darm-Nervensystem.

Letzteres besitzt über 100 Millionen Nervenzellen (Neuronen), viel mehr als sich im Rückenmark befinden.

Der zehnte Hirnnerv hat nicht nur eine vegetative sondern auch eine motorische Funktion, nämlich eine motorische Steuerung verschiedener Organe wie z.B. Kehlkopf, Rachen und obere Speiseröhre. „Er ist der Übermittler von Geschmacksempfindungen vom Zungengrund und Berührungsempfinden aus dem Rachen, dem Kehlkopf und einem Teil des Gehörgangs“, sagt Gesundheitscoach David Reif fasziniert vom Vagusnerv.

Flucht, Kampf oder Schockstarre?

Just in diesem Moment ist die Welt in Ordnung. Lesend sitzt man vermutlich in einem gemütlichen Sessel, oder auf der Couch, zu Hause, im Öffi oder in einem Café. Hintergrundgeräusche sind vielleicht zu hören: Autoverkehr, Vogelgesang, Geschirr klappern oder leise Musik. Oder komplett was anderes, was keine Rolle spielt. Da unser Hirn diese Alltagsgeräusche kennt, schenkt es ihnen kaum sonderliche Beachtung. Doch während ihre Augen Zeile für Zeile lesen, oder eventuell ein Stück Torte auf der Zunge zergeht, beobachtet ihr Unterbewusstsein mit perfektionistischer Verlässlichkeit laufend die Umgebung. Im steten Abgleich mit dem Gehirn. Jedes Geräusch wird kontrolliert. Autos, Hupen, Verkehrslärm? Kenne ich, ist ungefährlich. Torte, superfein, bitte mehr davon, ungefährlich. Aktuell wäre die Umgebung also sicher. Wenn aber plötzlich ein Hilferuf ertönt, dann würden wir aufspringen und auf die Gefahr reagieren. Autonom würden die Alarmsysteme im Körper aktiviert werden, was sich zeigt durch: Umherschauen, Muskulatur spannt sich an, man macht sich kampf- oder fluchtbereit (Fight or Flight), das Herz würde schneller schlagen, und vermutlich wäre man schon auf der Suche nach der Ursache.

Doch genau in diesem Moment scheint sich das Gehirn an etwas zu erinnern, was uns in Schockstarre versetzt und uns nicht aufstehen lässt. Wir picken förmlich im Sessel, und Furcht ist der Klebstoff. Im Körper und im Gehirn macht sich über den Vagusnerv das Panikprogramm breit, welches die Entscheidung steuert in den Todstellreflex zu wechseln. Wer weiß denn schon, was da im Hausflur geschehen ist? Könnte potenziell gefährlich sein. Ganz gespannt, oder aufgeregt? Oder gar in Schockstarre? Alle drei Zustände sind zwar autonom, also vom Körper selbst gesteuert, aber vor allem physiologische Reaktionsmuster des Körpers. Wir passen uns so unserer Umgebung und an die aktuellen Umstände an, auch adaptive Reaktionsmuster genannt. Sie helfen uns beim Überleben.

Wir regulieren und sortieren diese Muster in unser Zeitgeschehen oder reagieren mit verschiedenen Überlebensstrategien: Irgendwie durchkommen, Hauptsache überleben! Leider passiert es zu oft, dass Menschen in diesem Reaktionsmuster regelrecht stecken bleiben. Dann bleibt nur noch Flucht, der Kampf oder langfristige Starre, die sich als Depression manifestiert. Das autonome Nervensystem wird durch unverhoffte Ereignisse irritiert oder gar blockiert. In den meisten Fällen fühlt man sich in gewissen Zuständen gefangen, und es gibt kein Entrinnen. Und im Leben gibt es viele unverhoffte, unvorhersehbare, heftige Einschnitte. So ist das Leben eben: ein steter Wechsel von Auf und Ab.

Wohlbefinden und Symptome eines geschwächten Vagusnervs

Der Vagusnerv ist ein langer Nerv, der vom Hirnstamm bis in den Bauchraum reicht und zu verschiedenen Organen wie Herz, Lunge und Magen-Darm-Trakt abzweigt. Da er zum parasympathischen Nervensystem gehört, hat er eine beruhigende Funktion für den Körper. Die Stimulierung des Nervs führt zur körperlichen Entspannung.

Der Vagusnerv besteht aus ca. 100.000 einzelnen Nervenfasern, die die einzelnen Organe durchziehen. Dies beschreibt auch der Name Vagusnerv: Vagus stammt aus dem Lateinischen und bedeutet „umherschweifen“.

Der Vagusnerv ist der wichtigste Teil des parasympathischen Nervensystems. Da er den Großteil der Körperfunktionen steuert, ist es nicht verwunderlich, dass er für unser Wohlbefinden essenziell ist. Wenn der Vagusnerv geschwächt ist, nimmt der Sympathikus überhand, was viele Beschwerden nach sich ziehen kann.

Folgende Symptome sind mit Problemen des Vagusnervs assoziiert:

  • Depressionen
  • Verringerte Herzratenvariabilität
  • Verdauungsprobleme
  • Sodbrennen
  • Angstzustände
  • Chronische Entzündungen
  • Müdigkeit und Abgeschlagenheit
David Reif, Dipl. psych. GuKP, Gesundheitstipps ORF Radio Vorarlberg
David Reif
Diese sechs Übungen empfiehlt David Reif ist Dipl. psych. GuKP und Coach

Den Selbstheilungsnerv aktivieren und stärken

1. Mit Atmung den Vagusnerv stimulieren. Das Bauchatmen. Leg deine Handflächen auf den Bereich deines Magens. Atme tief ein und wieder aus, sodass du fühlst, wie dein Bauch sich hebt und senkt. Lass deine Hände mit sanftem Druck ein wenig auf deinem Bauch kreisen. Atme etwa eine Minute auf diese Weise ein und wieder aus. Mache eine kurze Pause und wiederhole diesen Prozess.

2. Yoga-Übungen für den Vagus Nerv. Übung für dich, um den Geist zu entspannen: Leg dich auf den Rücken, Beine anwinkeln, Füße stehen hüftbreit auseinander. Die Hände liegen entspannt neben dem Körper. Nun das Becken langsam anheben. Die Oberschenkel bilden eine Linie mit dem Oberkörper. Oberschenkel, Knie, Waden und Gesäß anspannen, die Bauchmuskeln bleiben hingegen locker. 10 bis 15 Sekunden halten, anschließend Hüften langsam auf den Boden sinken lassen. Dreimal wiederholen. Dabei atmest du beim Anheben des Beckens und während des Haltens bewusst ruhig aus, sobald du die Muskelspannung lockerst, atmest du ruhig ein. Diese Übung beruhigt Geist, Nerven und Körper.

3. Massagen. Du kannst an verschiedenen Körperstellen den Vagusnerv durch Streicheln oder sanfte Massagen aktivieren. Eine dieser Stellen liegt an deinem Hals. Der Vagus Nerv verläuft in der Nähe der Halsschlagader, sprich seitlich an deinem Hals. Daher kannst du diesen mit einer sanften Halsmassage sehr gut aktivieren. Das wichtige Stichwort ist hier sanft, denn zu viel Druck ist eher unangenehm. Hier musst du für dich ausprobieren, welcher Druck für dich am besten passt. Beginn am besten, indem du deinen Hals sanft ohne Druck streichelst, spüre in dich hinein und fühle, was dir gefällt und gut tut. Als Nächstes kannst du beginnen, mit deinen Fingerspitzen sanft deinen Hals zu streicheln und langsam mit mehr Druck zu arbeiten. So gehst du langsam von Streicheln in die punktuelle Massage über. Bitte immer nur so viel machen, wie du als angenehm empfindest, bei zu viel Druck reagiert dein Körper mit Anspannung und Schmerzen und das ist genau das Gegenteil von dem, was du eigentlich möchtest.

4. Meditation. Meditieren ist Entspannung pur und aktiviert deinen Vagus-Tonus. Meditieren mit einem Mantra: Suche dir ein Wort, dein Mantra, aus. Dabei ist es völlig egal, was für ein Wort du wählst. Gut geeignet sind kurze Wörter, wie beispielsweise das Wort „Ruhe“. Setze dich nun aufrecht hin, auf einen Stuhl oder ein Meditationskissen. Schließe die Augen. Atme einige Male langsam ein und aus. Sag dein Mantra nun ein paar Mal leise oder nur in Gedanken vor dich hin. Danach konzentriere dich weitere 15 bis 20 Minuten auf dein Wort und spüre seinem Klang nach. Öffne anschließend deine Augen, rekele und strecke dich und komme wieder ganz im Hier und Jetzt an.

5. Sport zur Vagusnerv-Aktivierung. Mediziner raten bei vielen psychischen und neurologischen Beeinträchtigungen oder Problemen dazu, Sport in Maßen auszuüben. Denn Untersuchungen zeigen, dass regelmäßiges Training einer Sportart, die Spaß macht, sich positiv auf dessen Psyche auswirken kann. Sport machen hilft nicht nur um fit zu bleiben, er sorgt auch dafür, dass Menschen sich wohl fühlen. Daher ist es sinnvoll, sich eine Sportart zu suchen, die man gerne und regelmäßig ausüben kann, um so den Vagus-Tonus zu aktivieren.

6. Kälte und Wärme. Die Dusche am Morgen hilft beim Aufwachen und das noch mehr, wenn du die Temperatur mal etwas tiefer einstellst. Brrr, da bleibt dir glatt die Luft weg? Atme langsam aus und du merkst, dass die Kälte leichter zu ertragen ist. Die Kälte hilft dir tatsächlich, denn der Vagus Nerv reagiert auch auf Temperaturreize. Aber keine Sorge, neben Kälte hilft auch Wärme dabei, deinen Vagusnerv zu aktivieren. Hierfür kannst du einmal den Gang in die Sauna ausprobieren, ob du dich bei der Hitze wohlfühlst und dich danach entspannter fühlst. Bei Vorerkrankungen das ärztliche Okay einholen.

Frau singt in der Küche mit Kochlöffel als Mikro
JustLife – stock.adobe.com
Yoga, kalt duschen oder singen. Der Vagusnerv kann nach Belieben aktiviert werden.

Der Vagusnerv verbindet das Gehirn mit dem Bauchraum und kann so Reize an viele Körperregionen weiterleiten. Wer es schafft, diesen weitverzweigten Hirnnerv zu aktivieren, kann in vielen körperlichen Belangen, etwa der Verdauung oder der psychischen Gesundheit, positive Reize setzen. „So kannst du es bei einem guten Vagus-Tonus schaffen, nach einem stressigen Erlebnis schneller wieder zu entspannen und dich zu beruhigen. Probiere aus, was dir gut tut, und welche Gewohnheiten sich in deinen Alltag integrieren lassen“, rät Gesundheitscoach David Reif allen, denen er in der Therapie oder Rehabilitation begegnet.