„Ehrlich gesagt haben wir gewonnen“, sagte der Republikaner Donald Trump am Mittwochvormittag (MEZ) vor Anhängern und Anhängerinnen im Weißen Haus, obwohl aus vielen wichtigen Bundesstaaten noch keine endgültigen Ergebnisse vorlagen und der demokratische Prozess der Briefwahlauszählung noch läuft – und damit laut Experten die Wahl noch zugunsten des demokratischen Herausforderers Joe Biden ausgehen könnte.
In mehreren Staaten sei er uneinholbar, erklärte jedoch Trump. Die weitere Auszählung will er mit Hilfe des Höchstgerichts stoppen – mehr dazu in news.ORF.at: Trump will Briefwahl unterlaufen. Trump sprach von einem „Betrug am amerikanischen Volk“, ohne Beweise vorzulegen – er hatte bereits im Vorfeld die Briefwahl als Möglichkeit zum Betrug dargestellt.
Massive Kritik von Biden – aber auch von Republikanern
Das Team des demokratischen Präsidentschaftskandidaten Joe Biden übte massive Kritik an den Aussagen von Trump zur Auszählung. Diese seien „skandalös“ und „beispiellos“, hieß es aus dem Team von Biden. Auch weltweit sorgten die Aussagen für Empörung. Unter anderem wurde auch aus den Reihen von Trumps Republikanern Kritik laut. Andere Institutionen halten sich noch zurück und wollen den Wahlausgang abwarten – so etwa die EU-Kommission.
Stainer-Hämmerle: Alte politische Tradition überschritten
Die aus Vorarlberg stammende Politikwissenschaftlerin Kathrin Stainer-Hämmerle sagt, mit Trumps Vorgehen werde eine Grenze überschritten. „Er überschreitet damit im Grunde eine alte politische Tradition, dass erstens einmal jede Stimme gezählt werden muss und zweitens ein Verlierer dann auch seine Niederlage eingesteht“, so Stainer-Hämmerle im ORF-Interview.
Aufgrund des Wahlleute-Systems sei das nicht so nachvollziehbar und hinzu komme, dass es sich in den USA mit den 50 Bundesstaaten um 50 unterschiedliche Wahlgesetze und Wahlsysteme handle. Und diese unterschiedlichen Systeme führten dazu, dass Wahlen sehr kompliziert und leicht anfechtbar würden, so Stainer-Hämmerle weiter.
Eines der am längsten existierenden politischen Systeme
Die Person Trump sei dabei nur ein Faktor. Die USA seien eines der am längsten existierenden politischen Systeme, so Stainer-Hämmerle: „Die Verfassung ist 233 Jahre alt, sie stammt aus dem Jahr 1787 und gilt in weiten Zügen noch und daher das für uns heute etwa unverständliche Wahlsystem.“ Aber die Amerikaner seien sehr stolz darauf und wollten daran festhalten. „Und es wäre auch sehr schwierig, über all die 50 Bundesstaaten und auch zwischen den beiden Parteien eine Mehrheit zu finden, um das grundlegend zu verändern“, so die Politologin.
Reaktionen von Vorarlbergern in den USA
Am Mittwochmittag (MEZ) waren die Ergebnisse in wichtigen „Swing-States“ noch offen, also in solchen Staaten, die nicht traditionell einer Partei zugeordnet werden können – mehr dazu im Liveticker von news.ORF.at. Es zeichnet sich jedenfalls ein Kopf-an-Kopf-Rennen ab.
Auch für die in den USA lebenden Vorarlberger ist es ein spannender Wahl-Krimi. ORF-Redakteur Stefan Krobath holte am Mittwochvormittag (MEZ) Reaktionen von der West- bis zur Ostküste eingeholt. In den USA war es später Abend – Trump hatte zu diesem Zeitpunkt sein umstrittenes Statement noch nicht abgegeben.
Überraschung über „Swing-State“ Florida
Linda Riedmann ist Filmproduzentin und lebt an der Westküste in Kalifornien. Dass es knapp werden würde, hat die Harderin erwartet. „Es war von Anfang an klar, dass es ein enges Rennen wird“, so Riedmann. Sie und ihr Umfeld seien überzeugte Demokraten. „Wir sitzen jetzt auf Nadeln“, beschreibt Riedmann die Stimmung.
„Spaltung zieht sich bis in die Familien hinein“
Einen klaren politischen Wechsel hätte sich Elena Herburger erwartet. Die aus Hard stammende Sprachwissenschaftlerin unterrichtet in der Hauptstadt Washington D.C. „Ich persönlich kann das nicht erklären“, so Herburger. Allerdings gelte es noch die Auszählung der Briefwahlstimmen abzuwarten, mit denen sich das Ergebnis noch drehen könnte.
Auch der US-Amerikaner Joe Wheeler aus Kentucky, der in Bregenz lebt, ist über das knappe Rennen überrascht. Er macht sich nun Sorgen über die Entwicklung in seinem Heimatland: „Die größte Herausforderung wird es sein, das Land wieder zu einen. Die Spaltung zieht sich bis in die Familien hinein, nur weil ein Teil den einen oder anderen Kandidaten unterstützt. Es gibt nur die eine oder andere Seite, anstatt dass man sich zusammensetzen würde, um wieder miteinander zu sprechen.“