Bildnummer: 52534983  Datum: 15.04.2008  Copyright: imago/Thomas Frey
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Geschichte

Fälscher der Hitler-Tagebücher versteckte sich in Dornbirn

Vor 40 Jahren – am 25. April 1983 – präsentierte das deutsche Magazin „Stern“ eine Weltsensation: die Hitler-Tagebücher. Kurz darauf stellten sie sich als Fälschung heraus. Vor seiner Festnahme flüchtete Fälscher Konrad Kujau vor der Polizei. Und zwar nach Dornbirn.

Samstag, 7. Mai 1983: Ein voll bepacktes Auto überquert die Grenze von Lindau nach Hörbranz. Ein Mann und zwei Frauen sitzen im brasil-blau-metallic lackierten BMW. Wie wohl die Stimmung im Auto ist? Wenige Tage vor dieser Fahrt löst der Mann am Steuer den größten Skandal der deutschen Mediengeschichte aus. Er hat dem deutschen Magazin „Stern“ 60 gefälschte Hitlertagebücher verkauft. Jetzt ist er auf der Flucht. Sein Name: Konrad Kujau. Sein Ziel: Dornbirn.

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imago/teutopress
Fälscher Konrad Kujau

Am 25. April 1983, lädt der „Stern“ zu einer großen Pressekonferenz ins Verlagshaus nach Hamburg. Auf dem Podium die Führungsriege des „Stern“ und Redakteur Gerd Heidemann. Reporter aus der ganzen Welt sind gekommen, an der Wand hängen Kopien der Titelseite der neuen Ausgabe: „Hitlers Tagebücher entdeckt“! Chefredakteur Peter Koch ist überzeugt. „Die Geschichte des Dritten Reiches muss teilweise umgeschrieben werden.“

In einem hat er recht: Dieser Tag schreibt tatsächlich Geschichte – allerdings Pressegeschichte. Denn schon wenige Tage nach dieser Pressekonferenz steht fest, dass die Bücher gefälscht worden sind. Ein Mann aus Bietigheim-Bissingen nahe Stuttgart hat dem Stern die Tagebücher verkauft, hergestellt mit einem erfundenen Hitler-Siegel, geschrieben mit handelsüblicher Tinte, mit Schwarztee und einem Bügeleisen auf alt getrimmt.

Fälscher aus Leidenschaft

Konrad Kujau wird am 27. Juni 1938 in Löbau nähe Dresden geboren. Beim Luftangriff Anfang 1945 verliert er seine Eltern aus den Augen, worauf er mehrere Jahre in einem Waisenhaus verbringt. Die Familie findet sich 1951 wieder. Schon als Kind verdient er Geld mit seinen Fälschungen. Er schreibt Autogramme von bekannten Politikern und verkauft sie auf dem Schulhof. Im Laufe der Zeit fälscht er nahezu alles, was man fälschen kann.

Er schreibt Briefe von Stalin, Otto von Bismarck und Paul von Hindenburg, malt Bilder, fälscht das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland und signiert eigene Kunstwerke mit „Adolf Hitler“. In den 80er-Jahren erscheint in den USA ein wissenschaftlicher Sammelband über Hitlers Kunst. Darin sind viele Werke Kujaus abgebildet. Ironie der Geschichte: Heute sind online zahlreiche Kujau-Fälschungen zu finden – also Bilder, die Kujau gemalt haben soll, aber nie gemalt hat.

Fälscher der Hitler-Tagebücher versteckte sich in Dornbirn

Vor 40 Jahren – am 25. April 1983 – präsentierte das deutsche Magazin „Stern“ eine Weltsensation: die Hitler-Tagebücher. Kurz darauf stellten sie sich als Fälschung heraus. Vor seiner Festnahme flüchtete Fälscher Konrad Kujau vor der Polizei. Und zwar nach Dornbirn.

Mit Hitler lässt sich Geld machen

Kujau merkt: Mit Hitler lässt sich viel Geld verdienen. Er legt einem vermeintlichen Kenner ein gefälschtes Hitler-Bild vor – und der Kenner ist begeistert. Kujau schreibt das erste Hitler-Tagebuch und bringt es wieder zum Kenner. Und wieder ist dieser von der Echtheit überzeugt. Die Existenz des Tagebuchs spricht sich herum, erreicht schließlich den Stern-Journalisten Gerd Heidemann. Das ist 1981. Der Krimi um die Hitler-Tagebücher beginnt.

Beruf: Tagebuchfälscher

Mit immer neuen Geschichten schafft es Kujau, Zeit zu gewinnen, um stets weitere Tagebücher zu produzieren. Zwei Bände tragen die Metall-Initialen F.H., da Kujau das F versehentlich als A erkennt. Der Stern lässt sich davon nicht irritieren und deutet die Initialen auf dem Tagebuch als „Führer Hauptquartier“.

Zwei Jahre lang läuft es nach demselben Schema: Der Stern-Verlag gibt Heidemann Geld, der damit die Tagebücher bezahlt. Über die Summe wird bis heute gerätselt. Kujau selbst nennt sich Konrad Fischer und gibt sich als Antiquitätenhändler aus, der die Tagebücher aus Ostdeutschland schmuggelt. So landen insgesamt 60 Tagebücher beim Stern, bis das Magazin 1983 beschließt, die Tagebücher zu veröffentlichen.

Eigenes Museum

Zu dieser Zeit lebt Kujau mit seiner Lebensgefährtin zusammen, verbringt aber auch viel Zeit mit seiner Geliebten. Eine Dreierbeziehung entsteht. In Kujaus ehemaliger Heimat Bietigheim-Bissingen erinnert heute ein kleines Museum an den Fälscher, das Kujau-Kabinett. Museums-Direktor Marc-Oliver Boger hat sich intensiv mit dem Leben und den Werken von Konrad Kujau beschäftigt. Er sammelt alles, was mit Kujau zu tun hat: Bilder, gefälschte Dokumente und Kriegshelme sowie das Originalmaterial, mit dem Kujau die Tagebücher gefälscht hat. Selbst eine Tür aus dem Gefängnis in Stuttgart steht im Kujau-Kabinett. Kujau hat drei Jahre in diesem Gefängnis verbracht. In einer Vitrine im Museum befinden sich auch Kopien der Tagebücher.

Fotostrecke mit 4 Bildern

Mit diesen Utensilien schrieb Kujau die Tagebücher
ORF Vorarlberg
Mit diesen Utensilien schrieb Kujau die Fälschungen – sie sind im Museum ausgestellt
Mit diesen Utensilien schrieb Kujau die Fälschungen
ORF Vorarlberg
Mit diesen Utensilien schrieb Kujau die Fälschungen
ORF Vorarlberg
Mit diesen Utensilien schrieb Kujau die Fälschungen
ORF Vorarlberg

Skurrile Zitate

Darin schreibt Kujau als Hitler einmal über Propagandaminister Joseph Göbbels: „Der kleine Goebbels macht schon wieder Geschichten mit Frauen. Werde in den nächsten Tagen einen geheimen Erlass herausgeben, dass ich von meinen engsten Mitarbeitern und Parteiführern im Reich keinerlei Affären mehr wünsche.“

Der Kujau-Hitler hat in jedem Buch am Ende des Monats etwas Persönliches geschrieben. Oft geht es um seine Gesundheit. Zum Beispiel: „Morgens um 6 Uhr gründliche Untersuchung. Mache den Ärzten große Vorwürfe, weil meine Schmerzen immer größer werden. Nun habe ich schon Schmerzen im Gedärm.“ Oder: „Die übermenschlichen Anstrengungen der letzten Zeit verursachen mir Blähungen im Darmbereich und Eva sagt, ich habe Mundgeruch.“

Kujau flieht nach Vorarlberg

Auf der Pressekonferenz am 25. April 1983 wird diese Weltsensation präsentiert. Kurz darauf verdichten sich die Anzeichen, dass die Bücher gefälscht sind. Zwei Wochen später, am 6. Mai, bringt eine Materialanalyse Gewissheit. Hitlers Tagebücher sind der Fantasie eines Mannes entsprungen. Dem Mann wird spätestens an diesem Tag klar: Er muss fliehen. Zuerst möchte Konrad Kujau in den Schwarzwald. Bis ihm seine Geliebte ein anderes Ziel vorschlägt.

Sie ist Österreicherin. 1950 in Kärnten geboren, zieht sie im Laufe der Zeit nach Dornbirn und kellnert 1971 im Tanzlokal Wagner. Später wird dieses Lokal als „Darling“ bekannt. Ende 1973 zieht sie mit einer Freundin nach Stuttgart und arbeitet in der Sissy-Bar. Dort lernt sie Konrad Kujau kennen. Jedes Jahr zum Muttertag fährt sie nach Dornbirn, um ihre Eltern zu besuchen – also damals am 8. Mai.

Im Jahr 1983 stellt sich also die Frage: Warum nicht die Flucht mit dem Besuch verknüpfen? So geschieht es auch: Am 7. Mai setzt sie sich mit Kujau ins Auto. Kujau verbringt die erste Nacht im Hotel Krone in Dornbirn. Ein Tag später um 13.00 Uhr trifft auch seine Lebensgefährtin ein. Am Montag spaziert das Trio gemütlich durch Dornbirn und schlägt die Zeit tot, am Dienstag geht’s nach St. Gallen. Gegen Mittag ruft Kujau aus einer Telefonzelle ein letztes Mal den Stern-Redakteur Gerd Heidemann an. Die Reise nach Dornbirn und St. Gallen sorgt noch heute für Spekulationen.

Hotel Krone in Dornbirn
ORF Vorarlberg
Die erste Nacht in Vorarlberg verbrachte der Fälscher in der „Krone“ in Dornbirn

Wo ist das Geld?

Es geht ums Geld. Der Stern soll mehr als neun Millionen D-Mark an Kujau gezahlt haben. Der Verlag hat das Geld an Heidemann übergeben, der es an Kujau weiter reichte. Kujau betont im Gerichtsverfahren später aber stets, dass er viel weniger bekommen hat. Heidemann bestreitet aber ebenfalls, einen Teil des Honorars behalten zu haben.

Noch heute beschäftigen sich Menschen mit der Frage, wo das Geld geblieben ist. In Kujaus Nachlass findet sich später ein Streichholzbriefchen der St. Galler Kantonalbank, was den Mythos nährt, dass Kujau das Geld in der Schweiz versteckt haben soll. Eine Zeit lang macht auch ein Gerücht die Runde, dass dieses Geld auf einem Konto der Dornbirner Sparkasse liegt.

Ausflug „um den Vorarlberg“

In Dornbirn unternimmt das Trio immer wieder kleinere Ausflüge. Kujaus Lebensgefährtin berichtet später der Polizei von einem Ausflug am Donnerstag „um auf andere Gedanken zu kommen und uns selbst abzulenken. Wir sind praktisch um den gesamten Vorarlberg herumgefahren.“ Am selben Abend ist in den Nachrichten erstmals ihr Name zu hören.

Auch im „Andreas Hofer“ übernachtet

Kujau wechselt mehrfach die Unterkunft. Ein oder zwei Nächte übernachtet er im Hotel Andreas Hofer ein paar Hundert Meter von der Krone entfernt. Im Kofferraum des Fluchtautos findet die Polizei später eine Rechnung des „Gasthof Andreas Hofer, Zimmernummer 8“ vom 12. Mai in Höhe von „(vermutlich) 860 österreichische Schilling“, heißt es im Ermittlungsakt. Kujau fühlt sich verfolgt, schläft auch bei den Eltern seiner Geliebten, während sie mit Kujaus Lebensgefährtin in der Krone bleibt.

Kujau stellt sich letztendlich

Irgendwann nimmt Kujau Kontakt mit seinem Rechtsanwalt auf. Sie treffen sich im Wohnzimmer der Eltern der Geliebten. Der Anwalt fährt zurück nach Stuttgart, um am Freitag den 13. Mai 1983 mit einem Kollegen wieder nach Dornbirn zu kommen. Sie nehmen sich ein Zimmer in der Krone und chauffieren Kujau am nächsten Tag um 8.00 Uhr Früh an die Grenze zu Lindau, um sich zu stellen. Dort empfängt ihn schon die Polizei. Ein paar Tage später folgen ihm seine zwei Frauen nach. Seine Geliebte, damals 33 Jahre alt, wird später zur ihrer Familie nach Dornbirn zurückkehren. Sie lebt bis heute dort.

Drei Jahre in Haft

Im Juli 1985 wird Konrad Kujau wegen Betrugs zu vier Jahren und acht Monaten Gefängnis verurteilt. Auch seine Lebensgefährtin bekommt acht Monate auf Bewährung aufgebrummt, seine Geliebte ist unschuldig. Kujau erkrankt an Kehlkopfkrebs, kommt deshalb nach drei Jahren wieder frei. Er bleibt auch danach ein Fälscher, allerdings immer im Rahmen des Gesetzes. Er gibt Interviews, genießt seine Prominenz, arbeitet als Künstler, gestaltet Telefonkarten für die deutsche Post. Am 12. September 2000 stirbt Konrad Kujau; nach einem Leben, das eine turbulente Woche lang auch in Dornbirn spielt.