Haller: Ausbau der stationären Behandlung nötig

Psychiater Reinhard Haller fordert den Ausbau an stationären psychiatrischen Behandlungsmöglichkeiten. Seiner Auffassung nach passieren viele Unglücke - sowohl Suizide als auch Gewalt gegen andere Menschen - weil Psychiatrie-Patienten viel zu früh aus dem Spital entlassen werden.

Die Reduzierung von stationären Krankenhausaufenthalten mache in gewissen körperbezogenen Abteilungen durchaus Sinn - im Bereich der Psychiatrie sei dies aber kontraproduktiv, so Reinhard Haller im Samstaginterview von Radio Vorarlberg. Es sei ein gewisser Zeitgeist aufgekommen, dass stationäre Behandlungen immer kürzer sein müssten. Aber die Psyche des Menschen lasse sich nicht zusammenstauchen oder kürzen. Bei einer Depression oder bei Aggressivität brauche die Behandlung einfach eine gewisse Zeit. Deshalb brauche es mehr Kapazitäten, damit auch solche länger dauernden Behandlungen wieder möglich seien.

„Unterbringungsgesetz ist zahnlos“

Haller fordert auch eine dringende Reform des Unterbringungsgesetzes - dieses sei inzwischen nämlich völlig zahnlos, so Haller. Seiner Auffassung nach passieren viele Unglücke - sowohl Suizide als auch Gewalt gegen Andere - weil psychiatrische Patienten viel zu früh aus dem Spital entlassen werden. Nach dem Unterbringungsgesetz könne man die Menschen schwer einweisen und noch schwerer da behalten, das müsse geändert werden.

Frauen etwa genauso oft gewalttätig

Nach der Familientragödie in Hohenems, wo ein Mann seine Frau, seine beiden Kinder und anschließend sich selbst getötet hat und dem mutmaßlichen Mord in Wien, bei dem ein 18-Jähriger seine 14-jährige Schwester erstochen haben soll, geht es in dem Interview auch um das Thema häusliche Gewalt. In beiden Fällen waren die Behörden bereits wegen häuslicher Gewalt aktiv. Das Thema der häuslichen Gewalt werde insgesamt tabuisiert, so Haller, so auch das Thema, dass Frauen häufig gewalttätig gegen ihre Männer seien.

Dabei würden verschiedene Untersuchungen zeigen, dass der Anteil gewalttätiger Männer und Frauen in etwa gleich sei. Nur würden Männer meist viel brutaler zuschlagen, das ende viel häufiger mit schweren Körperverletzungen oder Tötungen. „Das ist etwas, was wir zur Kenntnis nehmen müssen: Männer, die nach außen hin cool und abgebrüht wirken, sind in Wirklichkeit unglaublich verletzlich, halten Kränkungen nicht aus, streben sofort nach radikalen Lösungen. Dem glaube ich müsste man auch schon in der Erziehung viel mehr Rechnung tragen“, so Haller.

Haller fordert Änderungen im Strafrecht

Sein Eindruck sei, dass es sehr viele Hilfsangebote gebe, aber viele den Weg dahin nicht finden. So müsse sich auch im Strafrecht etwas ändern - und zwar „in der Form, dass die Polizisten nicht mehr sagen müssen, wir können erst dann etwas machen, wenn etwas passiert ist, sondern schon vorher einschreiten müssen. Und dass man vielleicht auch über die Polizei den Weg zu den helfenden Institutionen ebnet“.

2050: Depression wird häufigste Erkrankung sein

Haller äußerte sich auch zu den steigenden Zahlen unter anderem bei den Burn out-Erkrankungen und Depressionen. Bis zum Jahr 2050 werde Depression die weltweit häufigste Erkrankung sein, so Haller, der damit die Weltgesundheitsorganisation zitiert. Suchterkrankungen werden demnach im Jahr 2050 die dritthäufigste Erkrankungsform sein. Besonders Menschen mittleren Alters seien gefährdet, aufgrund von Dauerstress und Multitasking zu erkranken.

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Das Interview mit Reinhard Haller hat ORF-Redakteurin Ines Hergovits-Gasser geführt.

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