Professor Dr. Harald Welzer ist Soziologe und Sozialpsychologe, Mitbegründer und Direktor von „FUTURZWEI.
Kirstin Hauk
Kirstin Hauk
„Focus“

Harald Welzer – Hoffnung als Falle

Der Soziologe Harald Welzer sieht in der Hoffnung eine Gefahr. In einer Diskussion beim Philosophicum in Lech argumentiert er, dass Hoffnung die Realität verstellen kann und fordert stattdessen Realismus und Ernsthaftigkeit, z.b. im Umgang mit der Klimakrise.

Der renommierte deutsche Soziologe und Sozialpsychologe Harald Welzer erachtet die Hoffnung als Falle. Professor Welzer sagt: „Wir befinden uns in einer Situation, in der Realismus und Ernsthaftigkeit erforderlich sind.“ Dass alle guten Willens seien, etwas gegen die Klimakrise zu tun, stimme einfach nicht.

Welzer führt aus: „Es gibt empirische Sachverhalte, die deutlich machen, dass unser Kulturmodell mit etwas konfrontiert ist, das es bislang noch nicht kannte: eine naturale Situation, die sich mit den gewohnten Methoden eben nicht bewältigen lässt oder die mit der Mobilisierung von Hoffnung möglicherweise voll in die Hose geht.“ Hoffnung verstelle auch Wirklichkeiten, meint Harald Welzer. Um die Probleme sinnvoll anzupacken, wäre es besser die Hoffnung zu suspendieren. „Man tut gut daran, sich damit zu konfrontieren, was tatsächlich der Sachverhalt ist, mit dem man es zu tun hat, um überhaupt eine Möglichkeit zu entwickeln.“

Sendungshinweis

„Focus“ – Themen fürs Leben bei ORF Radio Vorarlberg, 7. Oktober 2023, 13.00 bis 14.00 Uhr

Als 1972 das Buch „Die Grenzen des Wachstums“ erschien, war eine gesellschaftspolitische Strategie verlangt, die Problematik wurde gesellschaftlich gedacht. Davon hat man sich weit weg entwickelt, kritisiert Soziologe Welzer. Jetzt glaube man, „dass man sich den gesellschaftlichen Umbau schenken kann, weil man ja einfach nur Technologie und Innovation braucht und die muss man ja nicht selber machen. Dafür gibt es ja Ingenieurinnen und alle möglichen anderen Leute. Das heißt, die Entpolitisierung und die Entsozialisierung, die Entleerung dieses Themas vom Gesellschaftlichen hat uns genau in diesen Zustand geführt, dass diese Form von hoffnungsbasierter Realitätsuntüchtigkeit heute aus meiner Sicht das größte Problem ist, was man haben kann.“

Was ist Dekarbonisierung?
Mit der Dekarbonisierung ist der Umstieg von fossilen Brennstoffen auf kohlenstofffreie und erneuerbare Energiequellen gemeint.

Auch die Hoffnung auf die Dekarbonisierung ist nach Ansicht von Harald Welzer eine irreführende Hoffnung. Das werde nicht funktionieren. Dann ist die erschreckende Frage: Was macht man denn dann?

Die Hoffnung als Falle gibt es – sagt Professor Welzer – auch an einer historischen Stelle besonders prägnant: bei der Vernichtung der europäischen Juden während des Nationalsozialismus. Der Historiker und Holocaust-Forscher Raul Hilberg habe darauf hingewiesen, dass sich die jüdische Bevölkerung trotz ihrer 2.000 Jahre alten Verfolgungsserfahrung falsche Hoffnung gemacht habe, dass es schon nicht so schlimm kommen werde. Diese historische Erfahrung habe die Hoffnung generiert, man habe es mit einem temporären Verfolgungsereignis zu tun, das man mit den tradierten Strategien bewältigen könne.

Erfolg kann auch eine Falle sein

Auch Erfolg könne eine Falle sein, sagt Sozialpsychologe Harald Welzer. Dann nämlich, wenn man wunschgetrieben und hoffnungsbasiert meint, dass die alten, erfolgreichen Strategien gegen ein Problem verlässlich funktionieren. Erfolg verleitet dazu, dass man immer wieder die Strategien anwendet, von denen man meint, dass sie für den Erfolg ursächlich gewesen sind. Professor Welzer weist darauf hin, dass sich die Ausgangssituation zwischendurch aber so verändern kann, dass die Erfolgsstrategien plötzlich gewissermaßen zu Misserfolg-Strategien werden.

Welzer warnt auch davor, dass man zu viel in Hoffnungen investieren kann. Wenn sich die Hoffnung dann als falsch entpuppt, könne man – wegen der vielen Schritte/Investitionen in diese Richtung – nicht mehr zurück.

Zur Person:

Professor Dr. Harald Welzer ist Soziologe und Sozialpsychologe, Mitbegründer und Direktor von „FUTURZWEI. Stiftung Zukunftsfähigkeit“, Sprecher des Rates für Digitale Ökologie, sowie ständiger Gastprofessor für Sozialpsychologie an der Universität St. Gallen. Zudem leitet er das Norbert-Elias-Center for Transformation Design an der Europa Universität Flensburg. Harald Welzer ist Autor mehrerer Spiegel-Bestseller, seine Bücher sind in 22 Sprachen erschienen. Zuletzt erschien bei Fischer sein Buch „Zeiten Ende – Politik ohne Leitbild, Gesellschaft in Gefahr“.