Rebekka Reinhard
Sung-Hee Seewald
Sung-Hee Seewald
„Focus“

„Die Frau – Die Zentrale der Zuständigkeiten“

Dieses Mal geht es in „Focus“ um Rollenbilder, genauer gesagt um die Rolle der Frau. Die Münchner Philosophin Rebekka Reinhard zeigt in ihrem jüngsten Buch „Die Zentrale der Zuständigkeiten – 20 Überlebensstrategien zwischen Wollen, Sollen und Müssen“ schonungslos auf, wie tief Frauen heute noch in Vorstellungen des Biedermeier verhaftet werden und was frau dagegen tun kann.

Eine Frau ist die Zentrale der Zuständigkeiten, denn sie kann alles. Wer alles kann, ist aber auch für alles zuständig. Sie kämpft mit den Wünschen, Zielen, Meinungen anderer und den Nebenwirkungen: Wut, Stress. Angst. Zweifel. So steht’s auf dem Klappentext des Buches.

Rebekka Reinhard will keinen, wie sie sagt, verlogenen „Marketing-Feminismus“, keinen „Tupperware-Feminismus“. Der Vortrag (der vom ORF in der Arbeiterkammer Vorarlberg aufgezeichnet wurde) und das Buch tragen keinen Männerhass in sich. Rebecca Reinhard kritisiert ungerechte Systeme als solche.

Sendungshinweis: „Focus – Themen fürs Leben“ bei ORF Radio Vorarlberg, 11. Februar 2022, 13.00 bis 14.00 Uhr

Die Philosophin, Autorin und Journalistin hat ihr jüngstes Buch während der Pandemie aus einer gewissen Wut heraus geschrieben – in einer Zeit, als viele Frauen zu Hause blieben, ja bleiben mussten und für quasi alles zuständig waren. Sie dachte an die vielen Frauen, die zu Hause misshandelt wurden, an Frauen, die in exponierten, aber unterbezahlten Jobs hart arbeiten mussten wie die Supermarktverkäuferinnen.

Trennung in zwei Sphären

Sie sieht grundsätzlich eine Trennung in zwei Sphären, die es so ca. seit dem 18./ 19. Jahrhundert gibt und die laut Reinhard aus dem viktorianischen Zeitalter stammt: die Einteilung in eine harte Sphäre, die männliche Sphäre der Autonomie und Selbstverwirklichung und andererseits die weiche Sphäre, die weibliche Sphäre. Tief in den Köpfen steckt laut Reinhard immer noch drin, dass es diese weiche Sphäre ist, die eine gute Frau ausmacht – ihr Terrain: der Herd und der Wickeltisch.

Rebekka Reinhard: „Einerseits wollen, sollen und müssen wir heute als moderne Frauen natürlich in der harten Sphäre durchstarten. Das heißt also voll hart kapitalistisch Karriere machen, Geld verdienen. Ja, wir wollen das ja auch. Wir wollen ja auch was schaffen. Und Geld verdienen, macht einen ja auch selbstbewusster, autarker, autonomer. Auf der anderen Seite wollen wir aber gleichzeitig – selbstverständlich – in der uns angestammten weiblichen Sphäre performen. Andererseits wollen, sollen und müssen wir lieb sein, lächeln, bedienen, die Mediatorin geben für die diversesten Familienmitglieder und natürlich auch, was wir am besten können, großflächig Harmonie verbreiten. Aber dieser Widerspruch zwischen hart und weich, der zwingt uns leider in einen permanenten Kampfmodus. Jeden Tag. Wir kämpfen mit unseren eigenen Gefühlen, Gedanken, Wünschen, Träumen, Sehnsüchten. Und wir kämpfen natürlich mit den Erwartungen, Wünschen, Erfordernissen der anderen. Die Folge: Grübeleien, Selbstzweifel, Ängste, Nackenverspannungen. Ich glaube, 2023 ist ein sehr gutes Jahr, um da endlich rauszukommen und uns wirklich mal zu fragen, wo wir eigentlich heute stehen als moderne Frauen – in einer Gesellschaft, in der sich ja auch die Männer Gleichberechtigung wünschen.“

In beiden Bereichen glücklich zu sein – das geht nicht, das hält Philosophin Rebekka Reinhard für einen reinen Marketinggag. Sie verwehrt sich dagegen, dass das System Frauen „eine Schürze um den Laptop bindet“. Es braucht ihrer Ansicht nach eine neue Definition von Freiheit. „Ich glaube wir haben seit Corona gelernt und speziell auch mit dem schrecklichen russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, dass Freiheit heute eben nicht mehr bedeuten kann: jeder für sich, jeder nach seinem Ego, ob Frau oder Mann. Sondern Freiheit sollte, glaube ich, heute wirklich zusammengedacht werden – mit Zugehörigkeit, mit Liebe. (…)“

Rebekka Reinhard will ihr Buch als Methode verstanden wissen, sich klar zu werden, was man im Leben eigentlich wirklich will, ein Leben, das nicht nur andere glücklich macht, sondern auch uns. Was wäre ein Leben, das tatsächlich einen Beitrag liefert, zu einer besseren Gesellschaft? Immer mit dem Hintergrund, dass Freiheit Zugehörigkeit bedeuten sollte.

Aktuelles Frauenbild „verlogen“

Reinhard erachtet das aktuelle Frauenbild als genauso verlogen wie das „gleißend blonde dauerlächelnde, Marmelade einkochende Rollenideal der 50er- und 60er-Jahre“. Reinhard verweist auf die Soziologin Jutta Allmendinger, die einen Rückfall in diese Zeit durch empirische Studien belegt sieht. Deswegen will Rebekka Reinhard Strategien anbieten, etwas dagegen zu tun.

Die „Redemacht“

Ein ganz besonders wichtiges Thema ist ihrer Ansicht nach die „Redemacht“. Sie nennt es auch „die große Taubheit der Männer“. Reinhard zeigt plakativ auf, was gemeint ist, wie es einer Frau tagtäglich ergeht: „Stellen Sie sich vor, Sie sitzen an einem Tisch mit ihrem Team. Es ist ein gemischtes Team. Sie diskutieren ein wichtiges Problem und Sie äußern eine wirklich sensationelle Idee zur Lösung dieses Problems. Es ist eine geniale Idee und Sie tun das auch noch sehr artikuliert und argumentativ. Was passiert? Nichts passiert. Zwei Minuten später plappert ihr männlicher Kollege in den fast exakt identischen Worten genau diese Idee nach. Und das Spannende ist – er tut das nicht willentlich. Er ist überhaupt nicht böse. Er macht das einfach unbewusst, ja, quasi unbewusst verinnerlichter männlicher Privilegien, zu denen ganz an vorderster Front natürlich die männliche Rede-Macht gehört.“

Stummschalten der Frau

Das „Silencing“ – das Stummschalten der Frau – gibt es in unserm Kulturkreis schon sehr lange. Schon bei Homer wurden Frauen, die in der Öffentlichkeit redeten, mit blökenden Tieren, mit muhenden Kühen verglichen – und nicht ernst genommen. In ihrem Buch gibt Dr. Reinhard Tricks, wie man Männer argumentativ entlarven kann.

Erfolgsdenken nimmt zu

Reinhard stellt auch fest, dass das Erfolgsdenken immer mehr zunimmt, gerade in sozialen Medien. Der Druck, erfolgreich zu sein, wird größer trotz multipler Krisen.

„Auf Instagram oder LinkedIn da dominieren diese Stimmen des Erfolges, des ökonomischen Erfolges, des messbaren Erfolges, eines Erfolges, der in Ratings und Rankings am besten aufgehoben ist und wo jeder natürlich top ist. Alle sind super auf LinkedIn, alle sind entweder jetzt Top of the tops oder sie waren es. Und wenn sie gerade gescheitert sind, dann natürlich nur vorübergehend. Alle wollen erfolgreich sein, alle wollen erfolgreiche Menschen sehen, niemand checkt die Bilanzen. Deswegen ist es sehr interessant, dass in solchen kritischen Zeiten, wie der unseren, es wirklich immer eine Hochzeit ist von Hochstaplern, von Manipulatoren, von Narzissten sondergleichen, die diesen Erfolgs-Mythos immer weiter aufbauschen. (…) Ich denke, das ist ein ganz wichtiges Thema, dem wir heute als selbstdenkende, Hirn und Herz-begabte Frauen, jede für uns in ihrem kleinen Bereich wirklich entgegenwirken könnten. Denn wir tun auch uns, uns Frauen untereinander, etwas sehr Gutes, wenn wir mal unsere Erfolgs-Definition überdenken.“

Dieser Erfolgsdruck führt aus Sicht der Philosophin und Journalistin Rebekka Reinhard nämlich zu einer toxischen Stimmung unter Frauen, zu Neid.

„Und ich glaube, es ist ganz wichtig, (….) dass wir einander anschauen, dass wir lernen, einander wirklich zu sehen – in unserer ganzen Verletzlichkeit, in dem Ganzen, was möglicherweise hinter unserer mehr oder weniger perfekten Oberfläche ist und hinter unserem ganzen Sich-Zusammenreißen-Müssen.“

Frauen brauchen Frauen

Frauen brauchen Frauen. Ältere Frauen jüngere und umgekehrt. In ihrem Buch spricht die Philosophin auch das Thema „Älter werden von Frauen“ an: „Man sagt ja immer „eine ältere Frau“, man sagt ja kaum eine „alte Frau“. Eine alte Frau gibt es ja kaum in unserer Gesellschaft, man wird dann weggeschlossen, man darf nicht sichtbar sein. „Best Ager“ heißt es nun also und „Silver Ager.“ Aber wie gehe ich damit um? Ich finde, Simone de Beauvoir hat ein sehr gutes Buch geschrieben über das Alter. Ich finde es eigentlich fast ihr bestes Buch, weil sie so schön beschreibt, dass man selbst, solange man es körperlich nicht spürt, solange man den Tod und das Altwerden immer nur an anderen sieht und fühlt, so lange denkt man immer, das Alter betrifft nur die anderen. Es ist zu abstrakt, man versteht es intellektuell, aber man versteht es nicht seelisch. Und auf einmal ist man auf dieser anderen Seite. Und spätestens dann ist es so wichtig, dass man eine Haltung dazu entwickelt.“

Es gilt den Tod wahrzunehmen und mit ihm umzugehen. Dazu regt die Philosophin an, sich in anderen denkerischen oder auch spirituellen Traditionen umschauen. Konkret nennt sie den Taoismus.

„Das ist ja eine Philosophie, die von Anfang an, ähnlich wie Heraklit übrigens in der Antike, im Paradoxen denkt. Also aus hell wird dunkel – aus dunkel wird wieder hell. Und was den Tod betrifft: Aus Leben wird Tod, ja, aber aus Tod entsteht wieder neues Leben. Und das ist etwas, das in unserer Hochleistungsgesellschaft, ja in diesem ganzen Turbo-Jugendwahn viel zu wenig vorkommt. Dass man sich klarmacht, dieses ewige Verwandeln, das ganze Leben ist ein Change-Prozess, nicht nur eine endliche Transformation, die mit dem Tod endet, sondern eben eine unendliche Veränderung. Ich weiß nie, was sein wird, wenn ich sterbe. Wir wissen es nicht.“

Rebekka Reinhard erachtet es daher als immens wichtig „auf eine ganz banale Art und Weise wirklich Gutes zu tun und Gutes in die Welt zu bringen. Einfach zu lächeln. Das ist für mich die beste Anti-Aging-Methode.“

Was nun aber tun gegen tradierte, falsche Rollenbilder? Wie soll man die asymmetrische Verteilung von Privilegien und Pflichten bekämpfen? Rebekka Reinhard rät Eltern, authentisch zu sein, ein echtes Vorbild, weder dem Marketing-Feminismus zu huldigen noch ins Biedermeier zurückzufallen, sondern frei zu leben.