Frau hält Kopf in den Händen Schatten
Kittiphan – stock.adobe.com
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Soziales

Mehr psychische Probleme in allen Altersgruppen

Seit Ausbruch der Pandemie leiden immer mehr Menschen an psychischen Problemen. Der Bludenzer Psychotherapeut Martin Brüstle führt das unter anderem auf das massive Zurückfahren der sozialen Kontakte zurück. Verunsicherung und Einsamkeit seien die Folge – und das wiederum führe zu mehr Ängsten und Depressionen in allen Altersgruppen.

Je länger die Coronavirus-Krise dauert, desto mehr leiden die Menschen an psychischen Problemen. Das zeige sich auch in Vorarlberg, sagt der Bludenzer Psychotherapeut Martin Brüstle im Samstaginterview von ORF Radio Vorarlberg. „Es kommen mehr Menschen, die verunsichert sind“, erzählt Brüstle auch über die Erfahrungen in seiner eigenen Praxis. „Die Depressionen nehmen zu, die Ängste nehmen zu, und zwar in jeder Altersgruppe. Das heißt, diese allgemeine Verunsicherung, die die Menschen erleben, hat auch den Hintergrund, dass wir keine Erfahrung haben mit dieser Art von Pandemie“, so der Psychotherapeut.

„Diese Art von Verunsicherung und auch von Maßnahmen, die quer durch alle Ebenen unserer Gesellschaft geht, vom Gesundheitswesen bis zur Legislative, von der Schule bis zum Schließen der Geschäfte“ – das führe zu einem andauernden psychischen Stress. Dieser könne zu Schlafproblemen führen, zu innerer Unruhe, zu Ängsten – bis hin zu Depressionen.

Zunehmende Probleme von Kindern und Jugendlichen

Betroffen sind laut Brüstle Menschen aller Altersgruppen. So habe etwa eine Umfrage des Instituts für Sozialdienste bestätigt, dass sich Kinder und Jugendliche seit Beginn der Pandemie zunehmend unsicherer, isolierter und ängstlicher fühlen. „Für Kinder und Jugendliche brechen die sozialen Kontakte weg – nicht nur die der Großeltern, sondern vor allem auch der Freunde und der Schule, die eine wichtige strukturelle Funktion hat“, so der Psychotherapeut.

„Appetitlosigkeit nimmt zu, Ängste aufgrund von Trennungen entstehen und werden stärker, Konzentrationstörungen sind da, Albträume nehmen zu – das sind Warnzeichen, die wir bei den Kindern beobachten können.“ Mehr zum Thema in news.ORF.at: Kinder in der Pandemie – Aggression und emotionale Krisen.


Das Interview mit Martin Brüstle hat ORF-Redakteur Martin Kopf geführt.

Positive Grundhaltung der Eltern färbt ab

Eltern sollten sich bewusst machen, dass sie Vorbilder sind, empfiehlt Brüstle. „Wenn wir eine positive Grundhaltung einnehmen, dann färbt das auf unsere Kinder ab. Man könnte sagen, positives Denken hilft in dieser Situation den Kindern.“

Der Psychotherapeut nennt ein Beispiel aus seiner Praxis: Eine Klientin habe mit ihren Kindern darüber gesprochen, dass Homeschooling keine Ferien sind und mit den Kindern den Tag strukturiert. „Es gibt eine Zeit des Aufstehens, die gleich bleibt. Eine Zeit, die für Lernen reserviert ist und eine Zeit, die für Freizeit reserviert ist. Damit strukturiert sie für die Kinder den Tag, gibt wieder Sicherheit und Orientierung.“

Zudem sei es wichtig, sich Hilfe zu holen, wenn man diese brauche – etwa bei der Kinder- und Jugendhilfe oder anderen sozialen Institutionen. „Dort kann ein Gespräch in Ruhe wieder Sicherheit herstellen, Raum für Neues ermöglichen“, sagt Brüstle.

Sehnsucht nach Normalität

Die Sehnsucht nach Normalität – einhergehend mit einer abnehmenden Angst vor dem Virus – sei auch einer der Hauptgründe dafür, dass die Mobilität von Lockdown zu Lockdown gestiegen sei. Die seit Monaten bestehende Unsicherheit führe zu innerer Erschöpfung. Daher würden Normalität und Routine im Gegenzug Stabilität und Sicherheit bieten.

Pandemie verstärkt psychische Probleme

Seit Ausbruch der Pandemie leiden immer mehr Menschen an psychischen Problemen. Der Bludenzer Psychotherapeut Martin Brüstle führt das unter anderem auf das massive Zurückfahren der sozialen Kontakte zurück. Verunsicherung und Einsamkeit seien die Folge – und das wiederum führe zu mehr Ängsten und Depressionen in allen Altersgruppen.

Leben nach der Pandemie beeinflusst von Erfahrungen

Ob das Leben nach der Pandemie anders sein werde, hänge von den Erfahrungen des einzelnen Menschen ab – diese seien sehr unterschiedlich, so Brüstle: „Wenn Menschen die Erfahrung machen mussten, dass sie massive Existenzsorgen hatten, dass sie in einer permanenten Überbelastung gelebt haben“, dann würden sie anders darüber nachdenken, „als wenn Menschen vielleicht in dieser Situation waren, dass sie diesen Lockdown auch als Entschleunigung wahrnehmen konnten und für sich daraus auch positive Erfahrungen ziehen konnten“.