Nehammer stellte am Rande der Bregenzer Festspiele fest, dass er sich mit Bundespräsident Van der Bellen sehr gut verstehe, und sie einen regelmäßigen Austausch pflegten. Er bleibe aber dabei: „Es ist wichtig, dass man Normalität in Österreich benennen darf. Ich habe schon einmal gesagt, dass ich es schon nicht normal finde, dass man über Normalität überhaupt eine große Debatte führt.“
Die Menschen müssten sich in ihrer Vielfalt in der Politik wiederfinden, seine Aufgabe und jene der Bundesregierung sei es, „Politik für die vielen zu machen und die wenigen nicht zu vergessen“. Das Problem seien die Extremen, rechts wie links. „Wenn die Ausnahme plötzlich die Regel wird, dann fühlt sich die Mehrheit nicht mehr repräsentiert“, sagte Nehammer. „Es ist in Ordnung, wenn jemand sich dazu entschließt, mit dem Rad zur Arbeit zu fahren, aber einer, der mit dem Auto fahren muss, soll kein schlechtes Gewissen haben müssen. Und genauso ist es okay, wenn jemand sich dazu entschließt, vegan zu leben. Aber es muss auch okay sein, wenn andere gerne Schnitzel essen.“
Van der Bellen: Plädoyer gegen Populismus
„Wir dürfen uns nicht daran gewöhnen, dass Sprache wieder zum Ausgrenzen verwendet wird“, mahnte Bundespräsident Van der Bellen in seiner Eröffnungsrede: „Wir dürfen uns nicht daran gewöhnen, dass wieder von einem ‚wir‘ und ‚den anderen‘ gesprochen wird.“
Damit spielte er – ohne Nennung der Parteien – nicht nur auf die innenpolitischen Auseinandersetzungen zwischen den Regierungsparteien ÖVP und Grüne an (Stichwort: „normal denkende Menschen“ vs. „präfaschistoid“), er nannte auch „das Volk“, von der FPÖ für sich reklamiert, und „unsere Leute“, zuletzt im Fokus auch der SPÖ.
„Wer sind ‚unsere Leut‘? Bin ich dabei? Sind uns ‚die anderen‘ dann egal? Wer sagt, wer dazugehört und wer nicht? Wer bestimmt, wer ‚normal‘ ist und wer nicht?“, fragte Van der Bellen. Es sei gefährlich, solche Begriffe so absolut zu verwenden, „denn sie werden sehr schnell gedankenlos wiedergegeben und tragen so mehr und mehr zum Zerbrechen einer Gemeinschaft bei“, so der Bundespräsident.
Eröffnung Bregenzer Festspiele
Am Mittwochvormittag war die Eröffnungsfeier der Bregenzer Festspiele. Diese war für viele Redner ein Anlass politisch zu werden. Es ging unter anderem um die Diskussion wer oder was in diesen außergewöhnlichen Zeiten „normal“ ist.
Politiker bei Bregenzer Festspielen
Zahlreiche Gäste sind bei den Bregenzer Festspielen erschienen, dazu zählen auch zahlreiche prominente Gäste und viele Politiker und Politikerinnen. Neun von 18 Mitglieder der Bundesregierung nahmen an der Festspieleröffnung teil.
ÖVP kontert Appell Van der Bellens
Bei der Volkspartei sorgten die Aussagen Van der Bellens für Kritik. „Von einer Überparteilichkeit des Präsidenten konnte leider nur wenig die Rede sein", so der niederösterreichische ÖVP-Landesgeschäftsführer Bernhard Ebner in einer Aussendung. Ebner sprach von einer „teilweise wortgleichen und dazu noch verlängerten Ausgabe der Ansagen“ von Grünen-Bundesparteichef Werner Kogler. Mehr dazu in ÖVP kontert Appell Van der Bellens (noe.ORF.at, 19.7.2023).
SPÖ will sich nicht dreinreden lassen
Auch SPÖ-Chef Andreas Babler reagierte Mittwochabend auf Facebook auf die tadelnden Worte des Bundespräsidenten, will sich aber offensichtlich auch nicht dreinreden lassen. „Die Spaltung der Gesellschaft passiert nicht in der Sprache, sondern ist real“, verwies er etwa auf die hohen Wohnpreise. „Nur ein Prozent besitzt fast die Hälfte des Vermögens, und 350.000 Kinder sind von Armut bedroht“, führte Babler aus.
„Politik wurde für Superreiche gemacht, die per SMS-Chat Steuergeschenke und Gesetzesänderungen erhielten. Die Regierung hört auf Immobilienbesitzer, Energie- und Lebensmittelkonzerne und weigert sich, Preise zu senken“, kritisierte der SPÖ-Chef. „Die Ungerechtigkeiten müssen benannt werden, sonst fühlen sich viele politisch übersehen.“ Spalten würden lediglich „jene, die Politik für die Reichen machen und zur Ablenkung mit dem Finger auf ‚die anderen‘ zeigen“, findet Babler.
FPÖ sieht Spaltung längst vollzogen
Van der Bellen warne vor jener Autokratie, die seine Grünen Stück für Stück selbst etablierten, meinte FPÖ-Generalsekretär Christian Hafenecker in einer Aussendung: „Die Spaltung der Bevölkerung und der Gesellschaft wurde von der aktuellen Bundesregierung in der Corona-Zeit längst vollzogen – unter Mitwirkung seiner Grünen im Speziellen, das dürfte dem Herrn Bundespräsidenten entgangen sein.“