Dr. Joachim Bauer
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„Focus“

Joachim Bauer: Kinder im Schatten der digitalen Welt

Der renommierte Hirnforscher Joachim Bauer warnt vor den negativen Auswirkungen der digitalen Welt auf Kinder und Jugendliche. Im zweiten Teil seines Vortrags, den er in der Reihe „Wertvolle Kinder“ des Vorarlberger Kinderdorfs im ORF-Landesfunkhaus gehalten hat, geht er auf die Auswirkungen dieser Flucht von den realen Problemen in eine digitale Welt genauer ein.

Der renommierte Hirnforscher, Arzt, Psychotherapeut und Bestsellerautor Joachim Bauer schreibt in seinem jüngsten Buch: „Die digitalen Systeme können fantastische Tools sein, wenn wir sie als Werkzeuge unter unserer Kontrolle verwenden. Wir dürfen aber nicht zulassen, dass sie uns von unserer wichtigsten Energiequelle – und das sind die analogen zwischenmenschlichen Beziehungen – abschneiden.“

Wie wichtig diese Beziehungen für das gesunde Aufwachsen von Kindern sind, hat Professor Bauer im ersten Teil dieses Vortrags deutlich gemacht und auch, wie sehr diese Beziehungen durch digitale Ablenkungen immer öfter leiden. Da Menschen das Leben in der analogen Welt immer unerträglicher finden – Stichwort Krisen – entfliehen sie in die digitale Welt.

Im zweiten Teil seines Vortrags, den er in der Reihe „Wertvolle Kinder“ des Vorarlberger Kinderdorfs im ORF-Landesfunkhaus gehalten hat, geht er nun auf die Auswirkungen dieser Flucht von den realen Problemen in eine digitale Welt genauer ein. Bereits im ersten Teil seines Vortrags hat Professor Bauer deutlich gemacht, wie sehr sich Menschen vom dominanten Smartphone ablenken lassen und Beziehungen dadurch gestört werden. Jetzt zeigt er den problematischen Umgang von Kindern und Jugendlichen damit auf: 1,2 Millionen Kinder und Jugendliche in Deutschland sind in den sozialen Medien mehr als vier Stunden täglich unterwegs.

Laut WHO liegt dann eine riskante Nutzung vor. Motive sind unter anderem der Wunsch, Sorgen zu vergessen oder der Realität zu entfliehen. Aber nicht nur: „Der Mensch hat das neurobiologische Interesse eingebaut ‚Nimm mich wahr, lass mich spüren, dass ich mit dir verbunden bin, dass ich dazugehöre zur Community.“ Und das ist das Versprechen der Social Media: Hier schaut jemand auf dich. Wenn du hier bist, dann kriegst du Beachtung, mehr Wahrnehmung, als du im Alltag hast. Die Plattformen sind bewusst so konstruiert, dass sie dieses Gefühl permanent triggern.

Sendungshinweis

„Focus“ – Themen fürs Leben bei ORF Radio Vorarlberg, 13. April 2024, 13.00 bis 14.00 Uhr

Jetzt müsste man ja sagen, dann müssten die doch alle glücklich sein. Sind sie aber nicht. Die Forschung zeigt nämlich, dass je intensiver Social Media von jungen Menschen genutzt wird, desto unglücklicher sind sie, desto mehr Depressionen haben sie. Alleine schon drei Stunden am Tag in Social Media zu sein, verdoppelt das Depressionsrisiko, zeigt die Forschung. Sobald du da drin bist, passiert leider nicht das, was eigentlich das Versprechen ist. Jetzt passiert Konkurrenzkampf um Anerkennung: Wer ist besser, Wer hat mehr Likes, wer hat mehr Follower, Followerinnen? Wer sieht besser aus? Statt Friede, Freude, Eierkuchen und Gemeinschaft erleben die Jugendlichen Hass, permanente Konkurrenz und Stress.“

Professor Joachim Bauer verweist dazu auf ein Gutachten des Surgeon General of the United States, also auf die oberste medizinische Autorität in den USA, wonach Social Media ein Risiko für die psychische Gesundheit junger Menschen sei.

Buchtipp: „Realitätsverlust – Wie KI und virtuelle Welten von uns Besitz ergreifen – und die Menschlichkeit bedrohen“ 2023 im Heyne-Verlag.

Aus Sicht des Hirnforschers beschleunigen digitale Angebote einen Teufelskreis: Aus Einsamkeit fliehen sich viele in die digitale Welt – umgekehrt machen die digitalen Angebote einsam, weil man verlernt, wie man in der analogen Welt Freundschaften schließt und Beziehungen eingeht, schreibt Joachim Bauer.

Eine Debatte, die für oder gegen digitale Systeme, für oder gegen digitale Endgeräte geführt wird, läuft falsch – sagt Professor Joachim Bauer. „Die einzig entscheidende Frage ist, ob die Systeme uns dienen oder uns beherrschen, ob sie unser Werkzeug sind, oder wir zu ihrem Werkzeug werden.“

Zur Person:

Univ. Prof. Dr. Joachim Bauer ist Neurowissenschaftler, Genforscher, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, sowie Facharzt für Innere Medizin. Er ist in beiden Fächern habilitiert und zudem als Psychotherapeut ausgebildet und tätig. Professor Bauer lehrt und forscht und praktiziert in Berlin. Er hat 12 viel beachtete Bücher geschrieben, darunter 3 Spiegel-Bestseller.