Julia Brandl
Patrick Saringer
Patrick Saringer
Wissenschaft

Hohe Teilzeitquote wegen hohen Immobilienpreisen

Viele Unternehmen suchen Beschäftigte und die Zahl der Arbeitslosen ist gering. Julia Brandl von der Universität Innsbruck forscht zum Arbeitsmarkt. Und sie sagt: Ein Grund für die hohe Teilzeitquote sind die hohen Immobilienpreise. ORF Vorarlberg-Redakteur Michael Prock hat mir Julia Brandl über die aktuelle Situation gesprochen.

ORF Vorarlberg: Unternehmen beklagen sich, dass Arbeitskräfte fehlen. Das zieht sich durch alle Branchen durch. Warum fehlen die Arbeitskräfte überhaupt?

Brandl: Es gibt mehrere Gründe. Ein Grund ist sicher der demographische Wandel. Viele sagen voraus, dass wir vor einer großen Pensionierungswelle stehen. Aber wir sind schon mittendrin, die Abwanderung findet schon statt. Es rücken aber nicht mehr so viel Leute nach. Ein anderer Grund ist die einfache Möglichkeit, den Beruf und sogar die Branche zu wechseln. Gastronomiemitarbeiter bewerben sich bei Banken und haben Chancen, eingestellt zu werden. Früher waren die Hürden für einen Wechsel innerhalb der Branche viel höher.

ORF Vorarlberg: Ein anderer Aspekt ist die hohe Teilzeitquote. Wir haben zwar Rekordbeschäftigung, aber viele nur in Teilzeit. Warum gehen immer mehr Menschen in Teilzeit?

Brandl: Das hat zum Teil damit zu tun, dass sich Menschen überlegen, wieviel Lebenszeit sie für die Erwerbstätigkeit aufbringen wollen – oder ob ihnen Zeit für die Familie, für Freunde und die Freizeit wichtiger ist.

ORF Vorarlberg: Sind Menschen also einfach weniger motiviert, Vollzeit zu arbeiten?

Brandl: Generell etwas über die Motivation von Menschen zur Arbeit zu sagen, ist ein gewagtes Unterfangen. Ich habe aber eine These: Bisher sind Beschäftigte einen gesellschaftlichen Vertrag mit der Arbeit eingegangen. Der ist brüchig geworden. Der Glaube daran, dass man durch lange und harte Arbeit Wohlstand und Sicherheit erwerben kann, geht verloren. Dieser Gedanke ist bei vielen Leuten nicht mehr da. Früher war es so: Wenn man sich anstrengt und einen großen Teil des Lebens mit Arbeit verbringt, hat man etwas davon, zum Beispiel in Form eines Eigenheims oder in Form von finanzieller Sicherheit. Darauf konnte man sich verlassen. Diese Annahme kommt zusehends abhanden.

ORF Vorarlberg: Das heißt: Die hohen Kosten für Eigentumswohnungen oder für den Hausbau wirken sich auf die Arbeitsmotivation aus?

Brandl: Genau. Wobei das natürlich nicht alle trifft. Sondern vor allem diejenigen, die keine reichen Eltern oder kein Kapital haben. Für die ist die Vorstellung, sich eine Anlageform wie eine Wohnung zu leisten, illusionär geworden. Und wenn so etwas zur Illusion wird, dann überlegt man sich, ob man sich sein Leben anders definiert – also weniger arbeitet oder auch einen Job sucht, der sinnstiftender ist.

ORF Vorarlberg: Der Arbeitskräftemangel ist aber doch auch eine gute Position für Arbeitnehmer bei Lohnverhandlungen.

Brandl: Die Gehälter steigen aber nicht im gleichen Maße wie zum Beispiel die Preise für Wohneigentum. Solange das nicht ins Verhältnis gesetzt ist, sind kleinere Gehaltssprünge oder Entschädigungen keine wirklich sinnvolle Lösung in dieser Frage. Die Beschäftigten sehen ja, was sie damit mehr machen können, nämlich relativ wenig.

ORF Vorarlberg: Vonseiten der Wirtschaft hört man immer wieder die Forderung, dass die Zumutbarkeitsbestimmungen gelockert werden. Also, dass Arbeitnehmer einen Job annehmen müssen, der weiter weg ist. Ist das eine sinnvolle Idee?

Brandl: Darin liegt viel Hoffnung, aber ich glaube nicht so recht daran. Schon jetzt gibt es wenig Arbeitslose. Und die, die es sind, sind oft gar nicht in der Lage, zu arbeiten. Manche sind psychisch oder physisch krank, andere haben andere Probleme, die es den Leuten verunmöglichen, einer Erwerbstätigkeit im regulären Arbeitsmarkt nachzugehen. Ich bin mir nicht sicher, ob Arbeitgeber eine Freude hätten, wenn man diese Kräfte mobilisiert. Das ist eher ein Thema für den zweiten Arbeitsmarkt.

ORF Vorarlberg: Aber nicht alle sind krank.

Brandl: Es gibt natürlich auch Arbeitslose, denen es vielleicht schon zumutbar sein könnte, weiter zu fahren. Sie würden das auch tun, wenn sie dazu genötigt werden. Aber sie werden darüber sicher nicht glücklich sein, wenn sie gezwungen werden. Sie würden solche Schritte als Eingriff in ihre Freiheit sehen und sich möglicherweise radikalisieren. Eine weitere Verschärfung von Zumutbarkeiten würde sich also auch demokratiepolitisch auswirken. Und das ist etwas, was man bei Arbeitsmarktmaßnahmen oft vernachlässigt. Der Fokus liegt oft auf der Arbeitslosenquote. Eigentlich sollten Arbeitsministerium und Sozialministerium in diesen Fragen in einen Dialog treten um herauszufinden, welche Balance sinnvoll ist.

ORF Vorarlberg: Weniger Arbeitskräfte, weniger Dinge für die es sich lohnt zu arbeiten, weniger Motivation … welche Auswirkungen hat das für die Konsumenten?

Brandl: Das werden wir als Konsumentinnen und Konsumenten zu spüren bekommen. Wenn die Menschen weniger arbeiten, dann tun sie das in Betrieben, die Leistungen produzieren. Das heißt bei technischen Produkten, Autos, aber auch Dienstleistungen, die wir konsumieren. Das werden wir natürlich merken. Wie schon in der Gastronomie. Dort müssen Gasthäuser schon mehr Schließtage einführen. Ich habe kürzlich mit einer Friseurin gesprochen. Sie hat mir erzählt, dass sie keine Lehrlinge findet. Und die, die da sind, überlegen sich momentan stark, was am Ende auf ihrem Lohnzettel steht. Die Friseurin meinte, dass sich das bald auf die Preise umschlagen wird. Das ist ja auch logisch: Es werden weniger Termine vergeben werden können. Und die Friseure möchten mehr Geld verdienen.

ORF Vorarlberg: Wie sollen die Politik und die Gesellschaft auf diese Entwicklung reagieren?

Brandl: Man sollte sich überlegen, ob man einem Prinzip traut, dass sagt: In unserer Gesellschaft haben wir unterschiedliche Leistungsfähigkeiten. Manche können mehr leisten als andere. Dieses Prinzip sollte man jetzt nutzen, sodass diejenigen, die etwas mehr leisten können – also die Starken – sich Gedanken machen müssen, inwieweit sie auch etwas mehr geben, beziehungsweise abgeben können.