Bild eines Davidsterns an einer Kette, der in einem Holzbrett steckt – als Symbolbild für Antisemitismus/Judenhass oder jüdischen Glauben
Getty Images/iStockphoto
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Chronik

Der neu entfachte Antisemitismus

Ausgerechnet am Jahrestag der Pogromnacht von 1938 wurde eine Anzeigetafel vor dem ORF-Landesfunkhaus antisemitisch beschmiert. Vor 85 Jahren wurden auch in Vorarlberg jüdische Geschäfte und Einrichtungen geschändet und zerstört. Die Judenfeindlichkeit sei nie verschwunden, sagt der Bregenzer Historiker Werner Dreier – jetzt sei sie nur neu entfacht worden.

Der Hass gegen Jüdinnen und Juden ist seit den Terrorangriffen der Hamas auf Israel am 7. Oktober wieder deutlicher sichtbar geworden. Dass nun ausgerechnet am Datum des mahnenden Gedenkens an die Hassverbrechen, die vor fünf Jahren auch in Vorarlberg verübt worden sind, eine Leuchttafel vor dem ORF-Landesfunkhaus antisemitisch beschmiert wurde, beurteilt der Bregenzer Historiker Werner Dreier als gezielte Provokation.

Dr. Werner Dreier
erinnern.at
Historiker Werner Dreier

Gegen das gelingende Zusammenleben gerichtet

„Die Frage ist, was will denn jemand, der sowas tut, bezwecken? Und ich glaube, eine Sache ist, dass möglichst viel an gesellschaftlichen Frieden und gelingenden Zusammenleben zerstört werden soll“, meint Dreier im Interview mit dem ORF Vorarlberg. Damit solle möglichst viel Empörung erzeugt werden: „Weil diese Zerstörung eines friedlichen Zusammenlebens dann anderen nützt, die daraus dann sozusagen ihren Gewinn ziehen wollen – nämlich möglicherweise, um eine andere Form von Gesellschaftsordnung zu etablieren.“

Die Novemberpogrome 1938

bezogen auf die Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 auch Reichskristallnacht oder Kristallnacht, Jahrzehnte später Reichspogromnacht genannt – waren vom nationalsozialistischen Regime organisierte und gelenkte Gewaltmaßnahmen gegen Juden im Deutschen Reich.

ORF zeigt Schmiererei bewusst nicht

Die zuständigen Behörden wurden über die Schmieraktion auf der Leuchttafel des ORF informiert. Sie wurde bereits entfernt. Wir haben uns entschieden, die Beschmierung nicht bildlich zu zeigen. Der ORF Vorarlberg lässt sich nicht dazu instrumentalisieren, um über die mediale Verbreitung Empörung und Hass weiter zu schüren.

ORF Vorarlberg: Ist es ein Zufall, dass ausgerechnet der ORF für diese antisemitische Schmieraktion ausgewählt wurde?

Werner Dreier: Das ist natürlich Spekulation: Aber was man schon sagen kann, möglichst symbolträchtige Orte, wo möglichst viel Öffentlichkeitswirksamkeit erreicht werden kann, sind für einen Menschen, der so etwas tut, wohl die geeigneten Orte.

ORF Vorarlberg: In vielen Städten gibt es im Moment Proteste, sogar Ausschreitungen. Manchmal stellt man sich die Frage: woher kommen denn die ganzen Leute, die man jetzt in den Medien sieht und die sich da gewaltvoll in Szene setzen?

Werner Dreier: Wir haben eine lange Geschichte von antijüdischen Ressentiments und auch antijüdischer Gewalt in Europa und auch hier in Österreich. Und wenn man sich heute anschaut, woher die vielen Hunderten antisemitischer Vorfälle im letzten Jahr gekommen sind, dann kann man sagen, eine gute Hälfte kommt von rechts, dann kommt ein weiterer Teil von der linken Seite und von der muslimischen Seite. Also wir haben eine Judenfeindschaft, die alt verankert ist, die aber immer wieder getriggert werden kann, wenn gerade irgendwas los ist. Der jetzige Trigger ist die Gewalt, die durch die bestialischen Gräuel der Hamas in Israel ausgelöst worden ist. Diese Gewalt triggert jetzt etwas, was in unserer Gesellschaft vorhanden ist. Junge Leute, die wütend sind aus ganz anderen Gründen, die mit ihrem Leben, so wie es ist, nicht zufrieden sind. Die äußern sich jetzt.