Unter der Überschrift „Chancenreichtum in Vorarlberg" wurden die tiefgreifenden Veränderungen der Lebens- und Arbeitswelten behandelt, teilte die Landesregierung am Abend mit. Mit drei Vorträgen zu bestimmenden Trends in den Lebenswelten junger Menschen, über Prognosen zur Entwicklung der Arbeitswelt sowie zur Resilienz von Kindern und Jugendlichen habe man das komplexe Thema verständlich erörtern können. An der anschließenden Diskussion nahmen rund 140 Personen vor allem aus Politik, Bildung und dem Sozialwesen teil.
Was können wir dazu beitragen, dass sich die Kinder und Jugendlichen nicht vor der Zukunft fürchten und ihren eigenen Weg gehen? Das Fazit der Experten: Die Jugend muss ihre eigenen Erfahrungen machen dürfen – und sie hält einiges aus.
Die Zukunft unserer Jugend: Chancen und Perspektiven
Wie können wir sicherstellen, dass Kinder und Jugendliche von heute optimale Chancen und Perspektiven für ihre Zukunft haben? Dieser Frage widmeten sich Fachvorträge bei einer Enquete im Landhaus. Das Fazit der Experten lautet: Die Jugendlichen sollten die Möglichkeit haben, ihre eigenen Erfahrungen zu machen, und sie besitzen oft mehr Widerstandskraft, als ihnen zugestanden wird.
Zu unrecht „Generation Schneeflocke“
Faul, flatterhaft und süchtig nach Social Media – die Jugend hat ein schlechtes Image und einen gehässigen Spitznamen: „Generation Schneeflocke“. Das soll Jugendliche bezeichnen, die nichts aushalten. Dieser Stempel ist völlig unfair, sagt Familienforscher Wolfgang Mazal: „Die Vorgängergeneration hat nur andere Vorstellungen, wie die Welt auszusehen hat und versucht meines Erachtens verstärkt, den Jungen diese zu oktroyieren, fast vorzugeben, was man tun darf und was man nicht tun darf. Hier wird es für die junge Generation viel enger. Aus meiner Sicht bewahrheitet sich hier ein Satz von Sigmund Freud: Gewinnen durch Loslassen.“
Junge Menschen sollen früh Verantwortung übernehmen, sie sollen die Möglichkeit haben, ihre eigenen Erfahrungen zu machen. Scheitern sei erlaubt, ja sogar wichtig, meint Mazal: „Man versucht aus guten Gründen, ihnen finanziell entgegenzukommen und Schwierigkeiten aus dem Weg zu räumen. Das ist legitim, aber es ist zu wenig aus meiner Sicht. Man muss auch lernen zu gehen, wenn der Boden etwas staubig und steinig ist.“
Wie entwickelt man Widerstandsfähigkeit?
Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht, aber behütete Kinder haben es schwer im Alltag. Das sieht auch die Psychotherapeutin Petra Grassl-Riederer immer wieder bei ihrer Arbeit: „Sie haben gar nicht die Möglichkeit, Problemlösungsfähigkeit zu entwickeln, weil sie gar nicht konfrontiert werden mit einfachen Aufgaben ihres Lebens. Es wird ihnen vieles abgenommen. Die Jugendlichen sind angepasst, sie sind leistungsstark, sie sind kompetent. Aber ob sie Resilienz entwickelt haben, das können wir so nicht beurteilen, weil sie hatten wahrscheinlich nie diese Widrigkeiten, die sie einmal erlebt haben müssen, dass sie überhaupt diese Kompetenzen entwickeln können.“
Landtagsenqueten
Die jährlichen parlamentarischen Enqueten (Arbeitstagungen) geben den Abgeordneten und der interessierten Öffentlichkeit die Gelegenheit, abseits des politischen Tagesgeschäfts ein Thema zu vertiefen. Die jeweiligen Themen legen die Landtagfraktionen jährlich abwechselnd fest. In diesem Jahr war es die Vorarlberger Volkspartei (VP). Erkenntnisse aus den Impulsreferaten der Fachleute und den anschließenden Diskussionen fließen üblicherweise in die Landtagsgeschäfte ein.
Fachvorträge zur Zukunft der Jugend
„Lebenswelten und Zukunft von Kindern und Jugendlichen in Vorarlberg“: Univ. Prof. Wolfgang Mazal (Institut für Arbeits- und Sozialrecht, Universität Wien) sieht die Gestaltung der Zukunft als generationenübergreifende Aufgabe voller Möglichkeiten. Für deren Gelingen müssen verschiedene Trends in politischen Entscheidungen berücksichtigt werden: Hierzu zählen u.a. die allgegenwärtige Beschleunigung verschiedener Lebensbereiche oder die Ergänzung klassischer Beziehungen durch Social Media und zunehmende Beziehungsarmut. Als weitere Herausforderungen kommen der Umgang mit veränderten Sicherheitslagen sowie die Verfügbarkeit von Ressourcen hinzu.
„Arbeitswelten in 10 bzw. 20 Jahren – Was erwartet die Kinder und Jugendlichen von heute?“: Bernhard Bereuter (AMS Vorarlberg, Geschäftsführer) identifizierte als gegenwärtige Treiber des Wandels in den Arbeitswelten die Pandemie, die Digitalisierung, einen feststellbaren Wertewandel und eine veränderte Einstellung zur Arbeit. Zukünftige Arbeitswelten werden flexibler, digitaler, internationaler und ökologischer. Sie werden sich teilweise nuanciert, teilweise umfassend verändern. Für neu entstehende Beschäftigungsfelder werden branchenübergreifende Kompetenzen sowie lebenslanges Lernen immer wichtiger.
„Wie werden Kinder und Jugendliche resilient?“: Petra Grassl-Riederer (pro mente – Kinder und Jugend Oberland, Regionalleitung) thematisierte das Konzept der Resilienz. Es bezeichnet das Vermögen eines dynamischen Systems (Mensch), sich erfolgreich an verschiedene Störungen und Unsicherheiten anzupassen. Sie machte vor allem die Stabilität familiärer Beziehungen und die Qualität der Bildungseinrichtungen als einflussreiche Faktoren zur individuellen Förderung von Resilienz aus.