Lambert Wiesing
Anne Günther
Anne Günther
„Focus“

„Die Freunde des Nichtwissens“

Der größte Teil der Philosophinnen und Philosophen hat sich der Förderung des Wissens verschrieben. Der deutsche Philosophieprofessor Lambert Wiesing hingegen stellt eine kleine Gruppe von Philosophen vor, die nahezu alles infrage stellt.

Die meisten Philosophinnen und Philosophen vertreten die Haltung, dass Wissen etwas Positives ist, denn er Mensch befreit sich dadurch aus Abhängigkeitsverhältnissen: Je mehr Wissen, desto besser.

Sendungshinweis:
„Focus“ – Themen fürs Leben bei ORF Radio Vorarlberg

Wiesing hingegen stellt in seinem Vortrag „Skepsis und Postmoderne – Die Freunde des Nichtwissens“, aufgezeichnet beim Montagsforum in Dornbirn, eine Gruppe von Philosophen vor, die als extreme, radikale Denker und Skeptiker eine Außenseiterposition einnehmen – aber wie Wiesing meint, eine sehr reizvolle und spannende. Er bezeichnet diese Denker als „Freunde des Nichtwissens“.

Wissen ist mit Nachteilen verbunden

Sie halten es gar nicht für möglich, dass wir Wissen erlangen – und sie finden das obendrein sogar gut. Diese Denker sehen eine skeptische Haltung positiv. Etwas zu wissen ist aus ihrer Sicht immer mit dem Nachteil verbunden, dass ein glückseliges Leben beziehungsweise eine plurale Gesellschaftsordnung gefährdet wird.

Die Universitäten gerieten daher in Verdacht, etwas Übles zu erzeugen. Die Einsicht in die Unhaltbarkeit von Wahrheitsansprüchen ist aus Sicht dieser Skeptiker daher kein Verlust, sondern ein befreiender Gewinn. Heute – sagt Wiesing – bezeichnen sich zwar viele als Skeptiker, das seien aber bestenfalls Trittbrettfahrer.

Drei ernst zu nehmende Skeptiker in der Geschichte

Drei Mal erst gab es laut Wiesing in der Geschichte des Abendlandes philosophisch ernst zu nehmende radikale Skeptiker. In der Antike die sogenannten Pyrrhoneer (benannt nach dem griechischen Philosophen Pyrrhon), das zweite Mal die Dadaisten zu Beginn des 20. Jahrhunderts und dann, am Ende des 20. Jahrhunderts, die Denker der Post-Moderne. Sie alle haben eine Freundschaft zum Nicht-Wissen verteidigt.

Wahrheit als etwas Gefährliches

In der Postmoderne haben diese radikalen Denker sogar Angst vor der Wahrheit, denn Kriege oder Terroranschläge wurden und werden doch immer von Personen verursacht, die behaupten, im Namen der Wahrheit zu handeln. Für Vertreter der Postmoderne wird die Wahrheit daher zu etwas Gefährlichem.

Deren Verlust sehen sie als Gewinn in Richtung Autonomie, als eine Befreiung. Ein Ziel der Postmoderne ist Pluralität. Man will die unterschiedlichsten Meinungen nebeneinander stehen und quasi friedlich miteinander leben lassen.

Instrumentalisierung und Missbrauch von Ideen

Doch was gut gemeint ist, muss nicht unbedingt zu Gutem führen. Dieses radikale Denken der Postmoderne birgt Gefahren in sich. Etwa, dass diese Ideen instrumentalisiert werden, sagt Wiesing, ja manchmal sogar missbraucht werden. Das zeigt sich in der Gegenwart immer wieder in erschreckender Weise: Die befreiende und emanzipatorische Absicht hinter skeptischen und postmodernen Philosophien kippt regelrecht ins Gegenteil um, wenn der Zweifel nur noch für die Meinung des anderen in Anspruch genommen wird.

Als Beispiele nennt Wiesing die Ära Donald Trump, in der unter den Verweis auf „Alternative Fact“ und „Fake News“ andere Meinungen nicht mehr zugelassen wurden. „Es ist dies eine gefährliche Kehrseite skeptischer und postmoderner Philosophien, die Teile des gegenwärtigen gesellschaftlichen Lebens in bedenklicher Weise prägen“, sagt Wiesing.

Die Haltung der Skepsis – Wahrheit sei gefährlich – war ein Lebensgefühl, wird nun mitunter aber für politisch bedenkliche Zecke schlichtweg missbraucht, beschreibt Wiesing. Die radikale Denkweise war seiner Ansicht nach nie argumentativ überzeugend.