Schlaganfall
gettyimages/Juanmonino
gettyimages/Juanmonino
Gesundheit

Schlaganfall: Jede Minute kostet zwei Tage Unabhängigkeit

Jede Minute, die man nach einem Schlaganfall später ins Spital kommt, kostet etwa zwei Tage Unabhängigkeit. Betroffene sind bei alltäglichen Dingen wie Autofahren oder einkaufen im Nachhinein länger auf Hilfe angewiesen, weil sie sich schlechter erholen. Daher ist es wichtig, im Ernstfall rasch zu reagieren, sagt Primar Philipp Werner vom LKH Feldkirch.

ORF Vorarlberg: Herr Werner, können Sie kurz erklären, was bei einem Schlaganfall im Körper passiert?

Philipp Werner: Ein Schlaganfall tritt auf, wenn es zu einer Verstopfung eines Blutgefäßes im Gehirn kommt. Die Blutgefäße sind wichtig, um Sauerstoff zu den Nervenzellen zu transportieren. Wenn ein Blutgefäß blockiert ist, gelangt kein Blut mehr in den betroffenen Bereich des Gehirns, wodurch die Sauerstoffversorgung unterbrochen wird und Zellen absterben. Ein Schlaganfall kann schwerwiegende Folgen haben, da Nervenzellen für unsere Denk-, Bewegungs- und Empfindungsfähigkeit zuständig sind. Wenn ein bestimmter Bereich im Gehirn abstirbt können Lähmungen, Gefühlsstörungen, Sprachstörungen und andere Symptome auftreten.

ORF Vorarlberg: Wie kann man sich vor einem Schlaganfall schützen?

Philipp Werner: Dafür sollten die klassischen Risikofaktoren wie Bluthochdruck, Diabetes, Rauchen, Alkoholkonsum und hohe Cholesterinwerte im Auge behalten und reguliert werden. Eine gute Prophylaxe kann helfen, dass es gar nicht erst zu einem Schlaganfall kommt.

ORF Vorarlberg: Wie viele Schlaganfälle treten jährlich in Vorarlberg auf?

Philipp Werner: Die letzten 15 Jahre, seit wir Aufzeichnungen führen, liegt die Zahl der Schlaganfälle in Vorarlberg konstant bei etwa 1100 bis 1200 pro Jahr. Somit treten Schlaganfälle sogar häufiger auf, als Herzinfarkte. Diese Zahl ist relativ stabil.

ORF Vorarlberg: Wie erkennt man einen Schlaganfall?

Philipp Werner: Die Anzeichen treten plötzlich auf. Wenn jemand zum Beispiel beim Mittagessen sitzt und schlagartig eine Lähmung in der Hand spürt, das Messer fallen lässt, beim Gehen stolpert oder eine halbe Körperseite taub wird, sind das typische Symptome eines Schlaganfalls. Auch Schwierigkeiten beim Sprechen und Verstehen von Worten können auftreten.

ORF Vorarlberg: Und dann ist es wichtig, schnell zu handeln.

Philipp Werner: Genau, denn „Time is brain“. Jede Minute zählt, weil immer mehr Nervenzellen absterben und der Schaden immer größer wird. Wir wissen, dass eine Minute Verzögerung in der Behandlung dazu führt, dass der Betroffene fast zwei Tage Unabhängigkeit im Alltag verliert. Er kann nicht mehr alleine einkaufen gehen, auf die Toilette gehen, Autofahren oder andere alltägliche Dinge erledigen. In Österreich ist es so, dass die sogenannte prähospitale Phase, also die Zeit vom Eintreten eines Schlaganfalls bis zur Behandlung, eine Stunde dauert. Diese Zahl hat sich auch seit Jahren nicht geändert. Eine Stunde hat 60 Minuten, und jede Minute Verzögerung bedeutet zwei Tage Unabhängigkeitseinbuße im Alltag. Das heißt, allein das Auftreten eines Schlaganfalls bedeutet bereits, dass der Betroffene 120 Tage seines Lebens an Unabhängigkeit verliert. Diese Zahl ist enorm.

Dr. Philipp Werner, Primararzt
ORF
Prim. Dr. Philipp Werner

ORF Vorarlberg: Warum dauert es eine Stunde? Sind die Menschen noch nicht ausreichend sensibilisiert und reagieren erst so spät?

Philipp Werner: Ja, ich denke, dass es daran liegt, dass oft erst spät reagiert wird. Wenn man am Mittagstisch sitzt und plötzlich ein Taubheitsgefühl in der rechten Hand verspürt, denken die meisten eben nicht sofort an einen Schlaganfall. In Vorarlberg wird es auch sprachlich durch Verniedlichungen wie „Schlägle" und Streiferle“ verharmlost. Das finde ich problematisch. Es ist wichtig, auf das Thema aufmerksam zu machen und die Menschen zu sensibilisieren, damit sie im Ernstfall schnell reagieren.

ORF Vorarlberg: Inwiefern sind Schlaganfälle eigentlich bei jüngeren Personen ein Thema?

Philipp Werner: Auch bei jüngeren Personen spielen Schlaganfälle eine Rolle. Es gibt sogar Schlaganfallpatienten, die bereits vor der Geburt im Mutterleib einen erlitten haben. Die Ursachen für Schlaganfälle variieren stark. Ab einem Alter von etwa 30 bis 40 Jahren kommen allmählich die Risikofaktoren zum Tragen. Der Blutdruck steigt langsam an, das Cholesterin erhöht sich und das Rauchen hinterlässt nach einigen Jahren seine Spuren in den Blutgefäßen. Ältere Menschen haben in der Regel mehr Gefäßverkalkungen. Bei jüngeren Betroffenen sind es andere Ursachen wie Gefäßverletzungen oder Entzündungen.

ORF Vorarlberg: Wie sieht es mit äußeren Faktoren wie der Umwelt aus?

Philipp Werner: Die Umwelt hat definitiv Einfluss. Es ist zwar immer noch schwierig, dies eindeutig nachzuweisen, aber wir wissen, dass bei bestimmten Wetterbedingungen möglicherweise mehr Schlaganfälle auftreten. Es gibt auch Diskussionen über Mikroplastik, bei denen beobachtet wurde, dass es sich in den Gehirnen von Verstorbenen ablagert. Zudem gibt es Zusammenhänge mit verschiedenen Infektionskrankheiten. Auch während der Covid-19-Pandemie haben wir festgestellt, dass es zu Mikrogerinnseln in den Blutgefäßen kommen kann, ausgelöst durch Virusinfektionen. Die Umwelt spielt also sicherlich eine große Rolle.

ORF Vorarlberg: Nach einem Schlaganfall müssen Patienten oft mit teils schwerwiegenden Einschränkungen zurechtkommen. Schwierigkeiten beim Sprechen oder Gehen sind keine Seltenheit. Das ist auch weitläufig bekannt. Eine Folge, die weit weniger geläufig ist, ist die Depression.

Philipp Werner: Nach einem Schlaganfall treten vermutlich bei etwa 50 Prozent der Patientinnen und Patienten Depressionen auf. Daher müssen wir die Betroffenen sowie ihre Angehörigen immer wieder darauf aufmerksam machen. Wenn sich der Patient zurückzieht, aufhört gewissen Dingen nachzugehen, ruhiger wird, könnte eine Depression dahinterstecken. Im Englischen nennt man dies „Post Stroke Depression“, also Depressionen, die nach einem Schlaganfall auftreten. Diese Depressionen sind ein wichtiger Faktor, den wir ansprechen müssen, da sie auch den Heilungsprozess beeinträchtigen können.

Das Interview mit Primar Philipp Werner hat Emanuel Broger am Rande einer Veranstaltung an der Fachhochschule Vorarlberg geführt. Philipp Werner hat dort am Mittwoch im Rahmen der Tagungsreihe „uDay“ einen Vortrag über das Thema Schlaganfallbetreuung gehalten.