Univ.-Prof. Dr. Joachim Bauer
http://www.psychotherapie-prof-bauer.de/
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„Focus“

Digitalisierung als Gefahr für kindliche Entwicklung

Die zunehmende Digitalisierung gefährdet die kindliche Entwicklung, warnt Hirnforscher Joachim Bauer. Bei einem Vortrag im ORF Landesfunkhaus Vorarlberg betonte er die Wichtigkeit von Beziehungen für Kinder und kritisierte den übermäßigen Medienkonsum.

Joachim Bauer – Beziehungsorientierte Pädagogik im Schatten der digitalen Welt. Aufgenommen im ORF Landesfunkhaus Vorarlberg im Rahmen der Reihe „Wertvolle Kinder“ des Vorarlberger Kinderdorfs.

Der deutsche Hirnforscher Joachim Bauer sagt schon seit Jahrzehnten: Es gilt für Kinder anregende Umwelten zu schaffen und den Medienkonsum auf Kinder so gut es geht unter Kontrolle zu bringen. Und letzteres wird immer schwieriger. Das bereitet Professor Bauer, einem der renommiertesten Wissenschaftler des deutschsprachigen Raumes, zunehmend Sorge.

Er sprach im voll ausgebuchtem ORF-Studio über beziehungsorientierte Pädagogik und wie diese Beziehung zu unseren Kindern durch digitale Endgeräte und diverse Apps gestört wird, weil sich viele immer mehr aus der Realität in die digitale Welt zurückziehen und von dieser regelrecht absorbiert werden.

Der renommierte Hirn- und Genforscher, Psychotherapeut, Arzt für innere Medizin und Bestsellerautor war Gast in der Reihe „Wertvolle Kinder“ des Vorarlberger Kinderdorfs. In seinem jüngsten Buch mit dem Titel „Realitätsverlust – Wie KI und virtuelle Welten von uns Besitz ergreifen – und die Menschlichkeit bedrohen“ reflektiert Professor Joachim Bauer nicht nur, wie die digitale Welt unser Leben verändert, er beschreibt auch, was wir noch tun können, um ein menschliches Miteinander zu bewahren. Sein Vortrag hieß: „Was Kinder brauchen, um seelisch und körperlich zu gedeihen: Beziehungsorientierte Pädagogik aus neurowissenschaftlicher Sicht.“

Sendungshinweis

„Focus“ – Themen fürs Leben bei ORF Radio Vorarlberg, 6. April 2024, 13.00 bis 14.00 Uhr

Wie wichtig dem Menschen die Beziehung ist, zeigt sich gleich unmittelbar nach der Geburt – der Mensch ist von Natur aus ein auf gelingende Beziehungen konstruiertes Wesen. Die Bezugspersonen, in der Regel die Eltern, treten mittels Resonanz- und Spiegelprozessen mit dem Baby oder dem Kleinkind in Kontakt. Nur so kann der Säugling überhaupt ein „Selbst“ entwickeln.

Bauer: „In den ersten Lebensjahren fördern wir die Entwicklung von Intelligenz vor allem dadurch, dass wir den Kindern Bezugspersonen zur Verfügung stellen, zu denen es Vertrauen hat und bei denen es sich sicher aufgehoben fühlt.“

„Es gibt wichtigeres als mich“

Diese wichtigen Beziehungen (auch jene unter Erwachsenen selbst) leiden heutzutage aber oft massiv unter den Ablenkungen durch das Smartphone, sagt Professor Dr. Joachim Bauer. Vor erst ca. 15 Jahren hat es die große Masse der Bevölkerung weltweit erreicht. Seitdem zieht es mit diversen Apps zunehmend die Aufmerksamkeit der Menschen ab. Bauer: „Jedes Mal, wenn der Kontakt zum Kind durch einen Blick aufs Smartphone abgebrochen wird, kriegt das Kind eine Message: ‚Es gibt etwas Wichtigeres als mich.‘“

Die Folgen sind eklatant, Professor Bauer nennt folgende: Die Sprachentwicklung verzögert sich, die Aufmerksamkeitsfokussierung entwickelt sich schlechter, die Intelligenzentwicklung leidet, auch die Rechen- und Schreibleistungen sind schlechter, auch die Emotionsregulation, die das Kind mit sich selber macht, läuft nicht mehr so gut. Kinder lernen üblicherweise viel durch und über ihren Körper (sie zählen beispielsweise anfänglich mit den Fingern) – unter anderem geht das verloren.

Erziehung funktioniert nur mit Bindung

Zudem funktioniert Erziehung laut Professor Bauer nur, wenn es die nötige Bindung zu echten Menschen gibt. Chatbots, Roboter oder das Smartphone können reale Bezugspersonen nicht ersetzen, sagt der Psychiater.

In der Sendung wird der renommierte Hirnforscher darauf noch konkreter eingehen und etwa die Auswirkungen von Sozialen Medien auf den Selbstwert von Jugendlichen beschreiben.
Das Buch „Realitätsverlust – Wie KI und virtuelle Welten von uns Besitz ergreifen – und die Menschlichkeit bedrohen“ ist 2023 im Heyne-Verlag erschienen.

Zur Person:

Univ. Prof. Dr. Joachim Bauer ist Neurowissenschaftler, Genforscher, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, sowie Facharzt für Innere Medizin. Er ist in beiden Fächern habilitiert und zudem als Psychotherapeut ausgebildet und tätig. Professor Bauer lehrt und forscht und praktiziert in Berlin. Er hat zwölf viel beachtete Bücher geschrieben, darunter drei Spiegel-Bestseller. Bauer ist Vater von zwei Kindern und Opa von zwei Enkelkindern.