Rhein soll dann so ausschauen
Rheinregulierung
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Chronik

Ein Balanceakt: Die Neugestaltung des Alpenrheins

Mit dem Projekt „Rhesi – Rhein Erholung Sicherheit“ soll der Hochwasserschutz ausgebaut werden. Doch das Projekt ist ein Balanceakt, es gibt Konflikte zwischen Landwirtschaft und Ökologie. Durch das Vorhaben gehen 240 Hektar Grasfläche verloren, Naturschützer begrüßen dagegen die Erweiterung des Flusses.

Mit „Rhesi“ soll der Hochwasserschutz von einem 100- auf ein 300-jährliches Hochwasser ausgebaut werden. Schon in der Vergangenheit hatten klimatische Veränderungen Auswirkungen für die Menschen an den Ufern des „größten Wildbachs Europas“. Erst die groß angelegte, gemeinsam mit der Schweiz umgesetzte Regulierung ab Ende des 19. Jahrhunderts nahm den Alpenrhein-Hochwassern ihren Schrecken.

Schweiz und Österreich teilen sich die Kosten

Die derzeitigen Schutzbauten halten – wie im Staatsvertrag 1954 mit der Schweiz festgelegt – einer Abflussmenge von 3.100 Kubikmeter pro Sekunde stand, das entspricht einem alle hundert Jahre vorkommenden Ereignis. Bis 2040 sollen die Dämme von der Ill- bis zur Bodenseemündung auf mindestens 4.300 Kubikmeter pro Sekunde ausgebaut werden, die Staatsvertragsverhandlungen dazu laufen. Im Herbst soll das Genehmigungsprojekt vorgestellt werden. Die „Rhesi“-Kosten belaufen sich auf rund 900 Mio. Euro, die sich die Schweiz und Österreich zur Hälfte teilen wollen.

Verheerende Ereignisse seit 1206

Als der älteste Beleg eines Rhein-Hochwassers gilt ein Bericht von 1206, als in Lustenau die Kirche weggerissen wurde. In den folgenden Jahrhunderten wurden immer wieder verheerende Ereignisse dokumentiert.

Frühestens 2024 wird der Ausbau starten, um für ein Hochwasser gerüstet zu sein, das nur alle 300 Jahre eintritt – statistisch gesehen wäre ein solches in den nächsten Jahrzehnten fällig. Denn die bisher ärgste Katastrophe ereignete sich 1762, als nach tagelangem Regen die Gewässer im Einzugsgebiet des Alpenrheins über die Ufer traten.

 Der aktuelle Zustand (oben) sowie eine Visualisierung des Rhein bei der Frutz-Mündung bei Koblach, in einer Luftaufnahme, nach der geplanten Fertigstellung des Hochwasserschutz-Projektes "Rhesi.
APA/IRR/HYDRA
Der aktuelle Zustand (oben) sowie eine Visualisierung des Rhein bei der Frutz-Mündung bei Koblach, in einer Luftaufnahme, nach der geplanten Fertigstellung des Hochwasserschutz-Projektes „Rhesi“.

1762: Rheindämme brachen

Seit den 1740er-Jahren hatten sich infolge der Wiedererwärmung nach der „kleinen Eiszeit“ die Verheerungen durch den Fluss gehäuft. Hatten sich Schnee und Eis bisher in den Bergen gehalten, flossen nun große Mengen Schmelzwasser zu Tal. 1762 wurde dieser Prozess nach damaligen Berichten durch anhaltende Niederschläge und Föhnwind verstärkt. In der Folge brachen am 9. Juli bei Oberriet (Kanton St. Gallen) und bei Lustenau die Rheindämme.

„Mit großem Tosen und Wüten“ ergoss sich das Wasser in die Dörfer und verwandelte das Rheintal in einen See, auf dem man von Sennwald (Kanton St. Gallen, Höhe Feldkirch) bis Bregenz „12 Stund weit in einem Schiff fahren konnte“. Erst am dritten Tag fiel das Wasser und hinterließ „bis 6 Schuh hohen Schlamm“, notierte als Augenzeuge der Schweizer Pfarrer Gabriel Walser.

19. Jahrhundert: Rhein trat mehr als 20 Mal über die Ufer

Im 19. Jahrhundert häuften sich die Überflutungen erneut, eine indirekte Folge einer Klimaschwankung zwischen 1810 und 1822. Insgesamt trat der Rhein in dem Jahrhundert mehr als 20 Mal über die Ufer. Missernten waren die Folge, auch weil der Anstieg des Grundwasserspiegels eine dauerhafte Versumpfung der Böden bewirkte. 1817, ein Jahr nach dem kargen „Jahr ohne Sommer“, suchte der Rhein das Land gleich dreimal heim.

Der Bodenseepegel erreichte damals im Juli den höchsten Wasserstand, der aus den Aufzeichnungen bekannt ist. Als „nur die Kronen der Bäume aus dem Wasser standen“, starben viele an Fleckfieber und Entbehrung. Zuletzt verheerte der Rhein 1855, 1868, 1871 und 1890 sein Tal. Eine Hochwasserkatastrophe wie 1762 hätte in der wirtschaftlich starken Grenzregion heute laut Studien ein Schadenpotenzial von rund 8,8 Mrd. Euro.

Rhesi: Der Rhein soll mehr Platz bekommen

Seit seiner Regulierung fließt der Rhein nach Plänen begradigt und durch einen Innen- und einen Außendamm begrenzt Richtung Bodensee. Die Vorländer bieten dabei im Anlassfall Überflutungsraum; sonst werden diese der Republik gehörenden Pachtflächen als Gras-und Weideland bzw. zur Erholung, etwa zum Radfahren, genutzt.

Künftig soll der Rhein im Rahmen des Projekts „Rhesi“ durch Abtragungen mehr Raum erhalten, zudem soll sich der schlechte ökologische Zustand verbessern, wie das Schweizer und EU-Gesetze bei baulichen Maßnahmen an Gewässern vorsehen. Derzeit bestehen für Tiere und Pflanzen erhebliche Defizite, die Vorgabe von 520 bis 580 Hektar Gewässerfläche werde mit dem geplanten Projekt erfüllt.

Siedlungsdichte erschwert Renaturierung

Aufgrund der Siedlungsdichte im Rheintal – hier leben fast 500.000 Menschen, darunter mit 180.000 knapp die Hälfte aller Vorarlberger – ist eine Renaturierung aber nicht auf der gesamten Länge möglich. Die Lösung ist gemäß des „Generellen Projekts“ hierbei das „Trittsteinkonzept“.

Im Zuge von „Rhesi“ wird der Fluss an drei Stellen durch sogenannte Dammabrückungen ausgeweitet. Geplant sind drei größere Ausweitungen bei Oberriet-Koblach, bei Kriessern-Mäder (beide Bez. Feldkirch bzw. Kanton St. Gallen) und Lustenau-Widnau (Bez. Dornbirn bzw. Kanton St. Gallen).

Rhein soll stellenweise über 300 Meter breit werden

In diesen „Kernlebensräumen“ soll der Rhein über 300 Meter breit werden dürfen. Verzweigungen, Kiesbänke, Auwaldflächen und Stillwasserzonen sollen sich bilden. Dort sollen sich verschwundene Arten wieder ansiedeln. Man erhofft sich, dass künftig mehr Magerwiesen-Schmetterlinge vorkommen, Zauneidechsen und Kiesbankbrüter wie Flussregenpfeifer zurückkehren.

Die ökologischen Trittsteine sind so angeordnet, dass Tiere und Pflanzen zwischen den Refugien wandern können. Dazu kommt eine Aufweitungsstrecke vor der Mündung in den Bodensee. Von dort ausgehend sollen sich Tier- und Pflanzenarten wiederansiedeln.

Wissenschaftliches Baggerschiff zwischen Kriessern und Mäder
Internationale Rheinregulierung
Für das Rhesi-Projekt wurden Proben genommen

Landwirtschaft verliert rund 240 Hektar Fläche

Die genannten Stellen bieten sich für die Ausweitungen an, weil dort die Flächen der Republik bzw. wenigen Agrargemeinschaften gehören. Dabei soll die bei den Abtragungen gewonnene, fruchtbare Erde zur Verbesserung anderer landwirtschaftlicher Böden verwendet werden.

Die Landwirtschaft verliert durch das Projekt rund 240 Hektar bisher konkurrenzlos genutzte Grasflächen – und das in einer Region, wo hochwertiger Boden knapp ist. Kritiker fordern daher einen Verzicht auf die Ausweitungen bzw. ihre Reduzierung.

LWK fordert zumindest teilweisen Verzicht

So bezweifelt etwa Landwirtschaftskammerpräsident Josef Moosbrugger, dass es Ersatzflächen zur Kompensation überhaupt gibt. Alle Flächen, bis auf geschützte Naturschutzflächen, seien bereits bewirtschaftet. „Hochwasserschutzmaßnahmen müssen sein, das Wie ist aber die Frage“, so Moosbrugger.

Er fordert einen zumindest teilweisen Verzicht auf die Ausweitungen. So sei im oberen Bereich des Flusses der Schutz bereits ausreichend, zumindest dort könnte man den Bauern die Flächen lassen. Im unteren Bereich, von der Flussmündung bis oberhalb von Hohenems, sehe man nicht ein, dass die Ausweitungen über die bisherigen Vorländer hinaus gehen sollen.

Rhein
Melanie Kritzer
Im August 2021 war die Sorge in Lustenau vor dem Hochwasser groß – doch die Pegelstände gingen rechtzeitig zurück

„Von einem Extrem ins andere“

„Da und dort eine Ökologisierung, ja, aber da fällt man vom einen Extrem ins andere“, fand Moosbrugger. Von der Frage der Versorgungssicherheit mit Lebensmitteln und den Kosten fange er gar nicht erst an. Zudem werde zu wenig berücksichtigt, dass durch die Ökologisierung eine Mehrbelastung der Bevölkerung durch die nötigen Kiesentnahmen entstehen. Der Rhein wird nach seiner Umgestaltung sein Geschiebe entlang seines Laufs und nicht wie bisher im Mündungsbereich im See ablagern.

Naturschutzanwältin: Vorländer öffentliches Wassergut

Naturgemäß anders sieht man das bei der Vorarlberger Naturschutzanwaltschaft. Die Vorländer seien öffentliches Wassergut und der Landwirtschaft nur vorübergehend zur Verfügung gestanden. „Man hat sich halt daran gewöhnt, die nutzen zu dürfen“, so Naturschutzanwältin Katharina Lins. Das „Trittsteinkonzept“ bezeichnete sie als „Kompromiss“. In den ersten „Rhesi“-Plänen sei die Renaturierung viel weiter gegangen.

„Das ist jetzt eh schon nur mehr die Minimalvariante, es gibt eben viele Ansprüche und Wünsche“, erklärte sie. Hier müsse ein Interessensausgleich gefunden werden. Wichtig sei, dass sich die Situation nicht verschlechtere. „Jetzt ist der Rhein praktisch ein Kanal. Da muss man tun, was möglich ist. Das Projekt ist eine Jahrhundertchance“, war Lins überzeugt.

„Ökologie vor wirtschaftliche Nutzinteressen stellen“

Hinter dem Hochwasserschutz dürften nicht gleich wirtschaftliche Nutzinteressen kommen, vielmehr müsse die Ökologie an zweiter Stelle folgen. Für die Tier- und Pflanzenwelt sei die Korridorfunktion des Rheins sehr wichtig, angesichts der starken Verbauung schrumpften überall die Lebensräume und Wanderungswege.

Der Landwirtschaft empfahl Lins eine andere Nutzung der Böden, so würden acht Prozent der Anbauflächen für Futtermais genutzt. Beim Problem, dass immer mehr Boden verbaut wird, sehe man sich im Naturschutz jedoch grundsätzlich im selben Boot mit den Bauern.