Mehmet Altas, Bäcker
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Gesellschaft

100 Jahre Türkei: Was Türken in Vorarlberg als Heimat empfinden

Vor 100 Jahren wurde wurde die Republik Türkei gegründet. Auch in Vorarlberg begingen viele Menschen mit türkischen Wurzeln am Sonntag den türkischen Nationalfeiertag. Viele von ihnen führen auch in zweiter oder dritter Generation ein Leben mit zwischen alter und neuer Heimat.

1964 schloss Österreich eine Anwerbeabkommen mit der Türkei. Auch Vorarlberg brauchte billige Arbeitskräfte für die boomende Textil- und Metallindustrie. So kamen viele Türkinnen und Türken als sogenannte Gastarbeiter nach Vorarlberg.

Insgesamt 12.785 Menschen mit türkischer Staatsbürgerschaft leben heute in Vorarlberg – nach deutschen Staatsbürgern bilden sie die zweitgrößte ausländische Bevölkerungsgruppe. Inzwischen finden sich aber viele Türkinnen und Türken in zweiter oder dritter Generation hier.

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Cemanur Acikgöz-Turan, Türkin in zweiter Generation und Beste Kartal, Türkin in dritter Generation
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Cemanur Acikgöz-Turan (im Bild links) ist Türkin in zweiter Generation und Beste Kartal ist Türkin in dritter Generation in Vorarlberg
Suad Unaldi,  Schauspieler, Regisseur und Tontechniker
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Suad Unaldi ist Schauspieler, Regisseur und Tontechniker – er kam vor sechs Jahren nach Vorarlberg
Grafik: Türkischstämmiger Bevölkerungsanteil in Vorarlberg
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Insgesamt 12.785 Menschen mit türkischer Staatsbürgerschaft leben heute in Vorarlberg, nach deutschen Staatsbürgern bilden sie die zweitgrößte ausländische Bevölkerungsgruppe
Mustafa Can, Diversitätsmanager Bildungsdirektion
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Mustafa Can ist Diversitätsmanager der Bildungsdirektion und setzt sich auch für den Erhalt der Erstsprache Türkisch ein
Mehmet Altas, Bäcker
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Mehmet Atlas ist Chef einer Bäckerei

Einer davon ist Mehmet Altas. Er ist im Alter von sechs Jahren mit seinen Eltern nach Vorarlberg gekommen und begann nach der Schule eine Lehre als Bäcker. Heute ist er Chef der Bäckerei Kainz und will sich nicht in ein Schublade drängen lassen: „In der Türkei sind wir Österreicher. Und hier sind wir zwar mittlerweile schon Österreicher, aber man sagt halt im Hintergrund ein Türke.“ Für ihn steht fest: „Fakt ist, dass man sich integriert hat und dass ich für Vorarlberg, für das Gebiet in dem ich wohne, als Mensch meinen Beitrag leisten kann.“

In seiner Bäckerei gibt es vor allem österreichisches Brot, aber auch türkische Spezialitäten. Für Mehmet Altas Eltern war das Leben in der Österreich aber nicht immer einfach: „Da hat man einfach zu wenig miteinander getan. Jetzt ist das so, dass die zweite Generation schon die Ausbildung fertig hat. Sie sind wie die Hiesigen, sie können alles, die beherrschen das System, wie es in Österreich ist. Darum hat man mehr Miteinander, das man vorher nicht hatte.“

Erstsprache geht mit der Zeit verloren

Für Diversitätsexperten sind diese Unterschiede keine Überraschung, aber auch ein Grund, die türkische Muttersprache zu forcieren, erklärt Mustafa Can, Diversitätsmanager der Bildungsdirektion Vorarlberg: „In der Migrationsgesellschaft ist es so, dass wenn sich eine Gruppe über Generationen in einem Land aufhält, mit der Zeit einfach die die Amtssprache dominant wird und die Herkunftssprache mit der Zeit auch zurückgedrängt wird. Und deshalb ist es sehr wichtig, dass wir den Erstsprachen-Unterricht anbieten, weil wir meinen, dass wir diese Sprachen auch schützen müssen und erhalten müssen.“

Generationen empfinden Heimat unterschiedlich

Dass es große Generationenunterschiede auch bei der gefühlten Zugehörigkeit gibt, zeigen auch die drei Generationen der Familie Acikgöz-Turan. Die Eltern kamen in den 1970er-Jahren nach Vorarlberg, Tochter Cemanur ist hier geboren und aufgewachsen. „Für mich war es so, dass ich anfing, Handball zu spielen. Dann war ich im Kunstturn-Verein. Dadurch habe ich viel mehr österreichische Freundinnen gehabt und durfte z.B. mit denen Weihnachten feiern, das ja bei uns zuhause nicht gefeiert wurde. Für mich war das toll, die österreichische Kultur so kennenzulernen.“

Ein Fuß in der Türkei und einer in Vorarlberg

Cemanurs Tochter Beste Kartal hat als Kind zuerst Türkisch gelernt: „Aber wenn das Haus verlassen wurde, haben wir nur Deutsch gesprochen.“ Seit der Pensionierung sind Cemanurs Eltern immer jeweils ein halbes Jahr in der Türkei und in Österreich. Es zieht sie doch immer wieder zurück, sagt Cemanur: „Es ist halt für sie auch Heimat geworden. Ein Fuß ist in der Türkei und der andere hier in Österreich.“

„Heimat ist der Ort, an dem ich glücklich bin“

Anders ist es bei Suat Unaldi. Er ist vor sechs Jahren nach Österreich gekommen und arbeitet hier als Schauspieler, Regisseur und Tontechniker. Als Theatermensch sei es in Österreich derzeit auch politisch deutlich leichter als in der Türkei. Seine Heimat möchte er aber nicht einem Land zuordnen: „Als ich Kind war, dachte ich, dass die Heimat der Ort ist, an dem man geboren wurde. Aber jetzt weiß ich, dass die Heimat, der Ort ist, an dem ich glücklich bin.“