VBEN | Matthias Sutter: Die Entdeckung der Geduld – Ausdauer schlägt Talent
Vienna Behavioral Economics Network (VBEN)/APA-Fotoservice/Juhasz
Vienna Behavioral Economics Network (VBEN)/APA-Fotoservice/Juhasz
Wirtschaft

Experte fordert mehr soziale Treffsicherheit

Der Vorarlberger Wirtschaftsforscher Matthias Sutter plädiert für mehr soziale Treffsicherheit bei den staatlichen Hilfen. Ein guter Teil der Österreicherinnen und Österreicher könnte nach wie vor ohne große Sorgenfalten einkaufen gehen, sagt er im ORF Vorarlberg-Interview.

In vielen EU-Ländern sinkt die Inflation, in Österreich hingegen bleibt sie bei elf Prozent. Berechnungen würden zeigen, dass staatliche Hilfen die Inflation zum Teil auch befeuern, sagt Wirtschaftsforscher Sutter im ORF Vorarlberg-Interview. Dabei gehe es auch um die Kaufkraft der Österreicherinnen und Österreicher.

ORF Vorarlberg: Die Inflation in Österreich steigt weiter und liegt aktuell bei elf Prozent. Im restlichen Euroraum sinkt die Inflation und geht in Richtung acht Prozent zurück. Was macht Österreich falsch?

Matthias Sutter: Die Inflationsrate im Euro-Raum sinkt im Schnitt nicht in allen Ländern, Österreich ist da beim schlechteren Drittel dabei. Insgesamt sinkt sie bei den anderen leicht, in Spanien etwa durch starke Preiseingriffe, wo man sagen muss, dass das marktwirtschaftlich fragwürdig ist, ob man das tun muss. In dem Sinn hat Österreich vielleicht eine schlechtere Position im Moment, wenn es um den Durchschnitt geht. Wenn es allerdings um die Kaufkraft aufgrund der staatlichen Hilfen geht, steht Österreich nach wie trotz hoher Inflation gut da.

ORF Vorarlberg: Als Grund für die Teuerung werden vor allem die hohen Kosten für Haushaltsenergie genannt. Jetzt ist es aber so, dass Österreich drei Viertel des Stroms aus erneuerbaren Quellen selbst erzeugt und nur 27 Prozent aus dem Ausland importiert werden. Dieser Anteil kann wohl nicht so viel zur aktuellen Teuerung beitragen. Sind hier Trittbrettfahrer unterwegs, die aus der aktuellen Situation Kapital schlagen und die Preise ohne Grund erhöhen?

Matthias Sutter: Natürlich sind die Energiepreise teurer, selbst wenn wir nur ungefähr ein Viertel importieren würden, was bei vielen Energieflotten wie Gas ganz anders ist. Es ist tatsächlich so, dass die Energieversorger österreichweit, selbst die mit Wasserkraft, gerade in der kalten Jahreszeit trotzdem häufig Energie importieren müssen, weil letztlich nicht genug Wasser da ist. Und das bedeutet bei den Terminbörsen für Energie extrem hohe Kosten für diese Betreiber, wenn sie einkaufen müssen. Das erklärt sicher nicht die elf Prozent, aber es gibt hier marktwirtschaftliche Verflechtungen beim Import, die preistreibend wirken. Das ist die eine Seite der Medaille. Die zweite Seite der Medaille ist tatsächlich schon so – ich darf es privat sagen – dass man beim Bau den Eindruck hat, die Handwerker können alles verlangen, weil ja scheinbar alles teurer wird und da wird es auch bei ihnen teurer. Dass es hier Mitnahmeeffekte geben kann, scheint plausibel. Man müsste es allerdings konkret belegen, damit man es auch wirklich weiß.

ORF Vorarlberg: Die Teuerung lässt ja derzeit die Staatskasse ziemlich klingeln. Im Vorjahr hat der Fiskus Steuern in Höhe von 105 Milliarden Euro eingenommen. Könnte man jetzt nicht hergehen und sagen, dass Österreich gar kein Interesse daran hat, aufgrund dieser hohen Steuereinnahmen die Inflation zu bremsen?

Matthias Sutter: Nein, das glaube ich grundsätzlich nicht. Das Handeln der Regierung hat keine Anzeichen dafür. Richtig ist, dass damit ein kleiner Teil der zusätzlichen Ausgaben, die es durch die Staatshilfen für private Haushalte und Unternehmen gibt, gegenfinanziert werden kann. Dass ist irgendwie verständlich, sonst zahlen unsere Kinder und Kindeskinder noch in den nächsten Jahrzehnten.

ORF Vorarlberg: Die bisherigen Einmalzahlungen haben die Inflation in Österreich nicht bremsen können. Was müsste die Bundesregierung machen, um die aktuelle Teuerung zu stoppen?

Matthias Sutter: Seriöse Berechnungen zeigen, dass natürlich gerade die staatlichen Hilfen die Inflation zum Teil auch befeuern. Denn das Ziel der österreichischen Bundesregierung war es immer, die Kaufkraft der Österreicher zu erhalten. Wenn ich das jetzt mache und die Preise steigen und ich versuche, die Kaufkraft der Leute zu erhöhen, dann spielt es für die letztlich keine Rolle, dass die Preise steigen. Da gibt es kein Ausweichverhalten, dass man auf möglichst billigere Produkte ausweicht, solange die Kaufkraft gleich bleibt. Auch die Nachfrage sinkt nicht, wenn die Kaufkraft gleich bleibt. Darum sind diese Einmalzahlungen, die überhaupt nicht sozial gestaffelt waren, in Summe natürlich dazu da, dass zwar die Kaufkraft der Österreicher erhalten bleibt, aber auch einen inflationsbefeuernden Effekt hat. Das erklärt nicht die elf Prozent Inflation, wie wir sie jetzt nach 70 Jahren erstmals wieder haben, aber ein Teil der ein bis zwei Prozentpunkte können durch die Einmalzahlungen und sozialen Unterstützungsmaßnahmen über alle hinweg verteilt erklärt werden.

ORF Vorarlberg: Wie kann man gegensteuern?

Matthias Sutter: Aus sozialpolitischer Sicht müsste man versuchen, treffgenauer zu sein. Im Grunde brauchen die Leute, wo es um lebenswichtige Dinge geht, Unterstützung. Aber nicht ein guter Teil der Menschen, die zum Glück nach wie vor einkaufen gehen können, ohne Sorgenfalten zu haben.