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Politik

Historiker warnt vor Parallelgesellschaften

Kurz vor Ostern hat sich die ÖVP für eine neue „Leitkultur“ stark gemacht. Tradition statt Multikulti und die Pflege des Brauchtums sollen unter anderem die Eckpfeiler sein. Während der Schriftsteller Michael Köhlmeier die ÖVP zur Neugründung auffordert, betont der Historiker Wolfgang Weber die Bedeutung der Verfassung als Leitkultur.

Die Aussage der ÖVP zur „Leitkultur“ hat in Österreich eine intensive Debatte ausgelöst. Der Vorarlberger Schriftsteller Michael Köhlmeier legte der Partei sogar nahe, sich aufzulösen und neu zu gründen. Doch was genau bedeutet „Leitkultur“ in diesem Kontext und wie sollte sie in einer demokratischen Gesellschaft verstanden werden?

Die Bedeutung der Verfassung als Leitkultur

Laut dem Historiker Wolfgang Weber hat jede Demokratie, ob autoritär geführt oder republikanisch, eine „Leitkultur“. In Österreich ist diese seit dem 1. Oktober 1920 in der Verfassung verankert. „Die Leitkultur in Österreich ist, dass wir eine demokratische Republik sind und die Macht vom Volke ausgeht“, erklärt Weber. Die aktuelle Diskussion um die Leitkultur sei daher grundsätzlich von großer Bedeutung. Der Begriff der Leitkultur sei ursprünglich von dem syrisch-stämmigen Politikwissenschaftler Bassam Tibi geprägt worden, der in den 1960er Jahren nach Deutschland gekommen war und eine europäische Leitkultur gefordert hatte.

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Leitkultur jenseits von Schnitzel und Blasmusik

Weber betont, dass die Leitkultur nicht zwangsläufig Schnitzel und Blasmusik beinhalten muss. Vielmehr gehe es um kulturelle Werte wie Menschenrechte, Toleranz, Pluralismus und Demokratie. „Das sind solche Leitwerte, die sich auch in der Leitkultur in Europa seit 200 Jahren findet“, so Weber. Er sieht hinter der aktuellen Leitkulturdiskussion politisches Kalkül und kritisiert die ÖVP für ihre Kampagne, die dem eigenen Parteiprogramm widerspreche. Damit wolle man vor allem in anderen Parteiwählerschaften fischen.

Die Gefahr von Parallelgesellschaften

Die Diskussion um die Leitkultur kann laut Weber nur dann einen positiven Beitrag leisten, wenn es gelinge, alle gesellschaftlichen Gruppen zu erreichen. Andernfalls bestehe die Gefahr, dass Menschen, die einwandern, sich nicht mit der Leitkultur identifizieren können und abrutschen. „Dann gibt es das, was die Forschung als Parallelgesellschaft bezeichnet. Und die haben wir auch in Österreich schon, auch in Vorarlberg, an vielen Ecken“, warnt Weber. Wer gegen die Leitkultur verstoße, könne strafrechtlich belangt werden oder in Parallelgesellschaften abrutschen, die ihre eigene Leitkultur entwickeln und mit der Hauptkultur in Konflikt geraten könnten.