Thomas Galli
Andreas Burkhardt
Andreas Burkhardt
„Focus“

Warum Gefängnisse niemandem nützen

Menschen würden wie selbstverständlich eingesperrt, wenn sie etwas verbrochen haben – und das, obwohl Freiheit ein hohes Gut sei, sagt Jurist Thomas Galli in „Focus“. In seinem Vortrag „Weggesperrt – Warum Gefängnisse niemandem nützen“, aufgezeichnet beim Montagsforum in Ravensburg, spricht er darüber, warum er Gefängnisse bekämpft.

Sendungshinweis

„Focus“ – Themen fürs Leben bei ORF Radio Vorarlberg, 2. September 2023, 13.00 bis 14.00 Uhr

Jurist und Autor Thomas Galli kennt das Leben im Gefängnis gut. Genau deswegen bekämpfe der langjährige Leiter mehrerer deutscher Justizanstalten Gefängnisse. Er kritisiert unverblümt, wie der Strafvollzug in der Praxis funktioniert.

Zur Resozialisierung von Straftätern gebe es bessere Methoden, sagt er und regt in seinen Büchern, die ein großes Echo hervorgerufen haben, und in seinem Vortrag „Weggesperrt – Warum Gefängnisse niemandem nützen“ ein Umdenken an.

Alternativen zu „sinnlosen Haftstrafen“

„Der Titel ist natürlich provokativ gewählt, sehr zugespitzt. Aber ich denke tatsächlich und will eben in diesem Vortrag versuchen, Sie davon zu überzeugen, dass die Gefängnisse, wie wir sie jetzt kennen, jedenfalls überwunden werden sollten", betont er.

Wann nützen Gefängnisse und wo richten sie Schaden an? Der Rechtsanwalt und ehemalige Gefängnisdirektor Galli zeichnet ein differenziertes Bild des Strafvollzugs und zeigt Alternativen zu „sinnlosen Haftstrafen“ auf: Therapie statt Strafe, den außergerichtlichen Tatausgleich, gemeinnützige Arbeiten, (das sogenannte „Schwitzen statt Sitzen“), die Fußfessel.

Unbestreitbares Bedürfnis nach Strafe

Unbestreitbar gebe es ein Bedürfnis nach Strafe: Wer gegen Gesetze verstößt, soll nicht ungeschoren davonkommen. Den Täter zur Verantwortung zu ziehen, ihn zur Reue anzuhalten, abzuschrecken, den Opfern Genugtuung zu verschaffen und die Gesellschaft vor Gefahren zu schützen – das sind die Hoffnungen, die sich an Gefängnisstrafen knüpfen. Aber aus seiner jahrzehntelangen Erfahrung wisse Galli: Selten werde auch nur eines dieser Ziele erreicht.

Buchtipps:

„Weggesperrt – Warum Gefängnisse niemanden nützen“ (2020) – Edition Körber

„Knast Leben"(2020) – RIVA

"Endstation Knast“ (2019) – RIVA

„Die Schwere der Schuld“ (2016) – Das neue Berlin

Kein Sträfling wird besserer Mensch

Insbesondere das hohe Ziel der Resozialisierung, also die Wiedereingliederung ehemaliger Täter in die Gesellschaft, könne derzeit nicht funktionieren. Nach Gallis Ansicht verlässt kein Sträfling das Gefängnis als besserer Mensch. „Das muss man sich bewusst machen. Wir haben ein paar 100 junge Männer in einer geschlossenen Anstalt auf engstem Raum. Sehr häufig Männer mit schwierigem Hintergrund, schwierigen Persönlichkeiten, teilweise Gewaltproblematik. Auch da muss man sich fragen, ist das wirklich so eine gute Idee, diese hunderten von Straftäter so zusammen in eine geschlossene Anstalt zu stecken? Was kommt dabei dann raus?“, gibt er zu bedenken.

Fokus auf Täter: Opfer geraten aus dem Blick

Der promovierte Jurist widerlegt anhand vieler Beispiele aus dem Gefängnisalltag detailliert die Gründe für eine Haftstrafe – zumindest für die Mehrheit aller Straftaten. An die Stelle von Vergeltung und Buße müssten Verantwortung und Wiedergutmachung treten, fordert Galli. Denn durch die ausschließliche Fokussierung auf den Täter geraten die Opfer aus dem Blick.

Verantwortung für das Leben übernehmen

Anstelle der Bildung dieser Subkultur in den Haftanstalten regt Galli an, die Freiheit intelligenter und zukunftsorientierter zu beschränken, etwa in dezentralen Einrichtungen wie z.b. Wohngruppen mit vier bis acht Leuten, die von Sozialerbeitern gut begleitet werden. Dort müssten die Menschen wieder Verantwortung für ihr Leben übernehmen, lernen sich zu organisieren und sie bekämen nicht wie in den Anstalten automatisch früh, mittags, abends ihr Essen, ihre Kleidung, ihre ärztliche Versorgung.„Ich glaube, dass wir als Gesellschaft tatsächlich ein Stück schon weiter sind, als es jetzt die Justiz noch widerspiegelt", sagt Galli.

Thomas Galli
Andreas Burkhardt
Thomas Galli übt Kritik an Gefängnissen

Zur Person:
Thomas Galli ist ein deutscher Jurist und Autor. Er studierte Psychologie und Kriminologie. Galli war ab 2001 im Strafvollzug tätig, unter anderem in der Justizvollzugsanstalt Straubing. 2013 wurde er Leiter der Justizvollzugsanstalt Zeithain, 2015 für über 6 Monate zusätzlich Leiter der Justizvollzugsanstalt Torgau. Seit Oktober 2016 ist Galli als Rechtsanwalt in einer Kanzlei in Augsburg tätig, er gilt als Kritiker des derzeitigen Strafvollzugs in Deutschland.