Peter Bußjäger im Interview vor Bücherregal
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Bußjäger: Druck auf Politik steigt durch Klimaurteil

Erstmals hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) mit der Schweiz ein Land wegen mangelnden Klimaschutzes verurteilt – und damit zum Ausdruck gebracht: Klimaschutz ist ein Menschenrecht. Verfassungsjurist Peter Bußjäger rechnet künftig mit mehr Klagen in diese Richtung.

Rund 2.000 Schweizer Seniorinnen warfen ihrer Regierung vor, durch mangelnden Klimaschutz ihre Menschenrechte zu verletzen, und zogen deshalb bis an das Straßburger Gericht. Dieses gab ihnen am Dienstag recht und forderte die Schweiz in ihrem Urteil auf, stärkere Maßnahme für den Klimaschutz zu ergreifen. Mehr dazu – „Historischer Wendepunkt“ für Klimapolitik (news.ORF.at)

Verfassungsjurist Peter Bußjäger rechnet künftig mit mehr Klagen in diese Richtung. Der Verfassungsgerichtshof, der sich dann mit diesen Klimagesetzen und Verordnungen beschäftigen muss, könne manche dieser Klimagesetze als verfassungswidrig aufheben, aber keine Neuen veranlassen, sagt Bußjäger.

ORF Vorarlberg: Wie wichtig ist dieses Urteil für künftige klimapolitische Fragen?

Bußjäger: Dem Urteil kommt gewiss eine erhebliche Bedeutung zu. Erstmals hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte klargestellt, dass Klimaschutz in die Schutzpflicht des Staates fällt und daher auch ein Grundrecht ist, auf das die einzelnen Bürgerinnen und Bürger Anspruch haben. Insoweit kommt diesem Urteil eine große Bedeutung zu, auch für Österreich, weil Österreich Mitglied der Europäischen Menschenrechtskonvention ist. Die konkreten Folgerungen aus dem Urteil sind allerdings noch nicht so klar absehbar.

ORF Vorarlberg: Wird das Urteil den Druck auf klimapolitische Entscheidungen auch auf der Landesebene erhöhen?

Bußjäger: Ich glaube, dass darin die vornehmliche Wirkung, also die hauptsächliche Wirkung dieses Urteils liegen wird. Es wird den Druck auf die Politik insgesamt erhöhen, sowohl auf der Bundesebene als auch auf der regionalen, auf der Landesebene.

ORF Vorarlberg: Die Menschenrechtskonvention steht ja in Österreich im Verfassungsrang. Kann ich dann als Einzelner künftig klimapolitische Verletzungen auch beim Verfassungsgerichtshof ganz einfach bekämpfen?

Bußjäger: Es wird gewiss so sein, dass ich vor dem Verfassungsgerichtshof die Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes oder einer Verordnung einer Landesregierung oder der Bundesregierung geltend machen kann, weil diese Rechtsvorschrift jetzt vereinfacht formuliert dem Klimaschutz widerspricht. Das kann ich prinzipiell geltend machen. Ob der Verfassungsgerichtshof dann tatsächlich darauf einsteigt ist allerdings auch vor dem Hintergrund des heutigen Urteils offen. Allerdings wird er sich leichter tun, mit dieser Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte im Rücken, dass er in solchen Fällen einen Verstoß, im konkreten Fall gegen Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention, des Rechts auf Privat und Familienlebens, annimmt.

ORF Vorarlberg: Gibt es da greifbare Beispiele oder Fälle, bei denen Sie sich vorstellen können, dass aufgrund dieses Urteils auch in Österreich etwas verändert wird?

Bußjäger: Also wenn ich mir gewisse Vorhaben vorstelle, die bisher genehmigt wurden, beispielsweise der Bau einer dritten Piste beim Flughafen Schwechat, dann könnte ich mir vorstellen, dass sich Beschwerdeführer recht erfolgreich darauf berufen könnten, dass der Bau einer dritten Landepiste für einen Flughafen nicht mit dem Klimaschutz vereinbar ist. Ob dasselbe Argument dann vom Verfassungsgerichtshof auch akzeptiert würde, wenn es um beispielsweise den Bau der S18 geht, bleibt offen. Aber jedenfalls wird sich diese Frage dann auftun.

ORF Vorarlberg: Letztes Jahr gab es von Jugendlichen einen Antrag an den Verfassungsgerichtshof, dass ihre Zukunft gefährdet ist. Der wurde abgelehnt. Mit dem neuen Urteil im Hintergrund wäre das vermutlich ein ganz ein anderes Prozedere, oder?

Bußjäger: Das wäre sicherlich ein anderes Prozedere. Trotzdem muss jeder Fall für sich selbst beurteilt werden. Allerdings ja, das Urteil hat sicherlich eine gewisse Bresche geschlagen, dass derartige sogenannte Klagen in Zukunft auch beim Verfassungsgerichtshof angenommen werden.

ORF Vorarlberg: Konnte das bis jetzt nicht auch durch die Schutzpflicht gewährleistet werden, dass solche Sachen einfach berücksichtigt werden von den Behörden?

Bußjäger: Ganz neu sind solche Schutzpflichten nicht. Das hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in der Vergangenheit in seiner Judikatur bereits anerkannt, er hat beispielsweise zugebilligt, dass jemand in seinem Recht auf Leben verletzt ist, wenn der Staat überhaupt keine Maßnahmen zur Abwehr beispielsweise einer drohenden Katastrophe ergriffen hat. Er hat auch festgestellt, dass ich in meinem Recht auf Privat und Familienleben beeinträchtigt bin, wenn ich überhaupt keine Möglichkeit habe, beispielsweise gegen die Lärmemissionen von einem Großflughafen in meiner Nachbarschaft vorzugehen. Also solche Einzelfälle hat es bisher schon gegeben. Und wie gesagt, man wird jetzt die Urteilsausfertigung abwarten müssen. Ich gehe davon aus, dass der Europäische Gerichtshof hier seine bisherige Judikatur fortentwickelt hat.

ORF Vorarlberg: Nehmen wir einmal an, der Verfassungsgerichtshof gibt einer Klage statt. Kann man dann auch die Landespolitik dazu verpflichten, dass sie konkrete Zahlen liefern muss, wie man CO2 Emissionen senkt?

Bußjäger: Da stellt sich dann das Problem aus meiner Sicht. Der Verfassungsgerichtshof ist ein sogenannter negativer Gesetzgeber, das heißt, er kann ein Gesetz oder eine Verordnung wegen Verfassungswidrigkeit aufheben. Er könnte beispielsweise sagen, ein Tempolimit von 130 km/h auf Autobahnen ist zu hoch. Das könnte er theoretisch sagen. Er kann aber keine andere Norm anstelle der aufgehobenen Normen erlassen. Das ist dann Aufgabe der Politik, das heißt letztenendes wird immer der demokratisch gewählte Gesetzgeber die Entscheidung treffen müssen. Der Verfassungsgerichtshof kann nur die Leitlinien andeuten, was konkret gemacht werden muss, das wird weiterhin, und das ist meines Erachtens auch richtig so, im Verantwortungsbereich des Gesetzgebers liegen.

ORF Vorarlberg: In welche Richtungen könnte jetzt dieser Trend gehen, also aus welcher Richtung könnten in nächster Zeit mehr Klagen kommen?

Bußjäger: Also wir beobachten schon seit einigen Jahren den Trend, dass beispielsweise der Kreis der Personen und Institutionen, die gegen bestimmte Verwaltungsentscheidungen eine Beschwerde bei den Gerichten einbringen können, das bis zu den Höchstgerichten bringen können, dass dieser Kreis immer weiter wird. Ein schönes Beispiel ist die Diskussion rund um den Wolf, der alle möglichen Unterstützer hat in Form von NGOs, die sozusagen zu seinem Schutz Beschwerde bei den Verwaltungsgerichten einbringen. Das geht im Einklang mit dieser Entwicklung. Und das neue Urteil deutet darauf hin oder wird vermutlich diesen Trend weiter beschleunigen, dass Vereinigungen für bestimmte Personengruppen oder auch für bestimmte Interessen auftreten und diese Interessen dann vor den Gerichten durchsetzen wollen. Und ja, damit wird auch in gewisser Hinsicht eine Rechtsschutzlücke, die bisher bestanden hat, geschlossen.

Lins: „Klimawandel betrifft uns alle“

Naturschutzanwältin Katharina Lins sagt, dass ein Recht auf Leben, Gesundheit und körperliche Unversehrtheit nicht nur der Schutz vor kriminellen Übergriffen, sondern auch der Schutz vor den Folgen des Klimawandels sei. „Man weiß ja schon lange, dass die Staaten verpflichtet sind, zum Beispiel ihre Bürger vor kriminellen Übergriffen zu schützen. Aber für jeden einzelnen von uns ist wahrscheinlich ein bewaffneter Raubüberfall ein kleineres Problem als der Klimawandel. Der Klimawandel wird letztlich alle betreffen und er betrifft Leute, die krank sind, die schon älter sind, die sozial schwach sind, die wenig Geld haben, die betrifft er stärker. Ich glaube, das wurde auch zum Ausdruck gebracht“, sagt Lins.