Angeklagter mit Justizwachebeamten
Tarja Prüss/ORF Vorarlberg
Tarja Prüss/ORF Vorarlberg
Chronik

Zeugen belasten Angeklagten

Ehemalige Kollegen des Opfers belasteten den Angeklagten am zweiten Verhandlungstag im Mordprozess gegen einen 35-Jährigen, der im Februar 2019 den Sozialamtsleiter der BH Dornbirn erstochen haben soll. Zudem ging es um den Geisteszustand des Angeklagten.

Sieben Mitarbeiter der Bezirkshauptmannschaft sagten am Dienstag als Zeugen aus. Die Zeugenaussagen sollten zum einen den Tathergang rekonstruieren, zum anderen dienten sie als Abgleich mit den Angaben des Angeklagten.

Zeuge: „Dachte, da dreht jemand durch“

Ehemalige Kollegen des Opfers belasteten den Angeklagten am zweiten Verhandlungstag im Mordprozess gegen einen 35-Jährigen, der im Februar 2019 den Sozialamtsleiter der BH Dornbirn erstochen haben soll. Zudem ging es um den Geisteszustand des Angeklagten.

Bernhard Stadler (ORF) aus Feldkirch

ORF-Reporter Bernhard Stadler berichtet vom Landesgericht Feldkirch über den Prozess gegen jenen Mann, der den Sozialamtsleiter von Dornbirn erstochen haben soll.

Augen- und Ohrenzeugen berichten

Der einzige Augenzeuge der Tat berichtete dem Gericht, dass es plötzlich laut wurde im Büro und Sachen durch die Luft flogen. Der Angeklagte, ein in Vorarlberg geborener und aufgewachsener Türke, habe den Schreibtisch des Abteilungsleiters samt Monitor abgeräumt. Wie der Zeuge am Dienstag formulierte, war damals sein Gedanke: Da dreht wohl jemand durch.

Beim Anblick des Angeklagten hätte der Sozialamtsleiter laut „Na“ ausgerufen. Er habe gesehen, wie der Täter auf den Büroleiter zugestürmt sei; dieser sei daraufhin ein, zwei Schritte zurückgewichen. Ein Gespräch sowie Beschimpfungen, wie der Angeklagte am Vortag angegeben hatte, hatte es nach Angaben des Zeugen nicht gegeben.

Zeuginnen, die sich zum Tatzeitpunkt im Vorzimmer (des Büros des Sozialamtsleiters) befanden, berichteten vor den Geschworenen, dass der Angeklagte „wie ein Blitz“ durch das Vorzimmer zum Büro des Angeklagten gestürmt sei. Dass der Angeklagte ein Messer bei sich führte, hatte keiner der sieben Zeugen wahrgenommen.

Fotostrecke mit 7 Bildern

Angeklagter in Handschellen mit einer Mappe in den Händen
Mathis Fotografie
Der Angeklagte sitzt seit Februar 2019 in Untersuchungshaft
Angeklägter im BH Prozess
Tarja Prüss/ORF Vorarlberg
Der Angeklagte im Gespräch mit seinem Verteidiger
Richter Martin Mitteregger
Tarja Prüss/ORF Vorarlberg
Richter Martin Mitteregger
Verteidiger Stefan Harg im Interview
Tarja Prüss/ORF Vorarlberg
Verteidiger Stefan Harg im Interview
Staatsanwältin Konstanze Manhart
Tarja Prüss/ORF Vorarlberg
Staatsanwältin Konstanze Manhart
BH Mordprozess: Angeklagter mit Bewachung
Tarja Prüss/ORF Vorarlberg
Der Prozess findet unter verschärften Sicherheitsvorkehrungen statt
Landesgericht von außen
APA/DIETMAR STIPLOVSEK
Landesgericht Feldkirch

Angeklagte fühlte sich schikaniert

Schon rund eine Stunde vor der Tat war der Angeklagte in der Sozialabteilung vorstellig geworden, dabei hatte es auch ein Gespräch mit dem Sozialamtsleiter gegeben. Worum es in dem Gespräch ging, hatte niemand genau gehört. Es sei aber um etwas „von vor zehn Jahren gegangen“, sagte eine Frau. Und dass der Angeklagte gesagt habe, dass man sich vor Gericht wiedersehe.

Eine Zeugin sagte aus, dass sie zusammen mit einer Kollegin vor der Tat ein irritierendes Gespräch mit dem Angeklagten gehabt hatte. Demnach war ihm erklärt worden, dass alle Unterlagen vorlägen und das Geld für ihn noch am selben Tag angewiesen werde. Den Angaben der Zeugin zufolge sei seine nachfolgende Reaktion „komisch“ gewesen. „Er lasse sich nicht verarschen und ist davongerannt“, erklärte die Zeugin vor Gericht.

Streit um die Grundversorgung war bereits beigelegt

Ihren Aussagen zufolge war das Geld bereits um 14.47 Uhr freigegeben worden, 13 Minuten vor der Tat. Im Prozess hatte der Angeklagte mehrfach gesagt, die Tat wäre nicht passiert, wenn man ihm die Information gegeben hätte, dass die Grundversorgung genehmigt worden sei.

Wie dieselbe Zeugin aussagte, bestand für den Angeklagten bereits mit der Aufnahme in die Grundversorgung am 23. Jänner Versicherungsschutz. Der 35-Jährige hatte im Prozess angegeben, dass es ihm gar nicht um das Geld ging, sondern darum, versichert zu sein.

Gerichtsgutachten belegt Zurechnungsfähigkeit

Wie Gerichtsgutachter Reinhard Haller am Dienstagvormittag vor Gericht ausführte, wurde der Angeklagte früh straffällig. Damit einher ging eine frühe Drogenkarriere.

Sein Aufenthalt in der Türkei, bei dem er „mit vielen Kriegsgräueln konfrontiert“ gewesen sei, hätte seine Hemmung zu töten herabgesetzt. „Wo Töten an der Tagesordnung ist, senkt das erfahrungsgemäß die Hemmschwelle“, sagte Haller bei der Präsentation seines Gutachtens.

Schwurgrichtssaal LG Feldkirch
Tarja Prüss/ORF Vorarlberg
Auch am Dienstag war das Interesse am Geschworenenprozess in Feldkirch groß

Zur Tatzeit war der Angeklagte nach Angaben von Haller leicht alkoholisiert, zudem hatte er Beruhigungsmittel im Blut. Er sei aber weit von einem Vollrausch entfernt gewesen, führte Haller aus.

Kränkungen durch verletztes Ehrgefühl

Der Gutachter kam zu dem Schluss, dass der Angeklagte weniger in der Lage ist, sich zu kontrollieren, als andere Menschen. Das führte Haller auf mehrere Umstände zurück: seine kriminelle Karriere, seine Hyperaktivität als Kind, sein früherer Drogenkonsum und seine Erfahrungen der Folter beim türkischen Militär.

In der Türkei, wohin der Angeklagte abgeschoben wurde und wo er sich nie heimisch gefühlt habe, sei er eigenen Angaben zufolge als Scharfschütze in den Krieg gegen den IS gezogen. Dass daraus eine posttraumatische Belastungsstörung entstanden sei, sei „nachvollziehbar“, so Haller: „Die Symptome passen.“ Die aus diesen Umständen und einer Herzkrankheit resultierende Persönlichkeitsstörung sei aber nicht als Geisteskrankheit zu werten.

Haller erklärte weiter, er glaube, beim Angeklagten ein anderes Verständnis von Ehre zu erkennen. Er habe sich in seiner Ehre von dem späteren Opfer verletzt gefühlt, so Haller, der in diesem Zusammenhang die Ehrenmorde anführte, für die oft ein geringfügiger Anlass reiche.

Haller bescheinigte dem Angeklagten zwar eine Persönlichkeitsstörung, hält ihn aber dennoch für zurechnungsfähig. Die Voraussetzungen für eine Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher sieht er nicht gegeben.

Weiterhin scharfe Kontrollen

Auch am zweiten Prozesstag galten verschärfte Sicherheitskontrollen. Jeder, der den Schwurgerichtssaal betreten wollte, musste sich sorgfältigen Kontrollen der Polizei unterziehen.

Zu Prozessbeginn erklärte der Angeklagte erneut, dass er die Tat zutiefst bereue. Es sei eine Tragödie oder ein Unfall gewesen. Er führte aus, nicht die Absicht gehabt zu haben, den 49-jährigen Sozialamtsleiter der BH Dornbirn zu töten.

Am ersten Prozesstag hatte die Verteidigung die Mordabsicht bereits bestritten – mehr dazu in Mordprozess: Angeklagter bestreitet Absicht. Für die Staatsanwaltschaft war es dagegen unbestreitbar Mord.