Giovanni Maio
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„Focus“

Giovanni Maio – Verletzlichkeit des Menschen als Ressource

„Die Verletzlichkeit des Menschen als Ressource“ – so der Titel des Vortrags, den Professor Giovanni Maio bei den Goldegger Dialogen präsentierte. Er argumentiert, dass menschliche Schwäche und Hilfsbedürftigkeit als Chance gesehen werden können.

Der Mensch präsentiert sich anderen gerne als stark und unverwundbar, kraftstrotzend ringt er um Anerkennung. Das Verletzliche wird nicht gezeigt, allerhöchstens verstohlen im Privaten. Focus präsentiert dieses Mal ein Thema, das vielleicht ungewöhnlich klingen mag: „Die Verletzlichkeit des Menschen als Ressource“.

Sendungshinweis

„Focus“ – Themen fürs Leben bei ORF Radio Vorarlberg, 28. September 2023, 13.00 bis 14.00 Uhr

Durch den Vortrag des Philosophen, Arztes und Ethik-Mediziners Professor Giovanni Maio wird aber deutlich, wie die Schwäche und Hilfsbedürftigkeit von uns Menschen als Chance gesehen werden kann.

Der Mensch ist von Geburt an verletzlich, er ist seiner Körperlichkeit ausgesetzt – sagt Professor Giovanni Maio. Er ist ebenso verwundbar durch andere, er braucht allerdings auch andere, um überhaupt er selbst werden zu können.

Verletzlich zu sein heißt nicht verletzt zu sein – es ist ein Schwebezustand, die menschliche Integrität, die Unversehrtheit ist ständig bedroht.

Professor Giovanni Maio sagt: „Verletzlich zu sein bedeutet eben nicht, schon verletzt worden sein, sondern grundsätzlich diese Disposition zu haben. Und daraus ist abzuleiten, dass angesichts der Verletzlichkeit des Menschen das Blatt immer noch gewendet werden kann.“

Professor Giovanni Maio sieht die Verletzlichkeit des Menschen daher als Ressource: Die Verletzlichkeit macht zwar Angst, sie macht aber gleichzeitig lebendig, erläutert Philosoph und Ethik-Mediziner Giovanni Maio: „Nur weil der Mensch verletzlich ist, hat er die Chance, sich weiterzuentwickeln. (…) Denn was ist Verletzlichkeit anderes als der Zustand der Lebendigkeit. Verletzlichkeit hat mit Offenheit zu tun. Das kann gefährlich sein, aber es kann eben zugleich förderlich sein für die Entwicklung der eigenen Fähigkeiten.“

Die Verletzlichkeit macht auch sensibel, öffnet die Augen und ermöglicht insofern Empathie. Sie ist damit die Voraussetzung für ein Leben in der Gemeinschaft, eine Voraussetzung, um überhaupt lieben zu können.

„Wir machen uns verletzlich in dem Moment, wo wir diese Bindung eingegangen sind. Und zugleich ist diese Verletzlichkeit damit verbunden, dass wir nur dann, wenn wir sie annehmen, vertrauen können. Denn einem Menschen zu vertrauen bedeutet, sich verletzbar zu machen.“

Die Verletzlichkeit hat noch einen anderen Wert, sagt Dr. Giovanni Maio: Durch sie erkennt der Mensch die Kostbarkeit des Lebens – des eigenen, aber auch das der anderen. Die Verletzlichkeit hat insofern einen humanisierenden Effekt, sie ermöglicht ein neues „Wir-Gefühl“. Die Verletzlichkeit kann generell unser Zusammenleben stärken, wenn man in ihrem Bewusstsein mehr auf sich und auf andere achtet.

„Je mehr wir die Verletzlichkeit als Grundmoment unserer Existenz annehmen lernen, desto mehr werden wir befähigt, mit anderen in Beziehung zu treten und uns als eine gemeinsame Welt vorzustellen und zu leben.“

Giovanni Maio
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Prof. Dr. med. Giovanni Maio, M.A. phil.

Zur Person: Prof. Dr. med. Giovanni Maio, M.A. phil.

Abgeschlossene Studien der Philosophie und Medizin, Habilitation für Ethik in der Medizin. Seit 2005 Universitätsprofessur für Bioethik/Medizinethik an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Dr. Maio ist Direktor eines eigenen Instituts für Ethik in der Medizin und berät in Deutschland die Bundesärztekammer, die Bundesregierung und die Bischofskonferenz. Er ist Autor zahlreicher Bücher zu ethischen Fragen in der Medizin, etwa „Mittelpunkt Mensch“, „Werte für die Medizin“, „Den kranken Menschen verstehen“ und viele mehr.