Fast schnurgerade fließt der Alpenrhein heutzutage in den Bodensee. Das war nicht immer so: Hunderte Jahre schlängelte er sich an Liechtenstein vorbei durch das St. Galler und das Vorarlberger Rheintal. Immer wieder trat er über die Ufer, die Menschen nannten die Hochwasser damals „Rhein-Not“. Lustenau traf es mehrmals besonders schlimm.
Leben mit ständiger Hochwassergefahr
„Das war nicht so, wie wir uns das heute vorstellen, dass das Jahrhundertereignisse waren, sondern das kam in regelmäßigen Abständen“, sagt der Vorarlberger Historiker Wolfgang Weber. Er beschäftigt sich mit den damaligen Lebensbedingungen der Menschen im Rheintal. So wurden auch die Häuser der ständigen Hochwassergefahr angepasst: Im unteren Teil waren in der Regel keine Wohnmöglichkeiten, sondern Arbeitsmöglichkeiten untergebracht, erklärt Weber. „Und so haben die Menschen gelernt, mit diesem Hochwasser zu leben.“
Die Folgen waren immer wieder hart: Fäulnis und Missernten, weil die Felder überflutet waren. Noch problematischer sei das Ganze durch die schlechte medizinische Versorgung gewesen, so Weber. Es gab nur wenige Ärzte – und selbst, wenn ein Arzt im Ort war, konnten sich diesen viele schlichtweg nicht leisten.
100 Jahre Alpenrhein-Durchstich
Bettina Prendergast beschäftigt sich in ihrem Film damit, wie der Alpenrhein das Leben der Menschen in den vergangenen 100 Jahren dominiert und verändert hat. Sie blickt auch in die Zukunft. Der Alpenrhein soll angesichts der Klimakrise noch sicherer und aus seinem starren Flussbett befreit werden.
Eine der größten Baustellen Mitteleuropas
Die Habsburger Monarchie und die Schweiz einigten sich, den Alpenrhein zu begradigen. Es entstand eine der größten Baustellen in Mitteleuropa. Viele Männer verdingten sich als Taglöhner – zu heute unvorstellbaren Bedingungen. Arbeitsbeginn war bei Tagesanbruch, wenn es hell genug war. Dann wurde oft bis in die Nacht hinein gearbeitet.
Dabei war eigentlich ein Arbeitstag von höchstens zehn Stunden gesetzlich vorgeschrieben. „Der wurde in der Regel aber nicht eingehalten, sondern überschritten“, erzählt der Historiker Weber. Nach der Arbeit hätten viele noch eineinhalb Stunden zu Fuß nach Hause gehen müssen. „Dann hatte man im Prinzip eine Ruhezeit von vier bis fünf Stunden.“
Arbeiter litten an Mangelernährung
Die Hilfsarbeiter litten an Mangelernährung. Mittags gab es eine kurze Pause, die Familien brachten das Essen auf die Baustelle. Weber: „Kein hoher Fettanteil, weil es eine schwere körperliche Arbeit war, kaum Kohlehydrate, weil die teuer waren. Und Proteine, was heute immer gefordert wird, kannte man in der Regel nicht.“ Somit stand dreimal täglich Riebel auf dem Speiseplan – der Maisgrieß wurde allerdings vielfach mit Wasser angerührt, weil man sich die Milch nicht leisten konnte.
Diepoldsauer Durchstich im Jahr 1923
1923 markierte dann der Diepoldsauer Durchstich die Vollendung des neuen Flussbetts. Am 18. April 1923 wurde der Rhein in das neue Flussbett umgeleitet. Dabei wurde Diepoldsau (Schweiz) zur „Rhein-Insel“, der Alte Rhein bei Diepoldsau entstand und veränderte das Landschaftsbild nachhaltig.
Damit war ein wichtiger Meilenstein in der Regulierung des Alpenrheins erreicht, und die regelmäßigen schweren Überschwemmungen gehörten der Vergangenheit an. Doch es dauerte noch über 60 Jahre, bis der Alpenrhein so aussah, wie wir ihn heute kennen.
Erinnerungen an den Diepoldsauer Durchstich
An den Durchstich vor 100 Jahren wird heuer mit Ausstellungen und Festen erinnert, auch eine Kette von rund 4.000 Schülerinnen und Schülern machte auf dieses Jubiläum aufmerksam. Der ORF sendet am Sonntag (ab 18.25 Uhr in ORF2 und anschließend in der TVThek abrufbar) eine Dokumentation zum 100-jährigen Jubiläum des Diepoldsauer Durchstichs.
Rhein bleibt weiterhin eine Gefahr
Der Rhein bleibt aber weiterhin eine Hochwassergefahr: Im unteren Rheintal muss bei einem sehr großen Hochwasserereignis mit einer Überflutung der Hochwasserdämme sowie mit Dammbrüchen gerechnet werden. Mit dem Hochwasserschutzprojekt Rhesi will man die Bevölkerung vor einem solchen Ereignis schützen. Dabei soll der Rhein wieder eine natürlichere Form annehmen.