Rear view of mature granddaughter walking arm in arm from shop. Caregiver carrying groceries to senior woman s car. Elde
IMAGO/HalfPoint Images
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„Focus“

Uta Meier-Gräwe warnt vor zu viel Ehrenamt

Uta Meier-Gräwe, Soziologin und Ökonomin, kritisiert das mangelnde Bewusstsein für die Bedeutung der Care-Arbeit im Wirtschaftssystem. Sie fordert eine stärkere Einbindung der öffentlichen Hand und warnt vor den Folgen übermäßigen ehrenamtlichen Engagements in diesem Sektor, das staatliche Aufgaben ersetzen könnte.

Care-Arbeit ist systemrelevant und sollte in die Mitte ökonomischer Theorie und Praxis rücken. Die Soziologin und Ökonomin Uta Meier-Gräwe kritisiert beim Montagsforum in Ravensburg (D) ein Wirtschaftssystem, das diesen unbezahlten Sektor ignoriert.

Care-Arbeit bedeutet: Sich um Hausarbeit, Kindererziehung, Pflege, Freundschaften, um soziales und globales Miteinander kümmern.

Die emeritierte Professorin der Universität Gießen drängt darauf, dass die öffentliche Hand diese Sorgearbeit wieder verstärkt leisten muss. Sie warnt vor zu viel ehrenamtlichen Engagement in diesem Bereich. Uta Meier-Gräwe hält es für dauerhafte Aufgaben nicht für geeignet. Bei zu viel unbezahltem Engagement würde sich die öffentliche Hand zurücklehnen und staatliche Aufgaben zurückfahren. Ehrenamt sollte also nicht eine Politik des Unterlassens begünstigen.

Derzeit gibt es bekanntlich einen regelrechten Pflegenotstand, aber auch in anderen Bereichen der Sorgearbeit fehlt es an Personal. Das hängt damit zusammen, dass Sorgearbeit schlichtweg nicht als Teil der Wirtschaft gesehen und anerkannt wird, erklärt Frau Professor Meier-Gräwe. Unter vielen Politikern gebe es nach wie vor viel Unkenntnis und Geringschätzung bei diesem Thema.

Studie: Befragte raten von Kindern ab

Wie dramatisch die Probleme in der Sorgearbeit sind, geht auch aus der sogenannten „Vermächtnisstudie“ der Soziologin und Präsidentin des Wissenschaftszentrums für Sozialforschung in Berlin, Jutta Allmendinger, hervor, auf die Uta Meier-Gräwe verweist. 4.000 erwachsene Personen in Deutschland werden dazu seit 2015 befragt, was sie der nächsten Generation mitgeben an Empfehlungen, wie sie ihr Leben gestalten sollten. 2023 haben die Befragten – auch aufgrund der schwierigen Umstände in der Kinderbetreuung – das erste Mal Frauen von Kindern abgeraten.

Sendungshinweis

„Focus“ – Themen fürs Leben bei ORF Radio Vorarlberg, 9. März 2024, 13.00 bis 14.00 Uhr

Konzept der „sorgenden Städte“

Die Soziologin und Haushaltsökonomin Uta Meier-Grewe stellt in ihrem Vortrag auch das Konzept von sogenannten „sorgenden Städten“ vor: Das Konzept bezieht sich nicht nur auf die räumliche Bebauung, sondern auch auf die Art und Weise, wie das Thema Sorgearbeit von der Wiege bis zur Bahre integriert wird. Grundlage seien immer unsere menschlichen Bedürfnisse, „die wie im Lebensverlauf haben und die jetzt immer so ein bisschen als Störgröße weggedrückt werden oder immer erst wahrgenommen werden, wenn etwas passiert, wenn beispielsweise die Schwiegermutter einen Sturz hatte, in der Klinik austherapiert ist und sich jetzt die Frage stellt, wer sich um sie kümmert.“, sagt Meier-Gräwe.

Wirtschaften soll wieder ein „Haushalten“ werden, es geht darum, sein Haus und alle, die darin leben, gut zu versorgen, sagt die Soziologin und Haushaltsökonomin Uta Meier-Gräwe.

Soziologin und Ökonomin Uta Meier-Gräwe
Privat
Prof. Dr. Uta Meier-Gräwe

Zur Person:

Prof. Dr. Uta Meier-Gräwe, Haushaltsökonomin und Soziologin, ist Professorin em. für Wirtschaftslehre des Privathaushalts und Familienforschung an der Universität Gießen, Sachverständige in Familien- und Gleichstellungsfragen der deutschen Bundesregierung. Sie berät zudem die Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin und leitete das Kompetenzzentrum Professionalisierung und Qualitätssicherung haushaltsnaher Dienstleistungen. Sie ist Mitautorin des „Equal Care Manifests 2020“ und hat 2022 die Initiative „Wirtschafts ist Care“ mitgegründet.

Literatur:

• Uta Meier-Gräwe, Ina Praetorius: Um-Care. Wie Sorgearbeit die Wirtschaft revolutioniert, 2023.
• Uta Meier-Gräwe, Ina Praetoris, Feline Tecklenburg (Hrsg.): Wirtschaft neu ausrichten. Care-Initiativen in Deutschland, Österreich und der Schweiz, 2023