Monika Helfer
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Kultur

„Löwenherz“: Ein Fremder namens Richard

Mit dem Roman „Löwenherz“ schließt Monika Helfer ihre Familientrilogie ab. Im Bestseller „Die Bagage“ hatte die Vorarlbergerin die Geschichte ihrer Großmutter erkundet. Es folgte „Vati“, nun widmet sich Monika Helfer dem rätselhaften Bruder Richard.

Irgendwie erinnert Richard an den „Lizard King“ Jim Morrison, den jung verstorbenen Sänger der „Doors“, in seinen musikalischen Vorlieben ebenso wie in seiner Art, das Leben eher hinzunehmen als zu genießen. Allerdings ist sein Tier nicht die Eidechse, sondern die Blindschleiche. Und seine Band heißt „Canned Heat". Äußerlich erinnert er an deren Sänger Alan Wilson, als sei der dessen „hübscherer Bruder“. Und mit Michael Köhlmeier, dem Mann der Autorin, unternimmt er ziellose Fahrten. „Up the Country“ klingt dann durchs Auto oder „On the Road again“.

Charme hat Richard, sein Lächeln bezaubert alle, und dann die Geschichten, in die er sich einspinnt wie in eine schützende Hülle. Geschichten von der „Schatzinsel“, vom „Bahnwärter Thiel“ und dem „Taugenichts“.

Monika Helfer Vorarlberger Autorin
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Monika Helfer, geboren 1947 in Au/Bregenzerwald, lebt in Hohenems und ist mit dem Schriftsteller Michael Köhlmeier verheiratet

Viel Fiktion

Er identifiziere sich nicht mit diesen Figuren, sagt Michael Köhlmeier. Er schaue ihnen einfach zu, so wie er sich selbst beim Leben zuschaue. „Löwenherz“ ist ein Roman, der seine Handwerklichkeit offenlegt. Er entsteht im Gespräch unter Autoren, im Nachdenken über die vielen Facetten von Richard. Es gebe darin viel Fiktion, betont Monika Helfer. Erfunden ist zum Beispiel die Figur der Putzi. „Ich wollte ihm etwas geben, das er liebhaben kann“, sagt Monika Helfer.

Zu Kind und Streunerhund gekommen

Wie kommt dieser Mann, der sich kaum für Frauen interessiert, zu einem Kind? Putzi sitzt am Bodensee-Ufer zusammen mit ihrer Mutter, als Richard in einer Badewanne auf den See hinausschaukelt. Ein bisschen Jim Hawkins spielen, auch wenn er nicht schwimmen kann. Prompt kippt die Badewanne um, Richard strampelt und prustet und wird von der jungen Mutter gerettet. Zum Dank dafür soll er auf Putzi aufpassen. Das tut er mit Hingabe. Putzi und Schamasch, ein streunender Hund, dem er den Namen des babylonischen Sonnengotts gegeben hat – diesen beiden gehört sein Herz.

Buch Löwenherz
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Monika Helfer: Löwenherz. Hanser, 192 Seiten, 20,60 Euro.

Ein Bruder, der fremd wird

„Der Fremde“ – so hätte dieser Roman auch heißen können. Aber warum ist sich Richard so fremd? Liegt es an einer verstörten Kindheit? Nach dem frühen Tod der Mutter stürzt Richards Vater in eine derart fassungslose Trauer, dass er sich nicht mehr um seine Kinder kümmern kann. Richard wächst bei einer Tante in Feldkirch auf, die Schwestern bei einer anderen Tante in Bregenz. Zwei Jahre lang sehen sie ihn nicht. Doch dann wir das heiß ersehnte Zusammentreffen zum Desaster. Richard erkennt seine Schwestern nicht mehr.

Er läuft, bis er zusammenbricht

Was an Monika Helfers Roman so bezaubert, ist die Kunst, Richard nicht auf ein Psychogramm zu reduzieren. Er bleibt ein ganzer Mensch, rätselhaft, das ja, aber einer, dem sein Geheimnis nicht genommen wird.

Als Richard verliert, was ihn am Leben hält, als sein Hund erschossen wird, als Putzi von ihrer Mutter abgeholt wird, da läuft er, läuft und läuft, bis er zusammenbricht.

Ein Meisterwerk

Alan Wilson, der Sänger von „Canned Heat“, hat sich mit 27 das Leben genommen. „Richard würde es mit dreißig tun“, schreibt Monika Helfer schon gleich zu Beginn des Romans. „Löwenherz“ ist ein Meisterwerk – in seinen literarischen Mitteln, seiner zarten, unglaublich präzisen Figurenzeichnung. Richard, Putzi und all die anderen – Monika Helfer sieht sie an mit freundlichen Augen und einem Herzen voller Güte.