Verena Kast
C.G. Jung-Institut Zürich
C.G. Jung-Institut Zürich
„Focus“

Verena Kast: Die Kraft der Erinnerung

„Focus“ zeigt diesmal auf, wie gut es tun kann, sich zu erinnern. „Lebensrückblick – die Kraft der Erinnerung.“ So hieß ein Vortrag der international renommierten Schweizer Psychoanalytikerin und Autorin Verena Kast beim Montagsforum in St.Gallen. Die Idee hinter einem Lebensrückblick ist simpel, die Wirkung groß: Es geht um die Steigerung der Lebensqualität älterer Menschen.

Verena Kast ist von der Kraft des autobiographischen Zurückschauens überzeugt. Sie bringt selbst einen großen Erinnerungsschatz und Erfahrungsschatz aus Forschung und Praxis mit – sie wurde erst vor wenigen Wochen 80 Jahre alt. Ihrer Ansicht nach tun Rückblenden auf unser Leben uns gut – in Momenten des Innehaltens und Nachdenkens – vor allem aber, wenn wir darüber lebendig erzählen.

Man wird von lebendigen Erzählungen animiert, man stärkt den Sinn für Identität, entdeckt oft in Vergessenheit geratene eigene Kompetenzen und eröffnet sich auch Perspektiven für die Zukunft, sagt die emeritierte Professorin für Psychologie der Universität Zürich Verena Kast.

Zur Person
Verena Kast (*1943) ist eine Schweizer Psychoanalytikerin und Supervisorin. Sie war Professorin für Psychologie an der Universität Zürich, Dozentin und Lehranalytikerin am dortigen C.-G.-Jung-Institut und Psychotherapeutin in eigener Praxis. Bücher zu den Themen Traumdeutung, Krise, Angst, Depression, Scham und Beziehung wurden zu Bestsellern.

Was habe ich wie gelebt?

Was zähle, sei das gelebte Leben. Das sei der Unterschied zur Therapie, sagt die Psychotherapeutin Verena Kast. Es geht nicht um das, was ich jetzt bedaure, dass ich es nicht gehabt habe. Es geht vielmehr um diese Fragen: Was habe ich eigentlich wie gelebt? Was war mir wichtig? Wer bin ich gewesen, wer bin ich geworden? Was kann ich noch einmal in der Erinnerung zurückholen?

Der Lebensrückblick gibt einem Zeit, über sich nachzudenken – und er ermöglich auch Einsichten – zu sehen, wie man wirklich ist und wie man künftig noch sein will.

Bedeutung des Erzählens

Besonders wichtig ist Verena Kast für den Lebensrückblick das Erzählen. Das ermöglicht, lebendig zu werden, in Berührung mit Emotionen zu kommen. Voraussetzung: Es braucht jemanden, der gut zuhören kann. Das sei das größte Problem: Menschen erzählen zwar sehr gerne von sich selbst, hören aber nicht gerne zu.

„Imaginationen müssen natürlich sichtbar werden, damit sie auch miteinander geteilt werden können. Und deshalb meine ich, dass das Erzählen so wichtig ist. Vor allem auch, weil Menschen miteinander in Kontakt kommen. Und wenn wir von der ursprünglichen Idee ausgehen, dass ältere Leute angeregt werden können, dann ist dieses miteinander Erzählungen teilen natürlich auch etwas, wo Menschen zueinander offen werden, vielleicht auch Vertrauen entwickeln.“

Die besten Geschichten erzählt das Leben

Psychologieprofessorin Verena Kast sagt, nicht jede Geschichte eignet sich, um ins gute Erinnern zu kommen. Woran erinnern wir uns am leichtesten? Es sind nicht die spektakulären Dinge. Die besten Geschichten erzählt schon das Leben. Verena Kast nennt etwa: Den ersten Sandkastenfreund, wie man Fahrradfahren gelernt hat, was man sich mit dem ersten verdienten Geld gegönnt hat.

Buchtipp
Verena Kast „Was wirklich zählt ist das gelebte Leben – Die Kraft des Lebensrückblicks“. Es ist bei Herder erschienen. ISBN: 978-3-451-06501-9

Der Lebensrückblick ist keine Therapie. Mitunter tauchen bei einem Lebensrückblick Ereignisse in der Erinnerung auf, die besser in einer Therapie aufgehoben sind und einer professionellen Behandlung bedürfen.
Das Geschichten erzählen bringt aber einiges mit sich, dass eine Therapie auch bewirken will.

Es gibt positive Effekte wie etwa, dass depressive Symptome abnehmen. Die Stimmung hebt sich nämlich automatisch, wenn Geschichten ausgetauscht werden. Es tut schlichtweg gut. Die positive Wirkung eines Rückblicks dürfe man nicht unterschätzen, sagt die Psychoanalytikerin Kast.

Sendungshinweis: „Focus“, ORF Radio Vorarlberg, 25.2. 2023, 13.00 Uhr

Den Emotionen näher

„Die Menschen sind durch einen Lebensrückblick lebendiger. Sie sind den Emotionen näher, sie sind der Freude näher, auch der Angst. Sobald wir mit Emotionen im Kontakt sind, werden wir lebendiger. Und wenn diese Emotionen noch mit uns etwas zu tun haben, dann erst recht. Wir sind uns sehr wichtig und deshalb ist Erzählen von uns noch einmal etwas anderes als Erzählen von einem anderen Menschen. Es ist mein Leben, es ist meine Vergangenheit. Ich bin mir doch selber eigentlich etwas ganz, ganz Wichtiges. Und darüber erzähle ich emotional.“ Erinnerungen bereichern, sie sind Ressourcen, sie sind ein Schatz, sagt Verena Kast.