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IMAGO/Westend61
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„Focus“

Warum Familie nur gemeinsam gelingt

Vätern wir oft vorgeworfen, sie seien in der Familie zu wenig präsent und würden zu wenig im Haushalt tun. Auf der Basis empirischer Studien zeigt Prof. Dr. Margrit Stamm auf, dass das so nicht unbedingt stimmt. Die Psychologin und Erziehungswissenschafterin weist auf einige Vorurteile hin und macht sich für einen geschlechtergerechteren Dialog zwischen Partner stark.

In ihrem Buch „Neue Väter brauchen neue Mütter“ heißt es: „Väter werden immer häufiger von Zaungästen zu Beteiligten an der Erziehungsarbeit: Sie bereiten sich zusammen mit der Partnerin auf die Geburt des Kindes vor und sind bei den Kontrollen und auch im Kreißsaal dabei. Sie wechseln zu jeder Tag- und Nachtzeit Windeln, gehen zum Va-Ki-Turnen und drehen ihre Runden auf den Spielplätzen. Doch mit den neuen Aufgaben wächst auch der Druck auf die Väter, ihren verschiedenen Rollen gerecht zu werden, Familie und Karriere gut unter einen Hut zu bringen.“

Margrit Stamm, die auch das Forschungsinstitut „Swiss Education“ gegründet hat, sagt etwa zur Problematik der „neuen Väter“: „Sehr viele Väter haben Vereinbarkeitsprobleme. Sie stehen aber nicht dazu. Sie melden sich nicht öffentlich, weil sie denken, sie seien dann schwache Männer. Ihre Probleme werden bagatellisiert und teilweise auch ironisiert.“

Wenn die Mütter nicht loslassen können

Stamm zeigt, dass neue Väter nur Verantwortung übernehmen können, wenn die Mütter loslassen. Es gibt nämlich Frauen (laut Studie 30 Prozent), die unbeabsichtigt die Motivation der Männer bremsen, etwa indem sie die Standards vorgeben, wie der Vater die Kinder betreuen muss, wie er die diversen Aufgaben im Haushalt zu erledigen hat. Dieses Phänomen nennt sich Maternal Gatekeeping.

Stamm: „Häufig ist es eben auch so, dass wir als Partnerinnen ihn ein wenig zum Juniorpartner oder zum Praktikanten erziehen, der das so macht, wie wir das wünschen. (…) Wir müssen auch in den Spiegel schauen und uns jeweils auch fragen, welchen Anteil wir allenfalls haben, wenn die Männer lustlos sind oder sagen ‚Du kannst das viel besser, ich überlass das dir.‘“

Sendungshinweis: „Focus“ – Themen fürs Leben bei ORF Radio Vorarlberg, 10. Juni 2023, 13.00 bis 14.00 Uhr

Stamm räumt mit Vorurteilen auf

Im Vortrag aus der Reihe „Wertvolle Kinder“ im Vorarlberger Kinderdorf räumt Stamm zudem mit einigen Vorurteilen auf, etwa: Mehr häusliche Präsenz mache aus Männern bessere Väter. „In unserer Studie haben wir herausgefunden, dass es Väter gibt, die relativ wenig zu Hause sind, die aber ein großes Engagement gegenüber der Partnerin, gegenüber der Familie haben und dass es andererseits Väter gibt, die viel Präsenz zu Hause haben, die aber eigentlich relativ wenig engagiert sind. Das heißt, dass eben die Präsenz der Väter allein noch kein Qualitätsmerkmal ist für die Qualität des Vaters an sich, des Vaters als Partner, des Vaters als Bezugsperson zu den Kindern. Ich denke, da sind wir schon in unserer Gesellschaft sehr stark darauf fokussiert, dass die Präsenz eine so wichtige Bedeutung hat, wir aber nicht sehen, dass es eben auch noch andere Qualitäten als nur die häufige Präsenz gibt.“

Ein weiteres Vorurteil: Die Mutter sei von Natur aus die fürsorgliche Person. Stamm: „Wir wissen aber aus der Forschung inzwischen sehr gut, dass dem eigentlich nicht so ist, dass Väter genauso fürsorglich sein können – für die Kinder, für die Familie. Aber die Männer haben dann meistens eine etwas andere Art von Fürsorglichkeit. (…) Wenn so viele Frauen überzeugt sind, dass sie eigentlich die fürsorglichen Personen sind, dann hat das eben auch Auswirkungen auf die Art und Weise, wie man dann mit dem Partner umgeht, wie man mit den Kindern umgeht.“

Vater-Kind-Bindung

Die Wissenschafterin weist auch darauf hin, dass die Bindungsforschung und die Hirnforschung in den 1980er und 90er Jahren den Fokus zu sehr auf die die Bindung der Mutter zum Kind gerichtet haben. „Wir wissen, dass Väter eigentlich genauso gute Bindungen zu den Kindern aufbauen können. Die sind aber in der Regel etwas anders als die zwischen Mutter und Kind. Aber von der Vater-Kind-Bindung spricht man sehr wenig.“

Papas dürfen aber anders als Mütter, betont Stamm. Das ist sogar sehr gut und wichtig so: „Die klassische Forschung sagt, Frauen sind quasi zuständig für Feinfühligkeit und Bindungssicherheit. Männer – im klassischen Bild – sind eher diejenigen, die mit dem Kind etwas Physisches tun. Sie werfen die Kinder in die Luft, sie machen bestimmte Handlungen auf dem Spielplatz usw., die manchmal sehr riskant sind, die sehr herausfordernd sind. Es ist das robuste Spielen. Sie machen Mutproben mit den Kindern. Deshalb spricht man den Männern, den Vätern eher zu, dass sie das Erkundungsverhalten des Kindes stärken und die Autonomie des Kindes stärken.“

Die Bindung sei genauso wichtig für jedes Kind, wie die Möglichkeit, dass es erkunden kann, dass es sich vom Vater oder von der Mutter entfernen kann, damit es dann wieder in den Hafen zurückkehren kann. Diese beiden Aspekte sind zentral für ein gesundes Aufwachsen.

Margrit Stamm ist eine Schweizer Erziehungswissenschaftlerin und emeritierte Professorin für Erziehungswissenschaften an der Universität Freiburg (CH).
Iris Krebs
Margrit Stamm ist eine Schweizer Erziehungswissenschaftlerin und emeritierte Professorin für Erziehungswissenschaften an der Universität Freiburg (CH). Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen der Begabung, der Frühförderung, der Qualität in der Berufsbildung und der Förderung von Migrantenkindern. Seit 2012 führt sie das Forschungsinstitut Swiss Education, das von ihr gegründet worden ist.

Stamm präzisiert: „Ich denke, in der heutigen Zeit, mit diesen neuen Rollen, die wir haben, muss man das auch etwas neu überlegen. Wichtig scheint mir nun, dass jedes Kind nicht den Vater als Mann erleben muss, sondern dass das Kind das männliche und das weibliche Element erfahren muss. Und das finde ich auch die große Chance unserer Gesellschaft, dass wir diese Rollenzuschreibungen auch aufweichen. Aber deshalb wäre es auch schade, wenn sich nun Väter und Mütter einfach angleichen würden. (…) Ich sage das deshalb, weil wir ja heute in einer pluralen Gesellschaft leben. Und wir wissen aus der Forschung, dass es nicht zentral ist, ob das nun zwei Männer sind, die ein Kind erziehen, sondern wichtig ist, dass Kinder sowohl das Feinfühlige, als auch das Autonome erleben.“