Früher Heute

Mein Dorf. Der Ort, wo jeder jeden kennt. Doch als Kind war ich dort ein Fremder. Mein Leben als Kind. Ich kann fliegen. Darf ich?

Früher: Das Gras ist grüner, die Bäume haben mehr Blätter und sind dichter. Gut um in ihnen zu klettern, ein Baumhaus darauf zu bauen. Es sind dann doch nur ein paar angenagelte Bretter. Es ist genug. Mehr erwarte ich mir nicht – als Kind. Wenn ich heute davon erzähle, nenne ich es mein Refugium. Früher war es namenlos.

Die Bretter sind ganz oben. In der Krone des Baumes natürlich. Von wo aus man das Dorf sehen kann, den Ort, in dem jeder jeden kennt und in dem ich nur ein Fremder bin.

Ich spaziere durch den Wald, durch den ich als Kind fast jeden Tag ging. Als Kind ging ich. Heute spaziere ich. Oder wandere. Selten gehe ich.

Ich betrachte die Bäume über mir. Die Äste sind zu weit oben und der Abstand zwischen ihnen ist viel zu groß. Als Kind bin ich von Baum zu Baum geklettert. Fast schon geflogen. Ist das wirklich passiert?

Früher: Die Rinde ist weich, und das Messer ist scharf. Ich ritze meinen Namen. Heute meinen Namen, morgen meine Initialen und übermorgen den Namen eines Mädchens, das ich wieder vergessen werde.

Und wieder heute streiche ich mit meinen Fingern über die vernarbten Wunden des Baumes. Hart und alt. Unleserlich. Allein die Erinnerung bleibt.

Ich greife nach den Ästen über mir. Ich erreiche sie kaum. Als ich schließlich doch an einem Ast hänge, schmerzen mir die Finger. Ich will mich hochziehen, aber das Gewicht des Alters zieht mich nach unten. Ich lasse los. Es ist Frühling. Das Gras ist grün. Früher war es grüner. Ich lasse los.