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Ratgeber Gesundheit

Das zweite Gehirn

Der Darm enthält mehr Nervenzellen als das Rückenmark und gilt als „Bauchgehirn“, sagt Gesundheitsexperte David Reif in der ORF Radio Vorarlberg-Reihe „Reif fürs Leben“. Ein dichtes Netz an Nervenzellen sorgt für Wechselwirkungen zwischen Verdauung und seelischem Befinden.

Sendungshinweis

„Reif fürs Leben“ – ORF Radio Vorarlberg am Vormittag, 14. Dezember 2023, 09.00 bis 12.00 Uhr

Der Darm verdaut, stellt Energie bereit, beteiligt sich an der Immunabwehr und ist für die Ausscheidung sowie die Entgiftung unseres Körpers zuständig. Das hochsensible Organ reagiert auf mangelhafte Ernährung, aber auch auf psychische Belastungen mitunter mit Durchfall, Blähungen oder Verstopfung.

Nicht nur als wichtiger Teil unserer allgemeinen Gesundheit ist der Darm auf komplexe Weise mit anderen Funktionen des Körpers verbunden. Erkrankungen anderer Organsysteme können zu Störungen des Darmkomplexes führen, aber auch umgekehrt können Störungen des Darms zu Symptomen an anderen Organen führen. Weiters ist der Darm auch Quelle mancher psychoaktiven Substanzen, die die Gemüts- und Stimmungslage beeinflussen.

David Reif, Dipl. psych. GuKP, Gesundheitstipps ORF Radio Vorarlberg
David Reif
David Reif ist Dipl. psych. GuKP und Coach

Die Unentbehrlichkeit der Darmbakterien

Im Darm lebt bei jedem gesunden Menschen eine unvorstellbare Zahl von Bakterien. Schon in einem Milliliter Dickdarminhalt finden sich bis zu einer Billion dieser winzigen Organismen. Ihre Gesamtheit nennt sich Darmflora. Die Mikroben sind ein unentbehrlicher Bestandteil des Verdauungssystems und haben noch eine weitere wichtige Funktion. Sie produzieren das lebenswichtige Vitamin K, das der Körper selbst nicht herstellen kann, das er jedoch für die Bildung bestimmter Eiweißstoffe im Blut und im Knochen dringend benötigt.

Wenn sich die Mikroorganismen in ausgewogenem Verhältnis befinden, bezeichnen wir die Darmflora als gesund. Kommt es zu Störungen in der Darmflora, werden diese kurzfristig von den Darmbakterien behoben. Sind die Schädigungen jedoch massiv, können sich schädliche Keime ausbreiten und entzündliche Erkrankungen verursachen.

Krankheiten zeigen sich zuerst im Darm

  • Verstopfung
  • Darmträgheit
  • Durchfall
  • Analfissur (Einriss der Haut- oder Schleimhaut des Afters)
  • Hämorrhoiden
  • Reizdarm
  • Blähbauch (Gasbauch oder Meteorismus)
  • Darmentzündung
  • Darmpilze
  • Polypen im Darm
  • Morbus Crohn (chronisch entzündliche Darmerkrankung)
  • Colitis ulcerosa (chronisch entzündliche Darmerkrankung, nur Dickdarm)
  • Blut im Stuhl
  • Darmkrebs

„Viele Krankheiten, die sich vermeintlich im Kopf abspielen, lassen sich im Darm nachweisen“, sagt Gesundheitscoach David Reif, der solche Probleme aus seiner Arbeit im Krankenhaus und in der Rehabilitation kennt. So führt eine verminderte Produktion des Hormons Serotonin zu Schlafproblemen, Angstzuständen und Depressionen. Bei Parkinson konnte man eine Verbindung zu Nervenschädigungen im Darm feststellen. Und auch bei Multipler Sklerose (MS) scheint der Darm eine Rolle zu spielen. Bei Adipositas kann z.B. das Ausschütten der Sättigungshormone gestört sein. Oder das Gehirn versteht das Signal „satt“ nicht. Eine Diät schafft dann auch keine Abhilfe. Auch bei einem überempfindlichen Darm, dem sogenannten Reizdarmsyndrom, vermutet man unter anderem eine Störung der Darm-Hirn-Achse als mögliche Ursache.

Das Reizdarmsyndrom verursacht Bauchschmerzen, Krämpfe, Blähungen und Stuhlgang. Obwohl die genauen Ursachen noch nicht vollständig bekannt sind, geht man davon aus, dass Störungen in der Kommunikation zwischen dem Darm und dem Gehirn eine Rolle spielen.

Die Bauch-Leber-Hirn-Achse
Institut Allergosan
Die Darmflora beeinflusst auch das Immunsystem des Gehirns

Wie der Darm mit dem Hirn kommuniziert

Die Kommunikation zwischen dem Darm und dem Gehirn erfolgt über ein komplexes Netz von Nerven, Hormonen und Neurotransmittern. Das enterische Nervensystem, das sich in der Darmwand befindet, spielt eine entscheidende Rolle bei der Weiterleitung von Signalen an das Gehirn. Außerdem produziert der Darm eine Reihe bioaktiver Substanzen, die sich direkt auf die Stimmung und die kognitiven Funktionen auswirken.

Der Darm verdaut nicht nur unsere Nahrung, er kommuniziert auch mit unserem Gehirn. Und beeinflusst vermutlich unsere Gemütslage. Aber wie funktioniert dieser heiße Draht genau?

Denken, bewegen, atmen oder verdauen – das alles passiert scheinbar von ganz allein. Aber nur scheinbar. Denn für alle diese Prozesse sind unzählige Nervenverbindungen notwendig, vom Gehirn in den Körper und andersrum. Würde das Gehirn alles selbst steuern, wäre es sehr schnell überlastet. Deshalb setzt das Nervensystem auf Arbeitsteilung. Zunächst unterteilt es sich in einen zentralen und einen peripheren Bereich.

  • Das zentrale Nervensystem umfasst das Gehirn und das Rückenmark, gilt als Schaltzentrale des Körpers, koordiniert und reguliert sämtliche Abläufe. Damit verbindet das Gehirn das Innere mit der äußeren Umgebung und ermöglicht uns, auf Veränderungen zu reagieren. Das heißt: Wir nehmen mit unseren Sinnen die Umwelt wahr und können auf Reize reagieren.
  • Das periphere Nervensystem umfasst alle Nerven außerhalb von Gehirn und Rückenmark. Es unterteilt sich weiter ins somatische und ins vegetative Nervensystem. Den somatischen Teil kann man willentlich beeinflussen. So liefert dieser dem Gehirn z.B. Informationen zu Muskeln und Gelenken, steuert damit die Bewegung. Über das vegetative Nervensystem haben wir keine Kontrolle. Dieses teilt sich in drei weitere Teile auf. Das sympathische und das parasympathische Nervensystem regulieren bei An- und Entspannung die Atmung und den Herzschlag. Das enterische Nervensystem verbindet die Verdauung und somit den Darm mit dem Gehirn.

Bauchhirn, Nahrung und die Darm-Hirn-Achse

Das enterische Nervensystem (ENS), auch Bauchhirn genannt, erstreckt sich über die gesamte Innenwand des Magen-Darm-Trakts (Magen – Anus), und besteht aus verschiedenen Nervenzellen:

  • Sensorische Nervenzellen nehmen Reize wahr
  • Interneurone vermitteln und entscheiden, ob Reflexe aktiviert oder gehemmt werden sollen.
  • Motoneuronen führen schließlich die Befehle aus.

Diese Informationen leitet das ENS an das Gehirn weiter. Anders als das Gehirn im Kopf erbringt jenes im Bauch aber keine kognitiven Leistungen, sondern verarbeitet nur Nervenimpulse. Und so kommunizieren Darm und Gehirn.

Die Verbindung zwischen Bauch und Kopf spürt man täglich, z.B. bei Stress. Dieser Zustand benötigt viel Energie, welche bei der Verdauung eingespart wird. Heißhungerattacken, Appetitlosigkeit, Verstopfung oder Durchfall sind die Folgen. Aber auch in unserer Sprache hat die Darm-Hirn-Achse einen festen Platz, wie die folgenden Sprichwörter zeigen:

  • Verliebte haben Schmetterlinge im Bauch
  • Ein flaues Gefühl im Magen
  • Auf den Magen schlagen
  • Aus dem Bauch heraus entscheiden

Essen schonend zubereiten

Empfohlen wird schonend zubereitete Nahrung, z.B. gedämpftes Gemüse, fettarme Fische, Fleisch nur in kleinen Mengen und keine blähenden Hülsenfrüchte. Bitterstoffe von Löwenzahnblätter, Artischocken, Kümmel, Fenchel und Wermutkraut bewirken kleine Wunder. Dass bei entzündlichen Darmerkrankungen oder Reizdarmsymptomen nicht nur die Ernährung sondern auch Psychohygiene wichtig ist, legt man allen Betroffenen ans Herz. Seelische Ausgeglichenheit ist wichtig, denn Stress, Trauer oder Angst können den Darm zusätzlich negativ beeinflussen. Verbesserungen sind häufig schon recht bald an einer klareren, glatteren Haut im Gesicht und am Körper zu erkennen. Cellulite („Orangenhaut“), Tränensäcke und Falten gehen zurück und Ausschläge, unreiner Teint und Pigmentflecken verbessern sich.

The Photo Of Large Intestine Is On The Woman’s Body. People With Stomach Ache Problem Concept. Female Anatomy Reizdarm
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Mit einfachen Mitteln können viele Magen- und Darmprobleme vermieden werden

Tipps für eine gesunde Verdauung

  • Wenig Fast Food, denn das kann zu chronischer Verstopfung führen. Harter Stuhl erhöht das Risiko für Darmerkrankungen
  • Eine ballaststoffreiche Ernährung (mit Roggenmehl statt Weißmehl, Obst, Gemüse, Nüssen, Müsli, eingeweichten Trockenfrüchten, Floh- und Leinsamen) macht den Darm aktiver
  • Bei Durchfallanfälligkeit viel Trinken (Wasser oder ungesüßten Tee) und Mineralstoffe zu sich nehmen
  • Bewegung regt den Stoffwechsel an und reguliert den Stuhlgang
  • Kalt gepresste Pflanzenöle liefern wertvolle ungesättigte Fettsäuren und Vitamin E. Besonders wertvoll für eine krebsvorbeugende Ernährung sind zudem Omega-3 Fettsäuren. Sie stecken in fettem Seefisch, aber auch in Lein-, Rapskern- und Walnussöl.
  • Wenig rotes Fleisch und Wurst essen, stattdessen mehr Fisch oder Tofu
  • Milchsaure Lebensmittel wie Naturjoghurt, Kefir und saure Molke beinhalten hilfreiche Milchsäurebakterien, die auch der Darmflora gute Dienste leisten.

„Alle Nahrungsmittel sollten gründlich gekaut und eingespeichelt werden, weil die Verdauung bereits im Mund beginnt“, sagt Gesundheitscoach David Reif, für den die Ernährung jener Teil unserer Gesundheitsvorsorge ist, den wir einfach aber mit großer Wirkung beeinflussen können.