Blick in Moskau in Richtung Basilius-Kathedrale
Hermann Hammer
Hermann Hammer
Ukraine-Krieg

Alltag in Moskau durch Krieg kaum verändert

Vor fast genau einem halben Jahr hat Russland die Ukraine angegriffen. Die Ukraine kann sich mit Waffen aus dem Westen bisher besser widersetzen als erwartet. Während sich das Leben der Ukrainer zum Teil dramatisch verändert hat, herrscht in Moskau weitgehend Normalität, erzählt die langjährige ORF-Russland-Korrespondentin, Carola Schneider.

ORF: Die EU hat eine Reihe von Sanktionen gegen Russland verhängt. Die russische Wirtschaft wurde zum Beispiel vom internationalen Zahlungsverkehr abgehängt, es gibt ein Ölembargo etc. Was spürt man denn derzeit von diesen Sanktionen in Moskau?

Schneider: Also im Alltag der Menschen spürt man bisher wenig. Es hat natürlich schon Auswirkungen, wie dass westliche Kreditkarten in Russland nicht mehr eingesetzt werden können, dass russische Kreditkarten nicht mehr im Westen akzeptiert werden. Es sind viele westliche Unternehmen aus Russland weggegangen, wie zum Beispiel Ikea oder McDonald’s. Aber das sind Dinge, die eigentlich nicht dazu geführt haben, dass man jetzt im Alltag etwas spürt.

ORF: Heißt das jetzt, dass sich im Alltagsleben wirklich nichts verändert hat? Sind alle Produkte verfügbar? Sind alle Lebensmittel verfügbar? Und sind die Preise trotz des Krieges weiterhin im Rahmen?

Schneider: Die Preise sind seit dem Frühjahr extrem gestiegen. Der Rubel ist eine Zeit lang abgestürzt. Man spürt es im Alltag schon. Es ist aber nicht etwas, das jetzt ganz massiv die Menschen einschränken würde. Ich glaube, das kommt dann wie gesagt in den nächsten Monaten, wenn dann wirklich Entlassungen, Massenentlassungen vielleicht, stattfinden. Es gibt jetzt auch Ökonomen, die sagen, im zweiten Halbjahr bricht die russische Wirtschaft stärker ein. Im ersten Halbjahr ist es wirklich weit besser ausgegangen für die russische Wirtschaft, als man im Westen gedacht habe. Auch als man in Russland selbst gedacht hat. Diese Sanktionen sind offenbar wirklich eine Zeitbombe, die nicht gleich einschlägt, sondern erst sehr langsam.

ORF: Zu Beginn des Krieges hat man noch Bilder gesehen, auch bei uns im Fernsehen, im ORF, wie Menschen in Russland, die gegen den Krieg auf die Straße gehen und gegangen sind, geschlagen und festgenommen wurden. Gibt es derzeit noch solche Proteste gegen diesen Krieg?

Schneider: Es gibt sie fast nicht mehr. Es gibt noch ganz einzelne. Das nennt sich Einzel-Mahnwache. Die sind offiziell laut russischem Gesetz als einzige Protestform erlaubt, dass man sich einfach hinstellt ganz allein und ein Plakat zum Beispiel oder einen Zettel in die Luft hält. Aber auch die werden sofort abgeführt und festgenommen. Viele haben einfach Angst. Auch, dass sie, wenn sie öffentlich im Supermarkt oder im Bus oder in der Metro die Regierung kritisieren, dass sie dann sozusagen verraten werden, dass sie dann auch verhaftet werden. Das heißt aber nicht, dass das ganze Volk jetzt gegen Putin ist. Die große Mehrheit scheint sich damit abzufinden. Zum Teil haben sie das Gefühl, sie können das eh nicht ändern. Zum Teil gibt es auch Befürworter, die der russischen Propaganda glauben, die hier aus dem Fernsehen kommt. Man darf ja nicht vergessen, dass auch sämtliche Unabhängige, es hat eh nicht mehr viele gegeben, aber sämtliche unabhängigen Medien sind inzwischen gesperrt, verboten, aus dem Land gewiesen, verhaftet.

ORF: Welche Rolle spielt denn der Krieg derzeit noch in den pro-russischen Medien? Wird da noch heftig dafür geworben, werden da weiterhin, wie das am Anfang der Fall war, nach Soldaten gesucht, die man braucht für diese „Aktion“?

Schneider: Natürlich, es wird dauernd berichtet, es wird aber eben unter diesem propagandistischen Blickwinkel berichtet, dass Russland dort in der Ukraine für eine gerechte Sache eintritt, dass das Ganze überhaupt nicht ein Konflikt mit der Ukraine ist, sondern mit dem Westen. Natürlich wird auch immer noch für Soldaten geworben. Es gibt zum Teil in den russischen Städten solche Stände, in der Stadt, wie Wahlkampfstände, wo man russische Männer einlädt, auch Reservisten lukrative Verträge zu unterschreiben und dafür die russische Armee in die Ukraine zu ziehen. Und es wird sogar in den russischen Gefängnissen geworben. Strafgefangenen wird der Erlass ihrer Strafe versprochen, wenn sie in die Ukraine kämpfen gehen. Und das alles zeigt natürlich schon, wie groß der Bedarf ist. Präsident Putin traut sich aber offenbar im Moment nicht, eine Generalmobilmachung zu verkünden, also sozusagen per Gesetz alle russischen Männer im wehrpflichtigen Alter sozusagen an die Front zu rufen. Wahrscheinlich spürt er, dass das unglaublich unpopulär wäre.