Kinder und Jugendhilfe
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Chronik

Jugendarbeit: Straftaten mit Kindern reflektieren

Kinder unter 14 Jahren sind in Österreich strafunmündig. Wenn sie eine Straftat begehen, gibt es keine Anzeige. Dann gehe es um Bewusstseinsbildung und darum, die Tat gemeinsam mit den Kindern und Jugendlichen zu reflektieren, sagt Sozialarbeiter Philipp Rümmele von der Offenen Jugendarbeit Dornbirn.

Zum Reflektieren einer Straftat gehöre beispielsweise, sich eine mögliche Wiedergutmachung zu überlegen, führt er an. Man müsse Kinder und Jugendliche dabei unterstützen, darüber reden und reflektieren: „War das wirklich so gut? Was denkst du dir dabei“, erklärt Rümmele.

Sind Kinder und Jugendliche straffällig geworden, würden sie Hilfe benötigen, sagt Rümmele. „Gerade bei Jugendlichen aus schwierigen Familien, wo vielleicht die Unterstützung der Eltern nicht da ist“, beschreibt er. „Es gibt wissenschaftlich belegte Zahlen: Wenn Jugendliche eine positive Begleitung haben, sinkt die Chance einer wiederholten Delinquenz“, betont er.

Immer mehr Kinder und Jugendliche werden straffällig

„Es gibt immer wieder Fälle, wo Kinder straffällig werden, diese Zahlen nehmen österreichweit auch zu. Das ist eine Entwicklung der letzten Jahre“, gibt Simon Burtscher-Mathis, Soziologe und Geschäftsführer des Vorarlberger Kinderdorfs, zu bedenken. Manche dieser Kinder seien auch einmal im Kinderdorf, im Jupident oder in anderen Einrichtungen untergebracht.

„Nicht alle sind im Kinder- und Jugendhilfesystem, aber viele. Dann wird mit ihnen vorwiegend so gearbeitet, dass wir schauen, wieso haben sie dieses Verhalten gesetzt, was haben sie sich überlegt. Wir gehen praktisch in eine Reflexion mit ihnen und versuchen, ihnen auch im Sinne einer Risikokompetenz zu vermitteln, dass wenn sie dieses Verhalten setzen und vorher nicht überlegen, was dieses Verhalten auslöst, entsprechende Konsequenzen damit verbunden sind“, sagt er.

Pubertierende testen ihre Grenzen

Am Samstag haben zwei Kinder in der Liebfrauenkirche in Feldkirch Feuer gelegt. Ein 12-Jähriger wurde von der Polizei aufgegriffen, sein Komplize wird noch gesucht. In diesem Alter, dieser Entwicklungsphase der Pubertät, geht es laut Sigrid Hieble-Gruber, Psychologin beim ifs, darum, herauszufinden, an welche Regeln man sich halten muss.

Was passiert mit 12-jährigen Brandstiftern?

„Es ist nicht überraschend, dass Jugendliche, dass Pubertierende in Situationen geraten, die vom Rahmen abweichen, weil das ihre Aufgabe ist, weil das etwas ganz entwicklungspsychologisch Richtiges ist, zu testen, welche Räume stehen zur Verfügung“, gibt Hieble-Gruber zu bedenken.

Kinder haben noch kein abstraktes Denken

„In erster Linie haben Kinder in diesem Alter noch kein abstraktes Denken. Sie stehen ja nicht auf und gehen dann in eine Kirche hinein und überlegen sich: ‚Okay, ich möchte jetzt diese Menschen in ihrem Glauben stören oder diese Kirche schänden‘“, beschreibt Burtscher-Mathis den Vorfall vom Samstag.

„Sie sind unterwegs und dann fällt ihnen eine Idee ein, dann gehen sie in die Kirche und versuchen, den Opferstock zu knacken“, beschreibt er. „Und dann kommen sie auf die Idee, dass sie die Spuren verwischen können. Also da passiert vieles spontan, ohne dass sie sich der Konsequenzen bewusst sind.“

Kein Unterschied zwischen Buben und Mädchen

Dabei sei es wichtig, zwischen Kindern und Erwachsenen zu unterscheiden. Begehe ein Erwachsener eine solche Tat, sei er sich der Konsequenzen bewusst, weil er das abstrakte Denken bereits entwickelt habe. „Also ein Teil der Erklärung ist natürlich das Alter, die Kindheit und natürlich auch der Stand der Entwicklung im Denken“, betont Burtscher-Mathis.

Im Gespräch mit Simon Burtscher-Mathis: Kinder und Straftaten

Einen generellen Unterschied zwischen Buben und Mädchen gebe es nicht, meint Burtscher-Mathis. „Es gibt vielleicht unterschiedliche Formen, wie Kinder sich heute generell ausprobieren und Grenzen in Erfahrung bringen. Es gibt viele Formen von Vandalismus“, betont er.

Senkung der Strafmündigkeit ist keine Lösung

„Die Senkung der Strafmündigkeit, da sind sich alle Experten einig, ist keine Lösung“, stellt er klar. „Es ist keine Lösung, Kinder wegzusperren, einzusperren, sie mit Verboten zu belegen. Kinder brauchen Entwicklungsräume, um Grenzen erfahren zu können, um sich auszuprobieren. Wenn wir sie wegsperren, fehlen diese Entwicklungsräume. Das wird uns später dementsprechend auch wieder negativ mit Konsequenzen begegnen.“

„Wir können das Problem nicht juristisch lösen, wir müssen Kinder- und Jugendhilfemaßnahmen stärken, wir müssen uns Zeit nehmen für diese Kinder und mit ihnen in Begegnung, Beziehung und Auseinandersetzung gehen“, beschreibt er. Diese Kapazitäten habe man in Vorarlberg, das Kinder- und Jugendhilfesystem sei insgesamt sehr gut ausgebaut, betont er.

Nicht von einem Fall auf alle Kinder schließen

„Wir haben unterschiedliche Angebote, über die verschiedenen Einrichtungen hinweg“, beschreibt Burtscher-Mathis. Man bemühe sich, passgenau auf Anforderungen zu reagieren. „Es ist natürlich immer wieder eine neue Herausforderung, weil die Kinder unterschiedliche Bedarfe mitbringen. Aber wird dürfen nicht von einzelnen Kindern auf alle schließen, das sind auch immer Einzelfälle, Spitzen, die da sichtbar werden“, stellt er klar.