Polizei Absperrband am Tatort – BH Dornbirn
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Chronik

349 Tage später: BH-Mordprozess beginnt

Ein solches Verbrechen hat es bisher nicht in Vorarlberg gegeben. Ein Mann wurde bei der Arbeit von einem Kunden getötet. Der Mord am Leiter der Sozialabteilung der Bezirkshauptmannschaft (BH) Dornbirn schockierte im Februar 2019 das ganze Land. Ab Montag wird sich der mutmaßliche Täter dafür vor Gericht verantworten müssen.

Der 34-jährige mutmaßliche Täter hatte am 6. Februar 2019 kurz nach 15.00 Uhr die Sozialabteilung der Bezirkshauptmannschaft betreten und dort einen Streit mit dem Leiter der Sozialabteilung angefangen. Dabei zog er ein langes Küchenmesser und stach auf sein Opfer ein. Der BH-Mitarbeiter erlitt tödliche Verletzungen. Der mutmaßliche Täter flüchtete, konnte jedoch nach einer Großfahndung der Polizei festgenommen werden.

Das Motiv

Das Motiv des Angreifers blieb vorerst unklar. Klar war nur, dass der Verdächtigte mehrfach bei der Behörde vorgesprochen hatte. Die Polizei stufte die Tat sehr schnell als „kaltblütigen Mord“ ein – mehr dazu in Tödliche Messerattacke: „Kaltblütiger Mord“.
Im Zuge der Ermittlungen stellte sich das Bild für die Kriminalpolizei so dar: Das Motiv sei im Streit um Geld aus der Grundversorgung und aus Rache für das vor Jahren gegen ihn erlassene Aufenthaltsverbot zu suchen – mehr dazu in War tödliche Messerattacke ein Racheakt?.

Der mutmaßliche Täter

Beim mutmaßlichen Angreifer Soner Ö. handelt es sich um einen in Vorarlberg aufgewachsenen Asylwerber mit türkischer Staatsbürgerschaft. 2008 und 2009 waren gegen ihn Aufenthaltsverbote erlassen worden. In der Begründung des zehnjährigen Aufenthaltsverbots für den gesamten Schengen-Raum standen Zuschreibungen wie „Rückfalltäter“ und „besonders verwerfliche Charaktereigenschaft“. 2010 hatte der Mann Österreich verlassen müssen.

Das Gebäude der BH Dornbirn von außen
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In der BH Dornbirn war lange zuvor ein zehnjähriges Aufenthaltsverbot gegen den Angreifer beschlossen worden

Am 4. Jänner 2019 kam er illegal nach Österreich zurück, am 7. Jänner 2019 stellte er einen Asylantrag. Ein Asylverfahren wurde zugelassen, weil er eigenen Angaben zufolge 2015 in Syrien gekämpft und mindestens zwei türkische Soldaten getötet habe. Deshalb drohe ihm in der Türkei die Verfolgung.

15 Vorstrafen in Vorarlberg gehen auf das Konto des Verdächtigen – wegen Einbrüchen, Diebstählen, Nötigung, Drogendelikten und Körperverletzung. Zuletzt saß er zweieinhalb Jahre in Haft – mehr dazu in Einblick in Akten zu Messerattacke.

Das Opfer

Das Opfer ist der 49-jährige Leiter der Sozialabteilung in der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn. Der Lustenauer hatte zehn Jahre zuvor das Aufenthaltsverbot gegen den Angeklagten erlassen. Der 49-Jährige hinterlässt seine Ehefrau und zwei Söhne.

Kerzen bei BH Dornbirn in Gedenken an getöteten Sozialamtsleiter
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Erste Reaktionen

Der Vorarlberger Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP) brach seinen Brüssel-Aufenthalt ab. Die damalige Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) kondolierte den Hinterbliebenen und betonte, dass man nach der Tat nicht einfach zur Tagesordnung übergehen könne. Vertreter aller Parteien zeigten sich bestürzt über die Bluttat – weitere Reaktionen in Tödliche Messerattacke auf BH-Beamten.

Weit über die Landesgrenzen hinaus sorgte das Verbrechen für Aufsehen. Über 1.000 Menschen zeigten auf der Sonntagsdemo wenige Tage später ihr Mitgefühl mit einer Schweigeminute – mehr dazu in Schweigeminute für getöteten BH-Mitarbeiter.

Kerze mit Reflexionen
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Schweigeminute auf der Sonntagsdemo für den getöteten Sozialamtsleiter
Eine Frau geht durch die Sicherheitsschleuse im Eingangsbereich der BH Dornbirn auf einen Wachmann zu
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Sicherheit

Die Mitarbeiter der Bezirkshauptmannschaft wurden in den ersten Tagen vom Kriseninterventionsteam betreut. Die Sicherheitsmaßnahmen in öffentlichen Ämtern wurden verschärft – mehr dazu in Sicherheit auf dem Prüfstand. Wachebeamte, Sicherheitsschleusen und Röntgengeräte sollten das Sicherheitsgefühl der Mitarbeiter in allen BHs erhöhen. Wegen Eigen- und Fremdgefährdung wurde der mutmaßliche Täter in die Justizvollzugsanstalt Innsbruck verlegt.

Landeshauptmann Markus Wallner begrüßt Innenminister Wolfgang Peschorn.
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März 2019: Politischer Wirbel

Die Diskussion, ob der Mord hätte verhindert werden können, prägte die nächsten Wochen. Land und Bund schoben sich gegenseitig die Verantwortung zu. Übergangsinnenminister Wolfgang Peschorn erklärte wenige Monate später bei einem Besuch in Vorarlberg, dass die Behörden – rechtlich gesehen – nicht versagt hätten. Landeshauptmann Wallner betonte einmal mehr, dass Vorarlberg keine rechtliche Möglichkeit hatte, den Mordverdächtigen abzuschieben.

April 2019: Vorverurteilung?

Die Anwälte des Tatverdächtigen vermuteten mediale Vorverurteilungen und äußerten Bedenken, ob ihrem Mandanten in Vorarlberg ein fairer Prozess gemacht werden kann. Der Anwalt des Opfers dagegen rechnete mit einem fairen Verfahren – mehr dazu in Opferanwalt geht von fairem Prozess aus.

Anwälte

Die Rechtsanwälte Stefan Harg und Wilfried Weh verteidigen den Angeklagten. Anwalt Stefan Denifl vertritt die Opferseite.

Auch die verhängten Aufenthaltsverbote gegen den Tatverdächtigen in den Jahren 2008 und 2009 waren für seinen Anwalt aufgrund der Aktenlage ungültig. Eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs untermaure seine Ansicht. Beide Aufenthaltsverbote wurden deshalb angefochten – mehr dazu in Bluttat: Anwälte sprechen von „Vorverurteilung“.

Juni 2019: Zurechnungsfähigkeit

Obwohl der Mann bei der Tat einen Blutalkoholgehalt von 0,75 Promille aufwies und unter Medikamenteneinfluss stand, war er laut einem Gutachten von Psychiater Reinhard Haller zurechnungsfähig. Der Beschuldigte sei zur Tatzeit nicht psychisch krank gewesen. Vielmehr sei er schuldfähig, weil er gewusst habe, was er tat, so die Erkenntnis.

Gefängnis innen
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Der Angeklagte sitzt in der Justizanstalt in Innsbruck in U-Haft

Juli 2019: Die Lage beruhigt sich

In der Justizanstalt in Innsbruck wurde der 34-Jährige auffällig, vier Ordnungsstrafen sind dokumentiert. Erst im Juli 2019 beruhigte sich die Situation. Der Angeklagte verbrachte die Monate in einer videoüberwachten Einzelzelle.

Oktober 2019: Staatsanwaltschaft erhebt Anklage

Im Oktober erhob die Staatsanwaltschaft offiziell Anklage wegen Mordes. Die Prozesstermine wurden festgelegt. Die Verteidiger bemühten sich weiterhin um eine Verlegung ihres Mandanten von Innsbruck nach Feldkirch. Die Anwälte des Angeklagten orteten eine schwere Menschenrechtsverletzung, weil sie sich mit ihrem Mandanten unter diesen Umständen nicht optimal auf den Prozess vorbereiten könnten – mehr dazu in Nach BH-Bluttat: Prozess wohl Mitte Jänner.

Dezember 2019: Der Angeklagte wird verlegt

Vier Wochen vor Prozessbeginn wurde der Angeklagte von der Justizanstalt Innsbruck nach Feldkirch verlegt. Das sollte eine „optimale Prozessvorbereitung“ ermöglichen. Die Anstaltsleitung in Feldkirch hatte sich gegen die Verlegung ausgesprochen.

Jänner 2020: Prozess steht vor der Tür

Die Hauptverhandlung beginnt am 20. Jänner und ist für drei Tage anberaumt. Der Angeklagte gibt zu, den Sozialamtsleiter der BH Dornbirn getötet zu haben, bestreitet aber, das vorsätzlich getan zu haben – mehr dazu in BH-Bluttat: Prozess beginnt am 20. Jänner.

Vorarlberg.ORF.at wird an allen drei Tagen von dem Prozess aus Feldkirch berichten.