Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP)
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Nehammer-Video: Aufregung auch in Vorarlberg

Auch in Vorarlberg sorgen die Aussagen von Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) zu Themen wie Kinderarmut und Frauen in Teilzeit für Kritik. Über soziale Netzwerke hatte sich Mittwochabend ein Video verbreitet, das Nehammer bei einem Gespräch mit Parteifreunden Ende Juli in Hallein zeigt.

Der Direktor der Caritas in Vorarlberg, Walter Schmolly sagt im Interview mit dem ORF Vorarlberg, dass Politik da ist, um Lösungen zu finden – vor allem für Armutsgefährdete. Dazu müsse man sich aber der Realität stellen, nämlich dass in Österreich derzeit viele Haushalte stark unter Druck sind und laut Statistik Austria eine beträchtliche Gruppe Kinder gibt, die armutsgefährdet sind: „Es ist sicherlich nicht hilfreich, das weg reden zu wollen. Was es jetzt braucht ist, dass Verantwortung übernommen wird für Veränderung.“

Bundeskanzler Karl Nehammer verschließe sich aber offenbar: „Ich höre da vor allem, dass der Bundeskanzler nicht wirklich zur Kenntnis nehmen will, wie die Lebenssituation von Menschen in Österreich derzeit ist. Natürlich nicht von allen, aber doch von einer beträchtlichen Gruppe von Menschen.“ Aufgabe der Politik sei, Lösungen zu finden und nicht die Dinge wegzureden.

AK-Präsident verärgert über Angriff auf Sozialpartner

Auch der Präsident der Vorarlberger Arbeiterkammer, Bernhard Heinzle zeigt sich im Gespräch mit dem ORF Vorarlberg irritiert: „Die Haltung verwundert mich auch, denn ich kenne den Bundeskanzler aus persönlichen Gesprächen anders. Am meisten ärgert mich natürlich der Angriff auf die Sozialpartner. Denn wir, die Sozialpartner, haben die Wirtschaftskrise 2008/2009, sowie die Corona-Krise mit der Kurzarbeit schnell gelöst und haben Lösungen gefunden. Wir hielten den Staat am Laufen, während sie die ganze Zeit nur streiten.“

Das Video schlug zunächst bundespolitisch hohe Wellen. Mehr dazu in Kinderarmut, Frauenteilzeit: Empörung nach Nehammer-Video (news.ORF.at, 28.09.2023)

Heinzle lädt Nehammer ein, sich in Vorarlberg mit ihm anzuschauen, warum sich die Teilzeitquote nicht erhöht. „Die Sozialpartner machen Kollektivvertragsverhandlungen, finden Lösungen bei neuen Arbeitszeitmodellen und Freizeitoptionen. Sie sollen sich lieber um leistbares Wohnen und die Mietpreisbremse kümmern, dass die Inflation sinkt.“

Leiter: Verrohung und Überheblichkeit

Deutliche Kritik übt auch der designierte Landesparteivorsitzende der SPÖ, Mario Leiter: „In meinem Beruf als Polizist kommen täglich Menschen auf mich zu, die nicht mehr wissen, wie sie ihren Alltag bestreiten sollen.“ Es bestehe deshalb dringender Handlungsbedarf seitens der Politik. „Die jüngsten Aussagen von Bundeskanzler Karl Nehammer sind nicht nur ein Ausdruck einer Verrohung in der Politik, sondern auch einer Überheblichkeit und einer Verächtlichmachung von Menschen, die nicht mehr wissen, wie sie ihr Leben finanzieren können.“ Es sei beunruhigend zu sehen, wie der Bundeskanzler die Realität vieler Menschen in unserem Land ignoriere und verkenne.

Zudem zeige Nehammers Haltung gegenüber Frauen ein Weltbild, „das auch in Vorarlberg zum Vorschein gekommen ist, wenn man an die Diskussion um Schwangerschaftsabbrüche denkt. Diese Haltung ist eine klare Missachtung der Rechte und Entscheidungsfreiheit von Frauen.“ Es sei bedauerlich, dass die ÖVP die Versorgungslücken in diesem sensiblen Bereich ignoriere. „Wir stehen vor großen Herausforderungen, und die ÖVP muss dringend wieder einen Weg des Miteinanders finden. Aber auch die Grünen müssen ihrer Verantwortung gerecht werden“, teilte Leiter in einer Aussendung mit.

ÖVP kritisiert Veröffentlichung des Videos

Von Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) selbst war bislang noch keine Reaktion auf das Video zu bekommen. Dafür aber von der ÖVP Vorarlberg in Form von Klubobmann Roland Frühstück. Er kritisiert gegenüber dem ORF Vorarlberg, dass das Video überhaupt an die Öffentlichkeit gelangt ist: „Das war ja keine öffentliche Veranstaltung und es ist schade, wenn man da diese Dinge so hinausspielt, um von irgendeiner Seite aus politisches Kleingeld zu machen.“

Frühstück gibt Nehammer „in Teilen“ recht

Inhaltlich gebe er Karl Nehammer aber in Teilen recht, sagt Frühstück. Wenn man so viel Geld in Kinderbetreuung investiere, sollte man sich als Politiker auch erwarten können, dass mehr Menschen in Vollbeschäftigung kommen. Auch sei es zwar wichtig, dass gesunde Mittagsessen zu den Kindern gelangen, er ist aber nicht der Meinung, dass das zwingend immer Aufgabe der Öffentlichkeit sei: „Es darf schon auch zu Hause sein. Aber es muss ein Angebot in Schule oder Kindergarten geben.“

Auf die Frage, wo er dem Kanzler denn nicht recht gebe, will Frühstück nicht Stellung nehmen. Was Nehammers Kritik an der Sozialpartnerschaft angeht, sagt Frühstück: „Wir haben in Vorarlberg eine sehr gute Sozialpartnerschaft. Ich glaube nicht, dass es richtig ist, aus Vorarlberg das zu beurteilen, wie das der Karl Nehammer in so einem Zwei-Minuten-Video darstellt und man das aus dem Zusammenhang reißt.“

Stainer-Hämmerle: Ärmere Bevölkerung fast beleidigt

Es sei klar erkennbar, dass Nehammers Aussagen nicht für die breite Öffentlichkeit gedacht waren, sagt Politologin Kathrin Stainer-Hämmerle, sondern hätte in der direkten Ansprache eine Botschaft hinterlassen sollen: „Es widerspricht natürlich der generellen Linie der ÖVP und insbesondere von Karl Nehammer, als verbindlicher Kanzler eigentlich eher die Gräben zuzuschütten, zu wollen. Und er hat natürlich sehr viele Bevölkerungsgruppen fast auch beleidigt in diesem Video. Und das ist natürlich das Grundproblem.“

Wolfgang Schüssel sei ja 2006 schon gescheitert an dem Etikett mit der sozialen Kälte. „Und ich fürchte, das wird jetzt auch Nehammer drohen, sobald solche Aufnahmen in der Öffentlichkeit sind, wo er ärmere Bevölkerungsschichten sozusagen nicht sehr freundlich behandelt. Dann wird natürlich auch ihm jetzt unterstellt, er wäre auch ein Kanzler der sozialen Kälte. Und da ist es auch leicht, für die Opposition anzuknüpfen.“

Video könnte zum Image-Problem werden

Die Koalition sieht Stainer-Hämmerle aber nicht in Gefahr: „Also alle Gründe gegen eine vorgezogene Neuwahl gelten natürlich auch weiterhin. Beide Regierungsparteien müssten sich fürchten vor Stimmenverlusten und vor allem auch nicht mehr Teil der nächsten Regierung zu sein. Also ich denke, da wäre das Video schon etwas überbewertet, um das jetzt als Anlassfall zu nehmen.“ Da gebe es wichtigere Punkte wie Gesetzesbeschlüsse oder das nächste Budget. „Aber natürlich wird es eine Rolle spielen im nächsten Wahlkampf für alle Parteien, um eben vor allem der ÖVP ein Image umzuhängen, das die ÖVP sich selber sicher nicht wünscht.“