Sozialamtsleiter erstochen: Prozessauftakt
Unter strengen Sicherheitsvorkehrungen hat am Montagvormittag am Landesgericht in Feldkirch der Mordprozess gegen einen 35-Jährigen begonnen, der den Sozialamtsleiter der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn erstochen haben soll.
Bernhard Stadler (ORF) berichtet vom Mordprozess
Die Verteidigung beantragte gleich zu Beginn die Vertagung des Prozesses. Damit wollte sie erreichen, dass ein neues psychiatrisches Gutachten erstellt wird, berichtet ORF-Reporter Stadler.
Der Schwurgerichtssaal des Landesgerichts Feldkirch war am Montag bis auf den letzten Platz besetzt. Alle Besucher hatten eine eingehende Sicherheitskontrolle über sich ergehen lassen müssen. Mehr als ein Dutzend Polizisten kontrollierten vor Beginn des Prozesses am Schwurgericht in Feldkirch sehr genau Personen und deren Taschen.

Verteidigung beantragte Vertagung
Die Verteidigung beantragte gleich zu Beginn die Vertagung des Prozesses. Damit wollte sie erreichen, dass ein neues psychiatrisches Gutachten erstellt wird. Zudem hatten die Anwälte des Angeklagten gefordert, dass der psychiatrische Gutachter während der gesamten Hauptverhandlung anwesend ist, um sich ein umfassenderes Bild vom Angeklagten machen zu können. Das sei wesentlich für die Beurteilung des Vorsatzes, so Anwalt Stefan Harg. Der Antrag der Verteidigung wurde jedoch nach kurzer Beratung abgewiesen.
Staatsanwältin sieht Hass als Motiv
Für die Staatsanwaltschaft gab es dagegen klare Indizien für einen Vorsatz. „Der Angeklagte hasste das Opfer“, sagte die Staatsanwältin Konstanze Manhart in ihrem Eröffnungsplädoyer. Der heute 35-Jährige habe nach einer Auseinandersetzung um seine Grundsicherung ein Küchenmesser geholt. Er habe neuerlich das Büro des 49-Jährigen betreten und ihm ohne jegliche weitere Diskussion das Messer in die Brust gerammt. Die Wucht sei so stark gewesen, dass das Messer das Brustbein des Opfers durchstieß und an der Wirbelsäule abprallte. Der Angeklagte verletzte sich dabei ebenfalls, weil er mit der Hand abrutschte.
„Schau, jetzt werden deine schönen blauen Augen verlöschen. Du hättest nur nett sein müssen“, zitierte die Staatsanwältin den Angeklagten. Anschließend habe er das Messer als symbolischen Akt auf dem Schreibtisch abgelegt, um zu zeigen, dass Amtsmissbrauch bestraft werde. Die Tat passierte auf den Tag genau zehn Jahre nach der ersten Ausweisung aus Österreich, so Manhart.

Angeklagter bekennt sich nicht schuldig
Der Angeklagte bekannte sich am Montag vor Gericht nicht schuldig. Er habe das Opfer nur verletzen, aber nicht töten wollen. In die Schulter oder in die Arme wollte er ihn stechen. „Ich weiß, wo das Herz ist. Wenn ich jemand töten will, steche ich direkt ins Herz“, so der Angeklagte in der Einvernahme. Wortreich erklärte der 35-Jährige vor dem Richter, dass es ein Unfall gewesen sei, eine Kurzschlussreaktion. Ursprünglich habe er sich mit dem Messer selbst umbringen wollen.
Angeklagter und Opfer kannten einander seit Jahrzehnten
Besondere Brisanz erhält der Fall dadurch, dass sich Opfer und mutmaßlicher Täter über mehr als 20 Jahre hinweg immer wieder begegnet sind. So hatte der 49-Jährige den Angeklagten bereits als Zwölfjährigen verhört, als dieser als Mitglied einer Jugendbande verdächtigt wurde, Einbrüche und Diebstähle verübt zu haben. Schon damals habe das spätere Opfer ihm mit der Ausweisung bedroht, so der Angeklagte. Auch das erste Aufenthaltsverbot habe sein Opfer in seiner damaligen Funktion bei der Fremdenpolizei gegen ihn ausgesprochen.
Deswegen sprach die Verteidigung von einer „Beziehungstat“. Nach wiederholten persönlichen Beschimpfungen durch das spätere Opfer sei dem Angeklagten die Sicherung durchgebrannt, nach einer „25-jährigen unglücklichen Beziehung“, wie Verteidiger Ludwig Weh sagte. Das Opfer habe ihn zu Unrecht abgeschoben und seine Familie zerstört. Denn die Familie war zerbrochen, nachdem er ohne Frau und Familie in die Türkei abgeschoben worden war.

Anwälte: Kette von Kränkungen
Der Angeklagte, Kurde mit türkischer Staatsangehörigkeit, ist in Österreich geboren und aufgewachsen. Als er nach seiner Ausweisung 2019 wieder nach Österreich zurückkam, habe ihm sein späteres Opfer den Handschlag verwehrt. „Das ist eine extreme Beleidigung“, so der Angeklagte. Auch seine Verteidiger schilderten die Beweggründe ihres Mandanten als eine Kette von Kränkungen. „Alte Wunden“ waren durch das neuerliche Zusammentreffen wieder aufgerissen worden.
Ein „letzter Tropfen“ habe das Fass dann zum Überlaufen gebracht. „Er ist gestorben, weil er sich nicht an die Gesetze gehalten hat“, gab der Angeklagte vor Gericht zu Protokoll. Wortreich und gestikulierend zeigte er Richter und Geschworenen, wie er das Messer in der Hand gehalten und geführt habe: Es seien nur Stiche gewesen, keine Hiebe, die man mit hoch erhobener Hand ausführen würde. Die Tötungsabsicht bestritt der Angeklagte vehement und wiederholt.
Angeklagter wollte den Sozialamtsleiter bestrafen
Am Nachmittag wurden die Aussagen, die der 35-Jährige nach seiner Verhaftung vor der Polizei gemacht hat, im Detail besprochen. „Ich habe nichts mehr zu verlieren, weil ich bereits alles verloren habe“, wurde der Angeklagte im Polizeiprotokoll zitiert. „Ich habe ihm eine Strafe geben wollen“, bestätigte der Angeklagte am Montagnachmittag auch vor Gericht. Er habe ein „Blackout“ gehabt. Und er konnte auch vor Gericht nicht mehr erklären, warum er seinem Opfer nach dem ersten Stich weitere Stiche zugefügt hatte.
Weiter sagte er, er habe seinem Bruder kurz zuvor noch eine Kurznachricht geschickt mit der Koransure 47 und der Bitte, für ihn zu beten. Diese Koransure beinhaltet Kampfbefehle gegen Ungläubige. Fragen der Staatsanwältin wollte der Angeklagte nicht beantworten. Sie habe elf Monate Zeit gehabt, ihre Fragen zu stellen.
Richter, Staatsanwältin, Verteidiger und Angeklagter hatten der Opferfamilie zu Beginn der Verhandlung ihr tiefes Mitgefühl ausgesprochen.
Anlassfall für Diskussion um Sicherungshaft
Dieser Fall löste bundesweit eine Diskussion über die Sicherungshaft aus, die auch im türkis-grünen Regierungsprogramm als Vorhaben steht – mehr dazu in Verhaften auf Verdacht – Tötung in Dornbirn als Anlassfall für Pläne.