Grünling
Michael Dvorak / BirdLife
Michael Dvorak / BirdLife
Natur

Vögel singen gegen Menschenlärm an

Mit dem Erblühen der Natur im Frühling erheben auch die Vögel wieder ihre vielfältigen Stimmen. Nach der Winterstille kommt einem das frühmorgendlich einsetzende Vogelkonzert besonders laut vor. Tatsächlich singen heimische Vögel seit einiger Zeit immer lauter und haben sogar ihre Rufe verkürzt, um im menschengemachten Lärm nicht unterzugehen.

Je früher es wieder heller wird, desto eher hebt auch der Vogelchor an zum allmorgendlichen Liederkonzert. Dabei kommen sie durchaus auf 90 oder 95 Dezibel – das entspricht etwa der Lautstärke eines Kammerorchesters oder einem kräftigen Saxophon.

Davon kann man schon wach werden – und hoffentlich gelassener reagieren als jenes Paar, das unlängst in Vorarlberg verurteilt wurde, weil es 50-mal auf unter Artenschutz stehende Elstern geschossen hat, von deren Gesang sie sich belästigt fühlten. Mehr dazu in: 50-mal auf „laute“ Elstern geschossen: Paar verurteilt. (vorarlberg.ORF.at, 13. März 2024)

Vögel werden immer lauter

Dass Vögel immer lauter singen, ist indes keine Einbildung, erklärt Johanna Kronberger von BirdLife Vorarlberg: „Das Singverhalten der Vögel hat sich tatsächlich in den letzten Jahren geändert. Man hat zum Beispiel nachgewiesen, dass gerade in Städten die Vögel lauter singen müssen, damit sie den Verkehrslärm übertönen können und zusätzlich haben auch viele Vogelarten ihre Strophe verkürzt, damit man diese trotz Lärm über weitere Distanzen hört.“

Gesang wird gekürzt, um Lärm zu durchdringen

Zum Beispiel macht das die Kohlmeise so, erklärt die Vogelschützerin: „Die Kohlmeise hat früher u.a. einen dreiteiligen Gesang gehabt und mittlerweile singen die meisten Individuen nur noch zweiteilig, weil die Strophe dadurch kürzer und damit die Chance größer ist, dass sie während einer Lücke im Umgebungslärm ganz gehört wird.“

Fotostrecke mit 6 Bildern

Amsel
Anton Faustmann / BirdLife
Amseln singen nicht nur lauter, sondern auf früher aufgrund der Lichtverschmutzung
Bergpieper
Samuel Schnierer / BirdLife
Im Gebirge hat sich der Gesang – hier ein Bergpieper – hingegen wenig verändert, weil es weniger Umgebungslärm gibt
Kuckuck
Rainer Windhager / BirdLife
Der „Kuckuck“ sing seinen Namen und droht allmählich zu verstummen: Er macht sich erst im Frühjahr auf die Rückreise ins Brutgebiet und leidet laut BirdLife massiv am Lebensraumverlust und der illegalen Bejagung. Außerdem verschiebe der Klimawandel die Brutzeit sodass der Kuckuck sein Zugverhalten vielleicht nicht schnell genug anpassen kann, um noch rechtzeitig sein Ei ins Nest der Wirtsvögel zu „schmuggeln“.
Grünling
Michael Dvorak / BirdLife
Der Grünfink, auch Grünling genannt, ist eine der wenigen Singvogelarten, die auch ihre Jungen vorwiegend vegetarisch aufziehen, nur etwa 10-15 % der Nahrung machen Insekten aus. Sein Gesang besteht aus gereihten Trillern in unterschiedlicher Tonhöhe und wird von hohen Warten und Baumgipfeln aus oder im fledermausartig gaukelnden Singflug vorgetragen, für den der Grünfink bekannt ist.
Kohlmeise
Thomas Hochebner / BirdLife
Die Kohlmeise hat ihren Dreisilbigen Gesang verkürzt, um gegen den Umgebungslärm anzukommen: Das erhöht die Chance, dass der Ruf in einer Lärmpause vollständig gehört und erkannt wird – unverzichtbar bei der Partnersuche. Menschen würden in einem lauten Club vermutlich auch keine mehrseitigen Gedichte rezitieren bei der Partnersuche…
Girlitz
Samuel Schnierer / BirdLife
Der Girlitz ist ein samenfressender Gartenbewohner aus der Familie der Finken. Innerhalb der letzten 20 Jahre nahm der Girlitz-Bestand österreichweit um 80% ab – der einzigartige Gesang verstummt. Auffällig ist der hohe klingelnd-klirrende Gesang des Männchens, der mit einem klingelnden Schlüsselbund oder klirrendem Glas verglichen werden kann.

Gezielte Anpassung an die Umwelt

Verhaltensbiologen wissen seit Jahren, dass Vögel ihren Gesang aufgrund des Umgebungslärms anpassen. Das Max-Planck-Institut für Ornithologie hat z.B. erforscht, dass Nachtigallen in Berlin im Schnitt um 14 Dezibel lauter zwitschern als ihre Artgenossen im Wald.

Am lautesten sind sie demnach während des Berufsverkehrs: unter der Woche zwischen 5.00 und 10.00 Uhr. Am Wochenende hingegen singen sie leiser. Diese Anpassung an die Umgebungslautstärke kennen wir von uns Menschen: Auf lauten Veranstaltungen sprechen wir lauter, um uns verständlich zu machen. Dass es diesen „Lombard-Effekt“ auch bei Vögeln gibt, war für die Forscher hingegen eine Überraschung, schreibt das Online-Portal Sonova – Hear the World: Sie waren davon ausgegangen, dass Vögel immer mit maximaler Lautstärke singen.

Nicht nur in Städten

Diese Entwicklung finde nicht nur in großen Städten wie Wien oder Berlin statt, sondern auch bei uns, sagt Johanna Kronberger von BirdLife Vorarlberg: „Eigentlich ist das in weiten Teilen fast überall zu finden. Vielleicht ist es im eher abgelegenen Bergwald etwas weniger der Fall, aber grundsätzlich sind sie eigentlich alle lauter geworden.“

Vogelgesang

bezeichnet die akustische Kommunikation der Vögel und ist eine komplexe verhaltensbiologische Leistung. Vögel singen unter anderem zum Anlocken von Partnern und zur Markierung ihres Reviers. Weibchen erhalten dadurch Hinweise auf Leistungsfähigkeit und Gesundheitszustand eines Bewerbers.

Gesangliche Partnerbörse

Gesungen wird von den Vögeln nicht zum Vergnügen, erklärt Kronberger: „Der Gesang ist für viele Vogelarten extrem wichtig, weil er zum einen dazu dient, das Revier abzugrenzen und zum anderen, um einen Paarungspartner zu finden. Und wenn die einen nicht hören, dann nützt das alles nichts, oder?“

Übermittelt werde dabei weit mehr als nur Gesangstalent: Offenbar erkennen Weibchen schon am Gesang, wie gesund und leistungsfähig ein Männchen ist. Da herauszustechen und obendrein gegen den Menschenlärm anzusingen, ist ein Kraftakt für die paarungswilligen Piepmätze: „Das ist für den Vogel auch extrem anstrengend, die ganze Zeit herumzuschreien“, sagt Kronberger: „Da geht es den Vögeln genau gleich wie uns Menschen, wenn wir uns in einem lauten Club verständigen wollen.“

Vögel singen auch immer früher

Dass Vögel jetzt zu früheren Tageszeiten mit dem Gesang beginnen, liegt laut der BirdLife-Vogelschützerin auch daran, dass wir ein großes Problem haben mit Lichtverschmutzung: „Jeder von uns weiß, wie hell es in der Nacht bei uns ist und das Problem haben die Vögel auch. Und die können es natürlich nicht unterscheiden von Sonnenlicht zu Straßenlaternen und fangen darum teilweise wirklich mitten in der Nacht an. Das führt beispielsweise dazu, dass Amseln schon um drei in der Nacht anfangen zu singen, was sehr unnatürlich ist, weil sie ansonsten eher mit Beginn der Dämmerung anfangen zu singen.“

Im Frühjahr und Herbst wird am meisten gesungen

Die Intensität des Vogelgesangs verändert sich im Jahreslauf. Im Winter ist natürlich am wenigsten Musik in der Luft und so ist der Kontrast zum Frühling am deutlichsten erkennbar: „Der Gesang ist natürlich am intensivsten jetzt am Anfang, wenn sie in ihre Brutgebiete zurückkommen oder um da, wo sie geblieben sind, einen Partner zu finden und das Revier abzugrenzen“, erklärt Kronberger: „Wenn sie im Sommer am Füttern sind, wird es weniger und im Herbst gibt es nochmal einen Peak, weil viele Vogelarten ihrem Nachwuchs der Gesang beibringen im Spätsommer oder Frühherbst.“