Thomas Schmidinger (Politikwissenschaftler an der Universität Wien)
Coronavirus

Extremismusforscher sieht Gefahr der Eskalation

Der Politologe und Extremismusforscher Thomas Schmidinger macht sich Sorgen um den Zusammenhalt unserer Gesellschaft. Wenn auf CoV-Demos von „türkisem Ungeziefer“ die Rede ist, dann sei das eine Grenzüberschreitung. Allerdings würden auch die Ungeimpften von manchen auf eine Art und Weise zu Sündenböcken erklärt, die Schmidinger als bedenklich bezeichnet.

Es sind sehr unterschiedliche Menschen, die aus sehr unterschiedlichen Gründen demonstrieren, sagt der Politikwissenschafter Thomas Schmidinger. Zum Teil seien es Rechtsextreme. Im Gespräch mit Jürgen Peschina betont Schmidinger aber, dass die Mehrheit der Demonstranten sicher keine Rechtsextremen sind.

Schmidinger: Das reicht von eher esoterisch motivierten Gruppen über Kleinunternehmer, Mütter, die mit der Schulsituation nicht mehr zurecht kommen, bis hin zu rechten Gegnern der Regierung. Und es ist sicher keine einheitliche Szene, die hier in einem Punkt zusammenfindet.

ORF Vorarlberg: Einer der Veranstalter der Demonstration hat gestern gesagt, man werde so lange weitermachen, bis dieses „türkise Ungeziefer von der Bildfläche verschwunden ist“. Diese Verrohung von Sprache, wie ist ihr zu begegnen?

Schmidinger: Das ist sicher eine Grenzüberschreitung, politische Gegner als Ungeziefer zu bezeichnen und erinnert natürlich an vergangene Sprachformen, sage ich mal in der Politik, die wir nicht wiederhaben wollen. Leider gibt es aber durchaus von beiden Seiten eine solche Verrohung, also auch das, was gegenüber Ungeimpften, die für manche jetzt zu Sündenböcken geworden sind, geäußert wird. Wir erleben durch das Missmanagement dieser CoV-Krise im Moment tatsächlich eine Eskalation innerhalb der Bevölkerung, die mich mit großer Besorgnis erfüllt. Ich halte es durchaus für möglich, dass das jetzt bis zur tatsächlichen Einführung der Impfpflicht noch weiter geht und eskaliert, auch möglicherweise in Randgruppen in Richtung einer gewaltsamen Eskalation.

Politologe Thomas Schmidinger
Thomas Schmidinger (25. August 1974 in Feldkirch geboren) ist ein österreichischer Politikwissenschaftler und Sozial- und Kulturanthropologe mit den Schwerpunkten Kurdistan, Jihadismus, Naher Osten und Internationale Politik.

ORF Vorarlberg: Die psychischen Energien, die ich hier zum Ausdruck kommen, sind geeignet, unsere Gesellschaft schwer zu beschädigen. Kann man das irgendwo einfangen?

Schmidinger: Könnte man vielleicht schon, da müsste aber durchaus auch die Gegenseite deeskalierend wirken. Ich glaube, wenn man jetzt darauf beharrt, dass man diese Impfpflicht in dieser Form einführt und man darauf beharrt, die Ungeimpften weiter aus der Perspektive der Ungeimpften jetzt, egal ob das begründet ist oder nicht, zu diskriminieren, dann wird man wahrscheinlich nicht mehr herunterkommen von dieser Radikalisierung. Und ich glaube, wir müssten tatsächlich ein bisschen jetzt die Luft rausnehmen, wenn wir die Eskalation verhindern wollen.

ORF Vorarlberg: Heißt das Deeskalation, Entgegenkommen, den Menschen, die sich jetzt maßnahmenkritisch äußern?

Schmidinger: Den Menschen ja, aber natürlich gibt sozusagen einen extremistischen Randbereich auf, den auch der Verfassungsschutz ein Auge werfen muss. Aber den Menschen muss man, glaube ich, tatsächlich einen Schritt zumindest entgegenkommen.

ORF Vorarlberg: Muss ich da zum Beispiel runter von der 2-G-Regel?

Schmidinger: Das muss man alles diskutieren. Aber ich denke schon, dass Menschen natürlich, wenn sie Angst haben müssen, ihren Job zu verlieren oder weitere Maßnahmen im Raum stehen, Gefahr laufen, sich stärker zu radikalisieren.