Pierre Stutz
Stefan Weigand
Stefan Weigand
„Focus“

Pierre Stutz: Wie ich der wurde, den ich mag

Er zählt zu den meistgelesenen Theologen des deutschsprachigen Raums und hat bewusst der römisch-katholischen Amtskirche den Rücken gekehrt. Pierre Stutz erzählt in „Focus“ über sein Leben. Für alle, die selbst auf der Suche nach dem richtigen Weg für ein gelingendes Leben sind.

Mit 20 Jahren tritt der Schweizer Pierre Stutz in einen katholischen Orden ein, studiert Theologie, wird Priester, arbeitet als Jugendseelsorger und Hochschul-Dozent. Nach einer schweren Lebenskrise anerkennt er seine Homosexualität und legt im Alter von 49 Jahren – nach 17 Jahren – sein Priesteramt zurück. Ein Jahr später lernt er seinen Lebensgefährten kennen, den er 2018 heiratet.

Im November wurde Pierre Stutz 70. Zu seinem Geburtstag hat er ein neues Buch herausgebracht, eine Biografie mit dem Titel „Wie ich der wurde, den ich mag“. Vor kurzem hat er es in St.Arbogast vorgestellt. Er sagt „Jahrelang war mein Leben ein Ringen um Selbstannahme, äußerlich sehr erfolgreich, innerlich zerrissen, gefangen in der Angst vor Ablehnung.“

Über 40 Bücher geschrieben

Stutz hatte es von Anfang an schwer in seinem Leben. Bereits als Sechsjähriger machte er Missbrauchserfahrungen. Auch darüber schreibt er offen in seiner Biografie. Der Theologe hat über 40 Bücher geschrieben, die in sechs Sprachen übersetzt wurden. Sein Werk hat insgesamt eine Auflage von mehr als einer Million Exemplare.

Dass Stutz derartig viel geschrieben hat, dass er ein regelrechter Workaholic war, erklärt er so: Er war vor seinem eigenen Ich auf der Flucht. Es war eine Flucht vor der eigenen Sehnsucht, vor dem tiefen Wunsch „Ich möchte einen Mann lieben“.

Pierre Stutz
Stefan Weigand
Pierre Stutz ist einer der gefragtesten spirituellen Lehrer unserer Zeit. Der gebürtige Schweizer lebt in Osnabrück und gibt Vorträge und Kurse im gesamten deutschsprachigen Raum. Seine über vierzig Bücher haben eine Auflage von mehr als einer Million Exemplaren und wurden in sechs Sprachen übersetzt. Nach einer Lebenskrise hat der renommierte Theologe im Alter von 49 Jahren die katholische Kirche verlassen und heiratete seinen Lebensgefährten. 2022 zählte er zu den Prominenten, die ihre queere Identität in der Aktion „#OutInChurch – für eine Kirche ohne Angst“ öffentlich machten.

Schwere Lebenskrise

Die vielen Bücher zeugen eigentlich von einem erfolgreichen Leben – könnte man meinen. Viel mehr war Stutz schwer depressiv und durchlebte eine schwere Lebenskrise. Als Mann der katholischen Kirche einen Mann lieben zu wollen, diese Sehnsucht, die unterdrückt und tabuisiert wurde und wird, brachte Stutz an den Rand der Verzweiflung.

„Ich habe die schmerzliche und zugleich heilsame Erfahrung gemacht, dass Brüche im Leben zu einem Durchbruch zu mehr Lebendigkeit werden können“, sagt Stutz. Das Coming Out von Pierre Stutz hat Kreise gezogen. 2022 zählte er zu jenen Prominenten, die ihre queere Identität in der Aktion „#OutInChurch – für eine Kirche ohne Angst“ öffentlich machten.

Sendungshinweis

„Focus“ – Themen fürs Leben bei ORF Radio Vorarlberg, 16. Dezember 2023, 13.00 bis 14.00 Uhr

Stutz wünscht sich eine Kirche der Angstfreiheit

In einer Dokumentation der ARD brachen 125 Menschen, die in der katholischen Kirche arbeite(te)n, ihr Schweigen. Mittlerweile haben sich 600 Leute der Aktion „OutinChurch“ angeschlossen. Schwule, lesbische, asexuelle und transsexuelle Menschen bekennen sich öffentlich zu ihrer eigenen Sexualität. Das hat Wirkung gezeigt: Das Arbeitsrecht in der Kirche Deutschlands wurde geändert – Kündigungen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, weil sie eine gleichgeschlechtliche Partnerschaft leben, sind beispielsweise nicht mehr möglich. Aber auch geschiedene und wiederverheiratete Personen müssen wieder innerhalb der Kirche arbeiten dürfen, erklärt Pierre Stutz.

Pierre Stutz lehnt sich gegen die offizielle Lehre der Kirche auf. Er hält sie für homophob und menschenverachtend und wünscht sich endlich ein Umdenken, eine Kirche der Angstfreiheit.

Der Theologe sagt, über seinem Leben schwebt momentan ein Regenbogen. Es scheint die Sonne und zugleich regnet es. Regen und Sonne, das Schwere und das Leichte, Lachen und Weinen dürfen zusammengehören. Letztendlich gehe es darum, sein Leben zu bejahen.