Leeres Krankenbett
LIGHTFIELD STUDIOS – stock.adobe.com
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„Focus“

Sterbewunsch und die Kraft der Zuversicht

Diese „Focus“-Sendung besteht aus zwei Vorträgen mit drei Referenten, die beim Vorarlberger Hospiz- und Palliativtag Anfang November gehalten wurden. Oberarzt Bernd Hartmann und der Leiter der Krankenhausseelsorge, Gerhard Häfele, sprachen in ihrem Vortrag über den Sterbewunsch. Im zweiten Vortrag, den der Psychotherapeut Bertram Strolz hielt, ging es um das Thema Zuversicht.

Seit Jahresbeginn gilt in Österreich das neue Sterbeverfügungsgesetz. Nach jahrzehntelangen Diskussionen gab es eine Liberalisierung – der assistierte Suizid wurde eingeführt. Die Beihilfe zur Selbsttötung ist damit nicht mehr strafbar. Unter verschiedenen Bedingungen, die als Schutzmechanismen zu sehen sind, kann man sich beim Suizid helfen lassen. Diese markante Änderung der Rechtsordnung war Thema des Vorarlberger Hospiz- und Palliativtages, der Anfang November vom Bildungshaus Batschuns im Kulturhaus Dornbirn veranstaltet wurde. Nach Ansicht der Organisatoren wird die Neuregelung jedenfalls eine tiefgreifende Veränderung in der Gesellschaft nach sich ziehen.

Oberarzt Dr. Bernd Hartmann, Facharzt für Innere Medizin am LKH Feldkirch, Seit 2020 Präsident der Österreichischen Krebshilfe Vorarlberg
KHBG
Der Präsident der Österreichischen Krebshilfe Vorarlberg, Oberarzt Dr. Bernd Hartmann

Auszüge aus den Gedanken in Form von Zitaten:

Bernd Hartmann:
„Auch wenn jede Regelung mit Unklarheiten verbunden ist, schafft ein Gesetz natürlich eine gewisse Klarheit. Diese Klarheit umfasst aber vor allem den Ablauf. Der Gesetzgeber hat sich die Dinge angeschaut und hat hier klare Regeln eingeführt. Früher hätte allein das Verschweigen einer Suizid-Absicht schon als Beihilfe gegolten und wäre strafbar gewesen. Es gibt somit den Beteiligten Rechtssicherheit. Diese Rechtssicherheit hat natürlich als erstes der Betroffene, der das in Anspruch nehmen kann, wenn das sein freier Wille ist, aber auch Angehörige können ihn dabei unterstützen, wenn sie das wollen. Das Freiwilligkeitsprinzip ist immer oberstes Gebot. Beispielsweise, wenn sie ihn unterstützen wollen, das Medikament in der Apotheke abzuholen, weil er dazu nicht mehr selber in der Lage ist. Aber es gibt auch für uns Betreuer eine gewisse Rechtssicherheit. Mit dieser Rechtssicherheit können wir zwar leben, aber wir wissen, es tun sich dadurch auch riesige Fragen auf.“

Sendungshinweis: „Focus“ – Themen fürs Leben bei ORF Radio Vorarlberg, 19. November 2022, 13.00 bis 14.00 Uhr

„Nicht jeder Sterbewunsch ist glücklicherweise auch ein Suizid-Wunsch. Vielschichtig sind natürlich die Gründe, welche diese Wünsche hervorbringen und die dahinterstehen. Wenn wir als Mediziner bei der Visite beispielsweise mit diesem Sterbewunsch konfrontiert werden, ist es wichtig, dass wir den Patienten hören, dass wir ihn sozusagen annehmen, dass er die Möglichkeit hat, darüber zu reden.

Aber wir müssen natürlich versuchen, zu ergründen was dahintersteckt. Die Frage – Was lässt dich denn so leiden? – finde ich hier sehr, sehr treffend. Meine Erfahrung ist, dass es oft Ängste sind, die den Patienten in diesen Bereich hier drängen. Beispielsweise höre ich oft: Ja, wie werde ich denn sterben? Was habe ich zu befürchten? Wie ist es mit den Schmerzen? Muss ich ersticken? Ich fühle mich ohnmächtig. Ich fühle mich ausgeliefert. Ich kann nicht mehr kommunizieren. Ich fühle mich wertlos. Solange ich gearbeitet habe, war ich wer. Jetzt bin ich sozusagen niemand, falle zur Last.

Auch die Würdelosigkeit ist eine große Last und eine große Angst, plötzlich nicht mehr über sich selbst herrschen zu können, ein Pflegefall zu werden. Beschämend, sich gewisse Dinge machen zu lassen: sich pflegen zu lassen, sich füttern zu lassen, sich reinigen zu lassen. Auch der Verlust der Selbstbestimmung ist eine große Angst mancher Leute. Der Gedanke, wenn ich jetzt ins Koma falle, was machen die mit mir? Ich kann mich nicht mehr äußern. Ich kann nicht mehr ablehnen, was ich nicht mehr will, sondern die tun, was sie für richtig halten.“

„Wir beide glauben, dass wir durch die Kommunikation im Team mit den Patienten, mit den Angehörigen, mit allen Involvierten Lösungsvorschläge oder Wege eröffnen können, Perspektiven eröffnen können, damit man diesem Sterbewunsch oder Betreuungswunsch des Patienten besser gerecht wird. Wir glauben, dass nur die Kommunikation es schafft, hier die Individualität des Patienten zu erkennen, dass die Kommunikation wirklich Perspektiven eröffnet, damit sich Wege auftun, die dann jeder selber für sich gehen kann -sehr individuell und für jeden passend.“

Gerhard Häfele Lic., MSc, Studium der Philosophie und Theologie;  Master of Science (Palliative Care),   
Leiter der  Krankenhausseelsorge, Diözesane Koordination für Senioren- und Pflegeheimseelsorge
Dietmar Mathis
Gerhard Häfele Lic., MSc, Studium der Philosophie und Theologie; Master of Science (Palliative Care),

Gerhard Häfele:
„Vielleicht geht es eher darum, die palliative Kultur im Lande voranzubringen. Wir haben vorhin gehört, dass der Wunsch, sterben zu wollen, manchmal schon sehr früh beginnen kann.

Unsere Autonomie, mit der wir Entscheidungen treffen, hat oft Grundlagen, die schon im Kindesalter gelegt worden sind. Und darum möchte ich darauf hinweisen, dass man nicht nur Stationen -Hospizstationen oder Palliativstationen- errichtet, sondern es geht um eine palliative Kultur. Wie gehen wir mit Krankheiten und Leid um? Wie stehen wir heute da? Wenn ich an den Pflegenotstand denke: Bei uns im Land können 150 Betten in Pflegeheimen nicht betreut werden, weil keine Pflegekräfte hier sind.

Was schaffen wir gesellschaftlich für Bedingungen, damit überhaupt autonome Entscheidungen gut möglich werden?
Und es werden immer auch offene Fragen bleiben, weil jede und jeder von uns unterschiedliche Zugänge hat, die es immer wieder zu reflektieren gilt. Ich denke, jeder von uns hat seine private Haltung dazu. Hier sind wir auf der Ebene der Individual-Ethik.

Es gibt aber auch die Frage nach der institutionellen Haltung. Wie positioniert sich eine Organisation? Hier würde es um die Organisations-Ethik gehen. Jeder von uns arbeitet im Gesundheitswesen hauptamtlich oder ehrenamtlich. Jeder von uns ist auf Stationen, ist in verschiedenen Bereichen tätig. Das heißt, wir sind nie alleine für uns unterwegs, sondern immer auch im Namen einer Organisation. Und all diese Aspekte gilt es genau im Blick zu haben, wenn man über das Sterbeverfügungsgesetz und die Frage der Autonomie nachdenkt.“

„Manches Mal habe ich auch den Eindruck, wenn mir jemand sagt, ich möchte gerne sterben, ist das auch eine Frage, mit der er ein bisschen prüft, was sage ich jetzt? Manchmal habe ich auch den Eindruck, dass mancher vielleicht einfach wissen möchte, wie reagierst du darauf? Ich erlebe auch Menschen, die manchmal mir wirklich sagen: Ich möchte gerne sterben.

Und wenn ich dann so frage – Heißt das vielleicht auch assistierten Suizid in Anspruch zu nehmen? – da ziehen dann doch viele wieder eine klare Grenze. Weil sie spüren, es ist ein Unterschied: Ich lass dem Leben seinen Lauf oder auch dem Sterben seinen Lauf. Oder ich setze eine aktive Art, die dieses Leben jetzt beendet.

Ich denke, wir haben gesehen, dass es ganz schlimme Situationen gibt, wo Verständnis da ist, dass ein Mensch sterben möchte. Ich merke bei mir selber aber auch die Gefahr, dass ich vom Mitgefühl ins Mitleiden komme. Mitgefühl würde ich definieren, mit dieser empathischen Haltung auf einen Menschen zuzugehen, ihm Ansehen, Würde, Hilfestellung zu geben.

Mitleid: Da merke ich, da passiert mir dann irgendetwas, wo ich mich mit der anderen Person identifiziere, oder noch besser gesagt, wo ich die andere Person mit mir identifiziere. Ich sehe plötzlich mich selber in dieser Situation. Das löst dann in mir selber ja Gefühle von Unsicherheit, Leid, Ohnmacht aus.

Da spüre ich dann, dass es auch Situationen gibt, wo ich manchmal fast zu verständnisvoll werde. Ich habe früher sehr, sehr schnell gesagt: Ich habe Verständnis dafür. Bis mir ein Patient einmal gesagt hat: Ja, wenn Sie als Seelsorger auch dafür Verständnis haben, dann hat mein Leben echt keinen Sinn mehr!“

Der Leiter der Krankenhausseelsorge Gerhard Häfele hat seit der Einführung des neuen Gesetzes ein gewisse Veränderung bemerkt – und zwar bei den sterbenden Menschen. Er merkt an: Das Recht zu Sterben, darf nicht zur gefühlten Pflicht zu Sterben werden.

Bertram Strolz, Psychotherapeut und Sozialpädagoge,
Gründer und Leiter der Akademie für Positive Psychologie Vorarlberg
Christof Schöch
Bertram Strolz, Psychotherapeut und Sozialpädagoge,

Gedanken in Zitatform von Bertram Strolz

„Die Anatomie der Hoffnung und der Zuversicht ist ein Geschenk der Evolution, oder des lieben Gottes, oder der Schöpfung. Egal wer es geplant hat, es ist genial. Das, was unser Hirn in dieser Evolution entwickelt hat, ist eine phänomenale Fähigkeit, nämlich die der Vorstellungskraft. Es ist die Fähigkeit, Zukunft zu denken. Sprich wir freuen uns auf etwas, was noch nicht da ist. Diese Fähigkeit macht’s. Das ist das Training von Hoffnung.“

„Dankbarkeit ist eine Herzensenergie. Dazu gibt es medizinische Untersuchungen. Dankbarkeit wird zwischenzeitlich auch in der Psychotherapie wie ein Medikament eingesetzt. Wir wissen aus Untersuchungen, dass psychopathologische Effekte eintreten, dass das Risiko auf Herzinfarkt, Schlaganfall usw. deutlich sinkt, wenn wir Dankbarkeit kultivieren, weil die Blutgefäße sich weiten und der Blutdruck sinkt. Bei Dankbarkeit geht es laut Forschung oft um Themen wie Gesundheit, Familie, Beziehung oder eine Natur. Wenn wir mit diesem Gefühl der Dankbarkeit in die Zukunft schauen, dann hoffen wir, dass diese Punkte auch in Zukunft gesichert sind. Daraus entsteht Zuversicht.“