Kind sitzt auf Spielplatz, von hinten fotografiert
imago images/Thomas Eisenhuth
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Gesundheit

Anhaltende Krisen sorgen für psychisch kranke Kinder

Auch nach der Coronavirus-Pandemie ist der Bedarf an Kinder- und Jugendpsychologen extrem hoch. Das System sei überlastet, heißt es etwa beim Institut für Sozialdienste (ifs). Nach einem leichten Rückgang hätten die jüngsten Krisen wie die Teuerung die Probleme wieder verschärft.

Zehn bis 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Österreich haben seit der Coronavirus-Pandemie massive psychische Probleme, sagt etwa Martin Schenk, Psychologe bei der Diakonie Österreich. Bei einer Buchvorstellung in Rankweil am Montag sagte Schenk, diese Gruppe der Kinder und Jugendlichen habe sich nicht erholen können. Betroffen sind laut Schenk vor allem Kinder und Jugendliche aus sozial schwierigen Verhältnissen, aber es leide auch die Mittelschicht.

Angststörungen massives Problem

Vor allem Angststörungen seien ein massives Problem bei Kinder- und Jugendlichen, sagt Alexandra Ghetta, Leiterin der Kinder- und Jugendberatung des ifs. Das habe wohl mit den fortlaufenden Krisen zu tun, die für Verunsicherung sorgten, so Ghetta. Viele Eltern seien selbst verunsichert – das spürten die Kinder. Stichworte: Teuerung, Ukrainekrieg, Geldsorgen – und das nach der Unsicherheit der Coronavirus-Pandemie. Problem sei dabei die immer länger werdende Zeitspanne der Belastung, so Ghetta. Viele Jugendliche blickten auch wegen der Klimakrise sorgenvoll in die Zukunft, sagt Psychologe Schenk.

Die Unsicherheit führe bei vielen Kindern und Jugendlichen zu Ängsten, etwa zu Schulangst oder einem kompletten sozialen Rückzug – etwa, wenn Jugendliche gar nicht mehr aus ihrem Zimmer herauskommen, beschreibt Ghetta. Das reiche auch bis zu suizidalen Krisen. Vielfach seien auch Belastungssymptome erkennbar wie Kopf- oder Bauchschmerzen. Besonders gestiegen ist auch die Zahl der Jugendlichen mit Essstörungen, was sich auch im stationären Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie am LKH Rankweil zeigt. Dieser Anstieg sei seit längerem zu bemerken, heißt es dort.

ifs-Beratung
Das ifs hat mehrere Beratungsstellen im ganzen Land und bietet Einzel- und Gruppentherapien auch schon für Kindergartenkinder an. Die Therapeutinnen und Therapeuten arbeiten auch eng mit den Schulen und Kindergärten zusammen – eben mit dem sozialen Umfeld, in dem sich ein Kind befindet, das Hilfe braucht.

Schulschließungen sorgten für viele Anfragen

Schon vor der Pandemie hätten die Kinder- und Jugendpsychologen genug Arbeit gehabt, sagt ifs-Psychotherapeutin Ghetta. Aber die Pandemie habe das gesteigert – wenngleich am Anfang die meisten Familien die Situation noch gut gemeistert hätten. Nach dem ersten Lockdown seien dann die Anfragen für eine Beratung oder Therapie gestiegen. Sehr viele Anfragen habe es dann im Schuljahr 2020/21 gegeben, wo die Schulen lange geschlossen waren, sagt Ghetta.

Danach habe sich die Lage etwas erholt, erzählt Ghetta rückblickend – und jetzt sei der Andrang wieder gestiegen. Eben mit den Auswirkungen des Krieges in der Ukraine und mit den wirtschaftlichen Folgen – und mit der immer länger werdenden Zeitspanne, die nun schon von Krisen geprägt sei.

Kinder- und Jugendanwalt: Deutlich mehr Belastung

Auch der Vorarlberger Kinder- und Jugendanwalt Christian Netzer sieht die „Zukunftsunsicherheit“ als zentrales Problem an, das die Jugendlichen massiv belaste. Umfragen, bei denen man Kinder- und Jugendliche direkt gefragt habe, hätten gezeigt, dass die psychische Belastung deutlich mehr geworden sei. Es gebe einen wachsenden Druck in immer mehr Bereichen.

Netzer verweist auch auf ein Projekt der Bundesregierung mit dem Titel „Gesund aus der Krise“, dort sei die Nachfrage groß. Bei diesem Projekt kann man sich derzeit laut Angaben des Berufsverbandes Österreichischer PsychologInnen für Restplätze zu Einzel- oder Gruppenbehandlungen anmelden. Schon bald sollen durch weitere Fördermittel des Bundes rund 10.000 zusätzliche Plätze bis Ende 2023 geboten werden. Sobald diese verfügbar seien, werde das auf der Internetseite gesundausderkrise.at veröffentlicht.

Netzer fordert mehr Gelder

Netzer fordert, dass weitere Gelder im Bereich der Kinder- und Jugendpsychologie investiert werden, dass die Politik ihr Budget für dieses Thema weiter aufstockt. Es brauche zum einen weitere Angebote im Therapiebereich, parallel dazu aber auch mehr präventive Maßnahmen.

Das gelte auch für die Schulpsychologie und die Schulsozialarbeit, aber auch für die Freizeitmöglichkeiten, so Netzer. Auch im Sinne der Prävention müsse zudem die Ursachenforschung gestärkt werden, um herauszufinden: „Warum können das die Familien nicht mehr schaffen?“

Wartezeiten von mehreren Monaten

Der Ruf nach mehr kassenfinanzierten Therapieplätze wird vielfach laut. Allerdings gibt es auch in Vorarlberg zu wenige Psychologen und Psychotherapeuten mit einer Spezialisierung auf den Kinder- und Jugendbereich, das Personal reicht beim aktuellen Bedarf bei weitem nicht aus, heißt es beim ifs und auch bei der Kinder- und Jugendanwaltschaft. Die Wartezeiten für eine Behandlung liegen etwa beim ifs derzeit teils bei drei bis fünf Monaten.

Knapp sind die Plätze auch in der Kinder- und Jugendpsychiatrie des LKH Rankweil. Der Druck sei groß, die Abteilung vollständig ausgelastet. In Rankweil gibt es derzeit 24 stationäre Plätze, dazu kommen insgesamt zwölf Tagesklinikplätze in Bregenz und Rankweil. Auch hier gibt es Wartezeiten bei „nicht akuten, planbaren Aufnahmen“, wie es heißt, die Akutversorgung sei aber gesichert.

LKH Rankweil: Alle ärztlichen Stellen besetzt

Auch am LKH Rankweil werden mehr Ressourcen für den „steigenden Bedarf“ im Bereich der Kinder- und Jugendtherapie gefordert. Die Auswirkungen der Pandemie mit dem Verlust des Schulbesuchs, dem Verlust der Tagesstruktur und fehlenden Kontakten zu Gleichaltrigen verbunden mit dem veränderten Bewegungsverhalten hätten gezeigt, dass die psychosozialen Angebote weiter ausgebaut werden müssten.

Ein dringend notwendiger Schritt sei der derzeit in Bau befindliche Neubau der Erwachsenenpsychiatrie in Rankweil sowie der anschließende Neubau der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Und der ärztliche Stellenplan sei derzeit voll besetzt, neun Ärzte und Ärztinnen arbeiten in der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Der Pflegebereich sei derzeit „relativ gut abgedeckt und nur leicht unterbesetzt“. Aber auch in Rankweil heißt es: Die Prävention sowie die Angebote insbesondere im ambulanten, wohnortnahen Bereich müssten gestärkt werden – um zu verhindern, dass ein Kind überhaupt stationär aufgenommen werden muss.

Hilfe im Krisenfall

Die Psychiatrische Soforthilfe bietet unter 01/313 30 rund um die Uhr Rat und Unterstützung im Krisenfall. Die österreichweite Telefonseelsorge ist ebenfalls jederzeit unter 142 gratis zu erreichen.