Auslegen von Netzen für die Beprobung heutiger Felchenarten, die für den Vergleich des Erbguts mit den historischen Proben verwendet wurden
David Frei/eawag.ch
Oliver Selz/eawag.ch
Wissenschaft

Felchen könnten wieder in der Tiefe leben

Eine ausgestorbene Felchenart hat Spuren im Erbgut der noch heute im Bodensee lebenden Felchen hinterlassen, wie ein Team des Wasserforschungsinstituts Eawag im Fachmagazin „Nature Ecology and Evolution“ berichtet. Das Vermächtnis der Verwandten könnte es den heutigen Felchen ermöglichen, einen verlorenen Lebensraum neu zu erobern.

Die Forschenden um Philine Feulner vom Eawag-Institut untersuchten alte Schuppen von vier Felchenarten, die vor rund 90 Jahren im Bodensee gelebt hatten. Darunter finden sich Exemplare der heute ausgestorbenen Art namens Coregonus gutturosus.

Durch Überdüngung ausgestorben

Zum Verhängnis wurde dieser Felchenart die zunehmende Überdüngung des Sees ab den 1950er-Jahren, wie die Eawag in einer Mitteilung vom Donnerstag schrieb. Denn dieser Fisch bevorzugte Laichgebiete in der Tiefe des Sees, wo durch die Überdüngung ein Sauerstoffmangel herrschte.

Doch Coregonus gutturosus verschwand offensichtlich nicht spurlos: Er wurde in die Nischen der anderen Felchenarten gedrängt, wo er sich mit ihnen kreuzte und Teile seines Erbguts in den gemeinsamen Nachkommen hinterließen.

Fotostrecke mit 3 Bildern

Eine der ehemals vier Felchenarten im Bodensee – Coregonus gutturosus  – ist vor rund 40 Jahren ausgestorben (Fotos: Oliver Selz)
Oliver Selz/eawag.ch
Eine der ehemals vier Felchenarten im Bodensee – Coregonus gutturosus – ist vor rund 40 Jahren ausgestorben
Auslegen von Netzen für die Beprobung heutiger Felchenarten, die für den Vergleich des Erbguts mit den historischen Proben verwendet wurden
David Frei/eawag.ch
Auslegen von Netzen für die Beprobung heutiger Felchenarten, die für den Vergleich des Erbguts mit den historischen Proben verwendet wurden
Jede der vier Felchenarten enthält auch Genom-Anteile der anderen Arten. In den Proben der heute lebenden Felchen (s. Balken «Post») ist die Vermischung allerdings durchwegs grösser als in den historischen Proben, die aus der Zeit vor der Überdüngungs-Phase des Bodensees stammen (s. Balken «Pre»).
eawag.ch
Jede der vier Felchenarten enthält auch Genom-Anteile der anderen Arten. In den Proben der heute lebenden Felchen (s. Balken «Post») ist die Vermischung allerdings durchwegs grösser als in den historischen Proben, die aus der Zeit vor der Überdüngungs-Phase des Bodensees stammen (s. Balken «Pre»).

Nach Ende der letzten Eiszeit entwickelten sich in den großen Voralpenseen mehr als 30 endemische Felchenarten. Damit sind Arten gemeint, die einzigartig sind für einen See, wie die vier in der Studie untersuchten Felchenarten des Bodensees. Die Überdüngung im 20. Jahrhundert führte jedoch damals zu einem dramatischen Verlust der Felchenvielfalt.

Erbgut „überlebte“ in anderen Arten

Die Forschenden vermuten, dass sich im Vermächtnis der ausgestorbenen Felchenart auch Erbstücke befinden, die ein Leben im Tiefenwasser möglich machen. Somit könnten die heute lebenden Hybride einen Vorteil haben, um in diesem Lebensraum zurechtzukommen.

Lebensfeindliche Zone wieder zugänglich

Ob dem tatsächlich so ist, möchte das Team nun untersuchen. Obwohl nämlich in den tieferen Regionen des Bodensees noch keine Felchen vorkommen, wäre die einst lebensfeindliche Zone theoretisch wieder bewohnbar, weil sich der See von der Überdüngung inzwischen erholen konnte.

„SeeWandel“ erforscht Ökosystem Bodensee

Das interdisziplinäre Forschungsprojekt „SeeWandel: Leben im Bodensee – gestern, heute und morgen“ beschäftigt sich mit Fragen zur Widerstandsfähigkeit des Ökosystems Bodensee und untersucht den Einfluss von Nährstoffrückgang, Klimawandel, gebietsfremden Organismen und anderen Stressfaktoren. Die vorliegende Studie gehört zu einem von insgesamt 13 Projekten, an denen sieben Forschungseinrichtungen aus Deutschland, Österreich, Liechtenstein und der Schweiz beteiligt sind.