„Neue Medien - ein Totalitarismus, der gar nicht danach aussieht"

Prof. Dr. Harald Welzer, Soziologe und Sozialpsychologe, Berlin (D), St. Gallen(CH), spricht in Focus über „Neue Medien - ein Totalitarismus, der gar nicht danach aussieht".

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Sendehinweis

2. Mai 2015, 13.00 - 14.00 Uhr
7. Mai 2015, 21.00 bis 22.00 Uhr (WH)

Cioma Schönhaus ist Jude und gehörte bei den Nazis zu den Verfolgten. Irgendwann stand er vor der Frage, ob er sich deportieren lassen oder untertauchen soll. Die Jüngeren waren oft besser dran, weil sie klarer, ungeschützter gesehen haben und ihnen die Erfahrung keine Falle gestellt habe, so Welzer. Schönhaus arbeitete in einer Fabrik und hatte die Bestätigung, dass er dort gebraucht wird. Er gehörte zu Tausenden anderer Menschen, die damals in Berlin untergetaucht sind. Es gab soziale Netzwerke und dank derer hat Cioma Schönhaus überlebt. Viele seien auch wegen der Spitzel in der Nazizeit aufgeflogen. Schönhaus nicht ! Schönhaus versteckt sich nicht, er versucht auch nicht unauffällig zu leben. Er geht letztlich bei Feldkirch über die Grenze in die Schweiz. Cioma Schönhaus ist für Welzer ein Beleg dafür, dass totalitäre Gesellschaften ihre Nischen hatten, die von einem Regime nicht eingesehen werden konnten. Niemand habe allein, sondern immer mit sozialen Gruppen überlebt. Es gab geheime Überlebenszonen zum Untertauchen.

Staatliche Überwachung und „der private Raum“

Früher mussten staatliche Überwacher die Daten über ihre Bürger zuerst selber erheben. Die STASI nahm Geruchsproben zur Identifizierung. Die Geschichte von C. Schönhaus belegt, es gab private Bereiche in die man nicht eintreten konnte. Früher gab es Trennungen zwischen privaten und öffentlichen Räumen. Diese Räume sind das Kernelement von Demokratien. Derzeit wird Privatheit zerstört, diese Ordnungsmacht tritt nicht mit einem Schlagstock, die zerrt niemanden in eine Zelle und hat keine Uniform an, aber sie dringt in die privaten Räume von Menschen ein. „Das kann sie deshalb, weil die Menschen ihre privaten Räume schon aufgemacht haben, egal ob sie sich über die Wetterprognose informieren oder ob sie eine Pizza bestellen“, sagt Harald Welzer. Es befördert einen Totalitarismus, der gar nicht wie Totalitarismus aussieht. Steve Jobs, Mitgründer und langjähriger CEO von Apple Inc. gilt er als eine der bekanntesten Persönlichkeiten der Computerindustrie, bezeichnet Welzer als die Popfigur der neuen Welt, die keine Uniform getragen hat.

Auflösung des Privaten

Es geht diesem Totalitarismus auch darum zu wissen, was Menschen wollen, sagt der Sozialpsychologe. Nur, dass er ganz anders als die bisherige Form des Totalitarismus daherkommt. Es fehlt uns der Referenzpunkt, um sagen zu können, an welcher Stelle denn etwas passiert, wo man dringend sagen müsste, das geht nicht. Solange wir rechtsstaatliche Verhältnisse haben, ist das kein Problem. Gefährlich wird`s, wenn es einen Regimewechsel gibt und die dann das alles benützen, was sie da von den einzelnen Menschen ablesen und gegen diese vielleicht verwenden können, gibt Sozialpsychologe Welzer zu bedenken.

Prof. Welzer hat diesen Vortrag zum Thema „Wie sieht Totalitarismus im 21. Jahrhundert aus?“ beim Philosophicum Lech 2014 gehalten.

Zur Person:

Harald Welzer Jg. 1958 in Bissendorf bei Hannover ist ein deutscher Soziologe und Sozialpsychologe .
Harald Welzer ist Mitbegründer und Direktor der gemeinnützigen Stiftung „Futurzwei“ und seit Juli 2012 Honorarprofessor für Transformationsdesign an der, wo er das Norbert Elias Center for Transformation Design & Research leitet. Außerdem ist Welzer Affiliated Member of Faculty am Marial-Center der Emory University (Atlanta/USA), er lehrt an der Universität St. Gallen und ist Mitglied zahlreicher wissenschaftlicher Beiräte und Akademien. Die Schwerpunkte seiner Forschung und Lehre sind Erinnerung, Gruppengewalt und kulturwissenschaftliche Klimafolgenforschung.

Literatur:

Selbst denken. Eine Anleitung zum Widerstand

Klimakriege , wofür im 21. jahrhundert getötet wird

Täter, wie aus ganz normalen Menschen Massenmörder werden.

Günther Anders. Bd. I: Über die Seele im Zeitalter der zweiten industriellen Revolution. becksche reihe

Günther Anders. Die Antiquiertheit des Menschen. Band II: Über die Zerstörung des Lebens im Zeitalter der dritten industriellen Revolution. Verlag C.H.Beck

Dave Eggers. Der Circle: Roman. Kiepenheuer u. Witsch

MUSIK

CD* EIN SOMMERNACHTSTRAUM / MUSIK ZU DER KOMÖDIE VON WILLIAM SHAKESPEARE
T* Sombrio/instr. / aus der Bühnenmusik zur Komödie „Ein Sommernachtstraum“

A: Ensemble Paris Tango
NI: Richard Galliano/Bandoneon
NI: Roberto Lara/Bandoneon

CD* EIN SOMMERNACHTSTRAUM / MUSIK ZU DER KOMÖDIE VON WILLIAM SHAKESPEARE
T* Artisane I/instr. / aus der Bühnenmusik zur Komödie „Ein Sommernachtstraum“

A: Ensemble Paris Tango
NI: Susana Lago/Piano
NI: Narcisso Omar Espinosa/Gitarre
NI: Richard Galliano/Bandoneon
NI: Roberto Lara/Bandoneon
NI: Pierre Mortarelli/Bass

T* Der Frühling, RV 269 / arr. für Akkordeon und Streichquintett (Bearbeitung des Concerto op.8 Nr.1 aus „Die vier Jahreszeiten“)
G* DIE VIER JAHRESZEITEN op.8 Nr.1-4 / arr. für Akkordeon und Streichquintett

S: Richard Galliano/Akkordeon
S: Jean-Marc Phillips-Varjabédian/Violine
S: Sébastien Surel/Violine
S: Jean-Marc Apap/Viola
S: Eric Levionnois/Violoncello
S: Stéphane Logerot/Kontrabass

CD* FACE TO FACE / EDDY LOUISS UND RICHARD GALLIANO
T* Tribute to Joe Diorio/instr.

S: Eddy Louiss/Hammondorgel
S: Richard Galliano/Akkordeon < Victoria >, Bandoneon < A.Arnold >
NI: Eddy LOUISS/12.5.1941 Paris, Ile de France
NI: Richard GALLIANO/12.12.1950, Le Cannet, Provence Côte D’Azur, Frankreich