Bettina Steindl CampusVäre
ORF/Prock
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Bildung

Steindl: Offene Gesellschaft zieht Fachkräfte an

In Vorarlberg stöhnen derzeit viele Unternehmen über den Fachkräftemangel. Mittlerweile wird außerhalb des Landes um Personal geworben. Auch Vorarlberger Studenten sollen davon überzeugt werden, nach dem Studium zurückzukehren. Gehalt und Wohnung sind aber längst kein Lockmittel mehr, sagt Bettina Steindl, Leiterin der CampusVäre.

ORF Vorarlberg: Frau Steindl, die Unternehmen im Land schreien nach Fachkräften. Warum finden Sie keine?

Steindl: Wirtschaft und Industrie haben erkannt, dass sie in Zukunft andere Wege gehen müssen, um Fachkräfte zu aktivieren. Vorarlberg hat eigentlich alles und erfüllt die Voraussetzungen, um am internationalen Markt nicht nur mithalten zu können. In vielem hat Vorarlberg einen Vorteil gegenüber anderen Regionen Europas. Ich kann vor allem über die Kreativwirtschaft sprechen und zitiere gerne den US-Ökonom Richard Florida. Er sagt, es braucht verschiedene Faktoren, um die sogenannte kreative Klasse in eine Region zu ziehen. Und in dem Feld hat Vorarlberg noch Aufholbedarf.

ORF Vorarlberg: Welche Faktoren sind das?

Steindl: Kreative Menschen sind wichtig, um den Wirtschaftsstandort voranzutreiben. Damit eine Region eine funktionierende Wirtschaft hat, braucht es drei Arten von Kreativität: Die technologische Kreativität, die ökonomische Kreativität und die künstlerische Kreativität. Ich glaube wir haben noch Aufholbedarf darin, diese kreativen Menschen anzusprechen.

ORF Vorarlberg: Sie haben lange im Ruhrgebiet gearbeitet. Was fehlt Vorarlberg, was diese Regionen hat?

Steindl: Das Ruhrgebiet ist ein gutes Beispiel. Es ist eine Bergbau-Region, besteht aus 56 Städten mit über fünf Millionen Einwohnern. Nach dem Wegfall des Bergbaus – und jetzt polarisiere ich – war die Region von Armut bedroht. Man hat sich politisch, wirtschaftlich und industriell dazu entschlossen, Universitäten anzusiedeln und die bestehenden Industrie-Areale bewusst in Arbeitsplätze der Zukunft zu transformieren. Gerade die Ansiedlung von Kunst, Kultur und Kreativwirtschaft wurde strategisch forciert. Das muss übrigens partizipativ geschehen, das ist wesentlich. Das Ruhrgebiet ist heute eine äußerst florierende Region mit viel Forschung und Entwicklung, viel Kunst und Kultur sowie vielen Unternehmensansiedlungen. Das Ruhrgebiet ist ein attraktiver Arbeits- und Wirtschaftsstandort.

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Sägerhallen Dornbirn
CampusVäre
Die CampusVäre befindet sich in den Sägen-Hallen in Dornbirn
Sägerhallen Dornbirn
CampusVäre
Sägerhallen Dornbirn
CampusVäre
Sägerhallen Dornbirn
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Sägerhallen Dornbirn
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Sägerhallen Dornbirn
CampusVäre

ORF Vorarlberg: Der Vorarlberg offenbar nicht für alle ist – zumindest nicht so, dass mehr Fachkräfte kommen. Was muss sich ändern?

Steindl: Wie gesagt, Vorarlberg erfüllt viele Voraussetzungen. Man sollte aber ruhig etwas selbstbewusster in der eigenen Erzählung sein, wenn es darum geht, grenzüberschreitend zu kommunizieren. Und was ich ganz wichtig finde: Die Mentalität muss ein Stück offener und toleranter werden. Wir erleben immer wieder, und das hören wir auch aus der Wirtschaft und der Industrie, dass Fachkräfte zwar kommen, aber nicht lange bleiben. Sie zu halten ist ganz schwer. Eine Personalberaterin hat mir erzählt, dass jemand aus einem sehr erfolgreichen Unternehmen eine gute Position wieder verlassen hat, weil die Hierarchien streng sind. Menschen von außerhalb sind solche Unternehmenskulturen in Familienunternehmen teilweise nicht gewohnt. Das ist gar keine Wertung! Aber man muss sich mit dem Thema auseinandersetzen. Das ist auch ein Auftrag an uns alle.

ORF Vorarlberg: Was kann helfen?

Steindl: Es ist wichtig, den Menschen von außerhalb Orte zu geben, die sie ganz bewusst anziehen und an denen sie sich versammeln. Jeder Fußballverein hat ein Vereinshaus, jeder Tennisklub hat ein Klubhaus. Aber die sogenannte kreative Klasse, die wir ökonomisch, ökologisch und künstlerisch dringen benötigen, ist relativ allein gelassen. Es gibt kein Ort, wo sie sich außerhalb des Unternehmens aufhalten können. Wir als CampusVäre möchten so ein Ort werden. Wir wissen aus der Innovationsforschung, dass es wichtig ist, dass sich Menschen zuerst einmal an einem Ort treffen können, wo man weiß: Da passiert ganz viel. Das ist bisher unüblich in diesem Land. Wir imitieren sozusagen urbane Zentren. Die CampusVäre wird einen Beitrag leisten, um nicht nur Fachkräfte anzuziehen, sondern dauerhaft zu halten.

ORF Vorarlberg: Das heißt, Vorarlberg ist zu wenig urban?

Steindl: Es geht eher um das Mindset, um den Urbanismus. Das ist zum einen die Infrastruktur. In Wien oder anderen Städten brauche ich vieles nicht, was ich in Vorarlberg brauche – ein Auto zum Beispiel. Aber es geht eben nicht nur um Infrastruktur. Ich glaube, man kann es uns, die wir hier leben, abverlangen, dass wir ein urbanes Sein imitieren. Urban im Sinne von Offenheit, also weniger Zuschauerkultur sondern mehr Mitmachkultur. Das ist auch ein Aspekt, um Richard Florida noch einmal zu zitieren. Urbanismus ist nicht nur perfekte Infrastruktur. Es geht auch darum, dass sich Menschen ausleben können, dass sie sein können wie sie wollen. Als auch um eine Haltung, dass alle willkommen sind. Da haben wir noch ein bisschen Aufholbedarf.

ORF Vorarlberg: Was Sie so erzählen klingt sehr nach Universität. Dort gibt es ja solche Freiräume. Braucht Vorarlberg also eine Universität?

Steindl: Das ist ein heißes Thema in Vorarlberg. Ich bin immer dafür, dass es Bildungsstätten und Universitäten gibt. Ich durfte ja selber eine Universität erleben. Das Erlebnis, sich an einem Universitätscampus aufzuhalten ist wichtig. Und ja, wir wissen, dass Bildungseinrichtungen und Universitäten wesentlich dazu beitragen, dass Regionen florieren. Wir sitzen hier in der CampusVäre und neben uns ist die Fachhochschule. Die FH Vorarlberg war die erste Fachhochschule Österreichs und ist extrem forschungsintensiv. Darüber wird zu wenig gesprochen! Es ist gut, die FH zu stärken und auszubauen. Und vielleicht kommen in Zukunft Lehrgänge hinzu, die wir vielleicht sonst auf Universitäten finden. Die FH Joanneum in Graz ist ein perfektes Beispiel, wie das geht. Ich würde dafür plädieren, die großartige FH zu stärken und auszubauen. Und dass die Studenten außerhalb der Fachhochschule mehr Campus erhalten, damit es die Möglichkeit des Austausches gibt.

ORF Vorarlberg: Wie sieht so ein Campus aus?

Steindl: Da kann man sich ja an anderen Universitäten in Europa orientieren. Es gibt auch Beispiele wie das Museumsquartier in Wien, wo sich Leute treffen. Wir wissen, dass es konsumfreie Zonen braucht. Dass es Aufenthaltsorte braucht, die nicht dem öffentlichen Einblick ausgesetzt sind. Wir arbeiten sehr stark mit den Studierenden zusammen und haben sie zwei Semester lang befragt, was sie wollen und brauchen. Da sind eben diese klaren Antworten gekommen. Es ist nicht so wichtig, ob es eine Schule oder eine Uni ist. Wir müssen aber rundum das Bewusstsein fördern, dass es diese kleinen Zellen der Rebellion geben darf und eigentlich sogar geben muss – in einem Land wie diesem.

ORF Vorarlberg: Sie sprechen über Freiräume, über Offenheit und Rebellion, also über Soft Skills. Die Wirtschaft wirbt mit dem Gehalt, einem Dienstwagen und andern Hard Facts. Muss es ein Umdenken geben?

Steindl: Das Bewusstsein dafür steigt. Aber ich wünsche mir, dass Soft Skills noch mehr in den Mittelpunkt rücken. Es geht eigentlich nur noch um Soft Skills. Bei den Hard Facts sind wir führend in Vorarlberg. Da haben wir unsere Hausaufgaben erledigt. Jetzt sind andere Fragen wichtig: Wie verhält sich die Gesellschaft anderen gegenüber? Wie integrativ verhalten wir uns in der Gesellschaft? Und vor allem: Wie offen sind wir? Wissen wir, dass Menschen von außerhalb völlig neue Blickwinkel mitbringen und dass wir davon lernen können? Diese Ansicht ist noch ausbaufähig. Jetzt sage ich es wieder ganz polarisierend: Vielleicht ist es nicht der richtige Weg, den Menschen von außerhalb das „Ghörig-Sein“ beizubringen. Sondern im Gegenteil, dass wir von ihnen lernen.

ORF Vorarlberg: Was meinen Sie damit?

Steindl: Ich selber bin ja nicht aus Vorarlberg. Es ist wichtig, dass man seine eigene kulturelle Sozialisierung erhält und die Welt mitbringt, die man erlebt hat. Diese Offenheit verlange ich auch meinem Umfeld ab. Ein Beispiel: Es gibt ein Unternehmen im Land, das dringend Mitarbeiter suchte. Es konnte eine tolle junge Frau aus Wien akquirieren. Sie hat mir nach eineinhalb Jahren erzählt: „Ich habe das Gefühl, ich muss mir Freunde auf dem Dorfplatz erlegen.“ Es sei nicht möglich, Anschluss im Dorf zu finden. Das finde ich besorgniserregend. Da müssen Aktionen gesetzt werden. Die Politik kann urbane Zentren unterstützen und fördern. Aber es ist die Aufgabe von uns allen.

ORF Vorarlberg: Wir befinden uns in einer alten Fabrik in Dornbirn. Wir sitzen auf alten Möbeln, sehen auf alte Wände, hier in diesem Raum fehlt sogar die Tür. Erklären Sie uns mal: Wo sind wir hier und was machen Sie hier eigentlich?

Steindl: Wir befinden uns in den sogenannten Sägen-Hallen. Eine 12.000 Quadratmeter große Industriehallte am Campus V in Dornbirn. Unsere Nachbarin ist die FH, gegenüber ist zum Beispiel die Postgarage. Diese Halle befand sich lange im Besitz der Firma Hämmerle und wurde in den 2000er-Jahren von der Stadt Dornbirn gekauft. Der Industriekomplex ist in verschiedene Hallen unterteilt. Teile davon sind vermietet, zum Beispiel an ein großartiges Forschungsprojekt der ETH Zürich. Wir beide sitzen jetzt im Büro des Kreativ-Instituts Vorarlberg. Dieses Büro ist die ehemalige Elektro-Werkstätte der Firma Hämmerle. Wir möchten zeigen, dass es manchmal guttut, out oft the box zu denken. Das regt nämlich an, kreative Lösungen zu finden und innovativ zu sein. Kreative Lösungen brauchen kreative Räume. Und so ein Raum soll die CampusVäre sein. Wir sind dran, Meter für Meter diese Industriehalle in eine Werkstätte zur Entwicklung der Zukunft zu transformieren.