Christian Rutishauser
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„Focus“

Christian Rutishauser: Alternativen zur Gewalt

Von einem Osterfrieden ist derzeit wenig zu spüren. Es tobt ein gewaltvoller Krieg in Europa. Der Theologe Christian Rutishauser sagt in der „Focus“-Sendung am Karsamstag aber: „Die Osterliturgie ist ein Ritual der Gewaltüberwindung.“ Jesus ging immer den Weg der Gewaltlosigkeit bis zu seinem gewaltvollen Tod, den er überwunden hat.

Angesichts geradezu allgegenwärtiger Gewalt scheint aktuell also das Recht des Stärkeren, des Gewaltvolleren, wieder Schule zu machen. Zivilisation bedeutet aber, alternative Mechanismen des Umgangs miteinander zu entwickeln.

Der Vortrag „Alternativen zur Gewalt“ wurde aufgenommen im Rahmen der Reihe „Wissen fürs Leben“ In der Arbeiterkammer Feldkirch.

Theologe Dr. Christian Rutishauser sieht das Sein als Überlebenskampf. Man hat oft die Natur (und die Kinder) idealisiert. Dabei ist etwa die Natur nicht nur lieb und nett, sondern ziemlich gewalttätig – es geht ums Fressen-und-gefressen-Werden. Es ist der Stärkste, der überlebt. Das Gesetz der Evolution ist nicht zimperlich. „Die Gewalttätigen sind wir alle zusammen, weil es in unserer Natur angelegt ist. Allem Sein wohnt eine Gewalt inne.“

Die Gewalttätigen sind wir alle zusammen

Es ist für Dr. Christian Rutishauser wichtig, diese Gewalttätigkeit in unserer eigenen Natur anzuerkennen. Der Mensch müsse sich hinterfragen, warum er eigentlich so gewalttätig ist, warum er die Neigung dazu hat. Der aus St.Gallen stammende Jesuit geht der Triebdynamik des Menschen als Ursache für die Gewaltbereitschaft auf den Grund. Es ist letztendlich eine Angst um uns selbst, um unsere Identität, eine Existenzangst, die uns zur Gewalt treibt. Das neidvolle Begehren, etwas haben zu müssen, was die anderen haben, das ergibt diese Rivalität, die uns auch zur Gewalt treibt.

Sport und Kultur zur Gewalt-Umwandlung

In Focus wirft Theologe Dr. Christian Rutishauser die Frage auf, wie wir aus dieser Situation wieder rauskommen. Der Verantwortliche für Schulen der Jesuiten in Zentraleuropa nennt Sport und Kultur als Möglichkeiten der Überwindung bzw. Umwandlung der Gewalt.

Wenn in der Kultur Gewalt symbolisch und ritualisiert präsentiert wird, habe das eine kathartische Wirkung, eine innere Reinigung ist laut Rutishauser möglich. Insofern hat auch die Religion viel mit Gewalt und Gewaltüberwindung zu tun, sagt Theologe Christian Rutishauser. Das Alte Testament sei voll mit Geschichten über Gewalt, weil es so genau hinschaut, sagt Dr. Rutishauser.

Christian Rutishauser
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Dr. Christian M. Rutishauser SJ

Jesus verweigert sich der Gewaltdynamik

„Und im Neuen Testament steht im Zentrum der Tod Jesu, die Passionserzählung. Eine ganz brutale Folter, eine Kreuzigung. Und wir haben in Jesus eine Figur vor uns, die versucht, diesem Gewaltdynamik nicht nachzugeben, nicht eine Gegengewalt zu setzen und damit die Spirale voranzutreiben, sondern durch einen Akt der Hingabe das Ganze in einer Gewaltlosigkeit letztlich zu unterlaufen."

Weltlich gesehen ist Jesus gescheitert, sagt Rutishauser: "Das Neue Testament will vielleicht nichts anderes sagen: Mensch, bei deinem Umgang mit Gewalt, denk daran, dass es noch eine andere Dimension gibt, die stärker ist als die Gewalt und die eben den Tod noch mal überwinden kann. Und wenn Paulus dann sagt, dass Jesus für uns gestorben ist, dann können wir das mit René Girard (Anmerkung: frz./amerik. Kulturanthropologe und Religionsphilosoph) interpretieren: Jede Gemeinschaft hat eine Leiche im Keller. Wir alle bringen jemanden um, damit wir in Frieden leben können. Vielleicht ist der Tod Jesu, der sich selber hingibt, der sich selber zur Leiche macht, das Angebot an uns Menschen, das er diese Leiche geliefert hat, dieses Gewaltopfer, dass wir nicht mehr gewalttätig sein müssen.“

Sendungshinweis: „Focus“ – Themen fürs Leben bei ORF Radio Vorarlberg, 8. April 2023, 13.00 bis 14.00 Uhr

Dialog ist die einzige Alternative

An die Stelle von Gewalt muss etwas anderes treten, mahnt der Theologe. Dialog ist die einzige Alternative zur Gewalt, sagt Christian Rutishauser: „Es geht nicht nur um das gesprochene Wort, sondern es geht um etwas Symbolisches, das an die Stelle der Gewalt tritt. Das kann ein Zeichnen sein, das kann ein Musizieren sein, das kann eine künstlerische Tätigkeit sein, das kann ein Verhandeln sein. Irgendetwas Sinnhaftes muss an die Stelle der Gewalt treten. Das ist Disput oder Debatte, Argumente oder Austausch, Verständigung und Verhandlung. Aufeinander hören, verstehen, feilschen, Streitkultur. Die Gewaltbereitschaft muss in verschiedenste Wortverfahren überführt werden. Es braucht strukturierte Sprachprozesse und die können natürlich nur da sein, wenn es Meinungsfreiheit gibt. Und daher braucht es einen rechtlichen Rahmen. Es braucht eine politische Struktur, die diese Sprachprozesse letztlich formt und mitprägt. Und dazu braucht es Medienjournalismus, die sich an gewisse Regeln halten, damit diese Debatten auch wirklich fruchtbar sind.“

Zur Person:

Dr. Christian M. Rutishauser SJ ist Delegat für Schulen und Hochschulen der neuen Zentraleuropäischen Jesuiten-Provinz. Christian Rutishauser ist in St.Gallen aufgewachsen und studierte Theologie in Fribourg und Lyon. Lehraufträge nimmt er im Bereich jüdischer Studien an der Hochschule für Philosophie S.J. in München, am Kardinal-Bea-Institut an der Universität Gregoriana in Rom und am Theologischen Studienjahr an der Dormitio-Abtei in Jerusalem wahr. Seit 2014 ist er ständiger Berater des Heiligen Stuhls in Fragen der religiösen Beziehungen zum Judentum.