Bianca Riedmann
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GESUNDHEIT

Ein Leben mit Amyotropher Lateralsklerose

Die Amyotrophe Lateralsklerose – kurz ALS – ist eine sehr seltene und nicht heilbare Erkrankung des Nervensystems. Dabei kommt es nach und nach zu einer Lähmung der Muskulatur. Zu den Betroffenen gehört die 34-jährige Bianca Riedmann aus Lochau. Im Interview mit dem ORF Vorarlberg gibt sie Einblick in ihr Leben mit der Erkrankung.

ORF Vorarlberg: Wie hat sich denn die Krankheit bei Ihnen zu Beginn bemerkbar gemacht und wann haben Sie die Diagnose überhaupt bekommen?

Bianca Riedmann: Also ich würde sagen, dass alles mit etwa 15 Jahren begonnen hat. Ich habe ein starkes Zittern in meinen Fingern bemerkt, insbesondere nach körperlicher Anstrengung. Danach habe ich Schwierigkeiten beim Gehen bekommen. Ich konnte meine Zehen nicht mehr so gut anheben, was dazu führte, dass ich oft gestolpert bin. Ich bin dann zu vielen Ärzten gegangen und es folgten zahlreiche Untersuchungen, bis ich schließlich im Alter von knapp 18 Jahren meine Diagnose bekommen habe. Die Diagnosestellung hat bei mir also fast zwei Jahre gedauert. Das liegt sicherlich auch daran, dass es bis heute keinen spezifischen Test gibt, um die Krankheit eindeutig zu diagnostizieren. Stattdessen muss eine ganze Reihe von Tests durchgeführt werden, um andere mögliche Ursachen auszuschließen. Das Verfahren dauert sehr lange und ist in meinen Augen eine Zeitverschwendung, besonders wenn man bedenkt, dass man im schlimmsten Fall nicht mehr viel Zeit zu leben hat.

Bianca Riedmann
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Bianca Riedmann aus Lochau ist 34 Jahre alt und leider an Amyotropher Lateralsklerose.

Die meisten Menschen mit ALS sterben schon wenige Jahre nach Ausbruch der Krankheit. Frau Riedmann leidet allerdings an einer speziellen Variante – der juvenilen ALS. Diese verläuft sehr langsam. Die Diagnose ist bei ihr bereits 17 Jahre her. Auch der britische Physiker Stephen Hawking – wohl einer der bekanntesten ALS-Patienten – litt an der juvenilen Variante.

ORF Vorarlberg: Wie hat sich die Erkrankung dann weiterentwickelt?

Bianca Riedmann: Für mich hat sich zwei Jahre vor und zwei Jahre nach der Diagnose am meisten getan, was den Verlauf der Krankheit betrifft. Zwei Jahre nach der Diagnose bin ich nämlich schon im Rollstuhl gesessen. Im weiteren Verlauf ist die Krankheit dann auch auf meine Hände übergegangen und ich hatte immer größere Schwierigkeiten, sie zu benutzen. Da ich jedoch an der juvenilen Form der ALS leide, schreitet die Krankheit bei mir sehr langsam voran. In den letzten Jahren hat sich mein Zustand glücklicherweise nur sehr langsam verschlechtert.

ORF Vorarlberg: Wie war das damals für Sie, als sie die Diagnose ALS bekommen haben?

In gewisser Weise hatte ich damals noch die Leichtigkeit eines Teenagers in mir. Ich war gerade frisch verliebt und das Ganze hat sich nicht so schlimm angefühlt. Ich denke, mir war das volle Ausmaß noch nicht bewusst. Glücklicherweise konnte ich langsam in die neue Situation hineinwachsen. Ich habe auch immer versucht, eine gewisse mentale Distanz zur Diagnose zu wahren. Ich wollte nicht hysterisch werden und das Internet nach Informationen durchforsten oder mich mit anderen vergleichen, um meine Zukunft in den dunkelsten Farben auszumalen. Stattdessen nahm ich alles Stück für Stück und versuchte, ruhig zu bleiben. Ich denke, das hat mir sehr geholfen.

Patientin spricht über die Krankheit ALS

„ALS“ steht für die Krankheit amyotrophe Lateral-Sklerose. Eine Patientin aus Vorarlberg spricht über die Krankheit.

ORF Vorarlberg: Wie geht es Ihnen heute mit der Krankheit?

Bianca Riedmann: Ich muss sagen, dass ich heute sehr gut mit der Krankheit zurechtkomme. Das liegt sicherlich daran, dass sie mich schon mehr als die Hälfte meines Lebens begleitet hat. Ich war länger krank als ich gesund war und habe das Glück, von einem fantastischen Netzwerk umgeben zu sein. Ich habe einen großartigen Freund, der gleichzeitig mein liebster und bester Pfleger ist, sowie Assistenten und einen mobilen Hilfsdienst. Alles hat sich sehr gut eingependelt. Ich habe die Krankheit akzeptiert und es hat bereits eine gewisse Normalität eingenommen. Dies ist aber natürlich auch auf den langsamen Verlauf zurückzuführen, den ich habe. Wenn sich mein Zustand verschlechtert, kann es mich allerdings auch sehr schnell wieder einholen und ich erinnere mich daran, was meine Realität ist und wie anders es aussehen könnte.

Bianca Riedmann möchte, dass ALS mehr Aufmerksamkeit bekommt. Daher geht sie auch sehr offen mit ihrer Erkrankung um. Auf ihrem Instagram-Account gewährt sie einem breiten Publikum Einblick in ihr Privatleben.

Wissenschaftlich mit der Krankheit beschäftigt hat sich Markus Weber. Er ist Professor für Neurologie an der Universität in Basel und seit über 20 Jahren in der ALS-Forschung tätig. Im Interview mit dem ORF Vorarlberg spricht er von einem wissenschaftlichen Durchbruch, der Forschenden in den USA jüngst gelungen sei.

Markus Weber
Kantonsspital St.Gallen
Professor Markus Weber ist Professor für Neurologie an der Universität in Basel. Seit 2006 leitet er das Muskelzentrum/ALS Clinic am Kantonsspital St. Gallen.

ORF Vorarlberg: Wie macht sich ALS typischerweise bemerkbar?

Markus Weber: Normalerweise bemerkt der Patient anfangs eine schmerzlose Schwäche, die sich subtil manifestiert. Zum Beispiel kann es zu Feinmotorik-Störungen in den Händen kommen oder man stolpert häufiger über den Teppich. Im Verlauf der Erkrankung werden die Symptome jedoch zunehmend schlimmer.

ORF Vorarlberg: Wie sieht die Therapie aus bei so einer Erkrankung?

Markus Weber: Die Therapie der Krankheit besteht grundsätzlich aus zwei Säulen. Die erste Säule konzentriert sich auf die Behandlung der Grunderkrankung. Hierfür stehen uns verschiedene Medikamente zur Verfügung, die eine langsamere Progression der Krankheit bewirken können. Die zweite Säule bildet die symptomatische Therapie, bei der wir versuchen, bestimmte Symptome zu kontrollieren. Hierfür haben wir ebenfalls Medikamente zur Verfügung, und auf diesem Gebiet haben wir große Fortschritte erzielt. Mithilfe dieser Medikamente können wir die Symptome besser unter Kontrolle bringen.

ORF Vorarlberg: Stoppen lässt sich die Krankheit aber bis heute nicht?

Markus Weber: Wir haben Fortschritte gemacht. Es gibt jetzt zahlreiche Medikamente, die die Krankheit verlangsamen. Seit kurzem gibt es auch ein Medikament für eine seltene erbliche Form. Da sieht es tatsächlich so aus, als hätten wir den Durchbruch geschafft. Es gibt einzelne Patienten, die werden besser, was ich in meiner Karriere so bislang noch nicht erlebt habe.

ORF Vorarlberg: Ein Hoffnungsschimmer also?

Markus Weber: Es ist ein Silberstreif am Horizont, der aber momentan wie gesagt nur sehr wenigen Patienten vorbehalten ist. Aber es sind hoffnungsvolle Signale. In meinen Augen ein Durchbruch.

ORF Vorarlberg: Sind diese Medikamente bei dieser genetischen Variante schon zugelassen?

Markus Weber: Nein, die sind in einer Erprobungsphase. Die Medikamente werden aktuell genau untersucht, insbesondere auf ihre Sicherheit. Denn das oberste Prinzip ist, dass die neuen Medikamente nicht zu Schäden führen sondern helfen.

ORF Vorarlberg: Wie lange leben Menschen mit ALS?

Markus Weber: Der Durchschnitt liegt bei drei bis fünf Jahren. Das ist sehr traurig. Ich kenne sehr dramatische Verläufe, bei welchen Patienten innerhalb von sechs Monaten versterben. Zehn Prozent der Patienten leben aber länger als zehn Jahre. Es ist also ein großes Spektrum. Zu den Betroffenen mit diesen langsamen Verläufen gehört auch der Physiker Stephen Hawking.

ORF Vorarlberg: Weiß man, durch was die Erkrankung ausgelöst wird? Oder gibt es bekannte Risikofaktoren?

Markus Weber: Fünf Prozent der Patienten haben eine erbliche Variante. Bei diesen Patienten besteht ein krankmachendes Gen, das von Generation zu Generation weitervererbt wird. Aber beim Großteil kennen wir die Ursache nicht. Vermutlich ist aber auch bei diesen Personen eine genetische Grundlage vorhanden, bei der dann im Zusammenspiel mit Risikofaktoren, das Fass überläuft. Viele von den Risikofaktoren haben wir bis heute aber nicht identifiziert. Wir wissen also am Ende nicht, was es war, dass das Fass zum Überlaufen gebracht hat.

ORF Vorarlberg: Es hat 2014 die sogenannte „ALS Ice Bucket Challenge“ gegeben. Diese hat weltweit sehr viel Aufmerksamkeit auf ALS gelenkt und Geld für die Forschung lukriert. Inzwischen sind mehr als zehn Jahre vergangen. Hat es etwas gebracht?

Markus Weber: Es hat sehr viel gebracht. Mit den Geldern konnten weitere Teile zu diesem komplizierten Puzzle namens ALS hinzugefügt werden. Das Bild ist aber noch nicht komplett.

ORF Vorarlberg: Würden Sie sagen, dass die Forschung im Bereich ALS grundsätzlich eher unterfinanziert ist?

Markus Weber: Ja und nein. Wir haben einerseits viele alte Medikamente, die zum Beispiel bei Symptomen wie Speichelfluss nützen könnten. Dazu bräuchte es Studien, doch niemand in der Industrie hat Interesse daran, alte Medikamente zu erforschen. Da besteht also schon eine Unterfinanzierung. Auf der anderen Seite hat die pharmazeutische Industrie jedoch ein großes Interesse daran, Medikamente für ALS zu entwickeln. Denn was bei ALS funktioniert, könnte später bei Parkinson und Alzheimer funktionieren. Und an diesen Erkrankungen leiden sehr viele Menschen.

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