Kinderschutz: Elbs mit gedämpften Erwartungen

Im Vatikan startet heute eine Tagung zu den Themen Kinderschutz und Missbrauch. Der Feldkircher Diözesanbischof Benno Elbs spricht mit vorarlberg.ORF.at über seine Erwartungen an die Tagung und den Kulturwandel, den die Kirche durchgemacht hat.

Der Feldkircher Diözesanbischof Benno Elbs leitet innerhalb der Österreichischen Bischofskonferenz eine Arbeitsgruppe zum Thema Missbrauch. An der Tagung im Vatikan nimmt er nicht teil. Die Österreichische Bischofskonferenz wird durch den Vorsitzenden, Kardinal Christoph Schönborn, vertreten.

Benno Elbs

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Diözesanbischof Benno Elbs

Bischof Benno diese Woche findet im Vatikan eine Tagung zum Thema Kinderschutz statt. Was ist denn das Maximum, das man sich von so einer Tagung erwarten kann?

Elbs: Also für mich ist das ganz wichtig die Meinungsbildung und die Bewusstseinsbildung. Wenn man sich vorstellt, dass die Kirche eine Gemeinschaft ist, die die ganze Welt umfasst, und dass es hier natürlich ganz unterschiedliche Bewusstseinssituationen gibt - ob man an China denkt, ob man an Afrika denkt oder an Europa - die Bedeutung des Kinderschutzes ist in diesen Gesellschaften ganz unterschiedlich. Und deshalb ist es dem Papst wichtig, alle Bischöfe an einen Tisch zu bekommen, alle Vorsitzenden, und mit ihnen sozusagen auf einen gleichen Bewusstseinstand zu kommen, nämlich der Bewusstseinsstand, dass es darum geht, dem Kinderschutz erste Priorität zu geben, eine Kultur des Hinschauens, eine Kultur der Offenheit, eine Kultur auch der Versöhnung in die Kirche sozusagen hineinzubringen und hineinzubauen. Das ist eigentlich für mich das Maximum, das hier realistischerweise herausschauen kann.

Kirchliche Missbrauchsfälle begleiten uns schon sehr viele Jahre, zumindest seit den 1990er-Jahren. Warum kommt der Gipfel denn erst jetzt, im Jahr 2019?

Elbs: Ich glaube, dass der Grund darin liegt, dass es auch hier unterschiedliche Geschwindigkeiten gibt. Wenn ich an Deutschland denke, an Österreich, an Europa, auch an Nordamerika: Da ist das Bewusstsein für den Kinderschutz und auch das Bewusstsein in den Fragen des Missbrauchs schon sehr hoch, gottseilob und gottseidank. Es gibt natürlich auch Regionen in der Welt, wo das kein Thema ist, wo es Kinderarbeit gibt, wo es Kindersoldaten gibt, wo in der Gesellschaft der Schutz der Kinder einfach nicht so präsent ist. Und ich glaube, dass hier auch glücklicherweise Druck von verschiedenen Ländern entstanden ist, sprich jetzt von Europa, damit wirklich die Welt sich auch hier auf die Füße stellt und sich wirklich engagiert in dieser Frage.

Kardinal Schönborn hat mit der Aussage aufhorchen lassen, die Opfer müssten an die erste Stelle treten, der Ruf der Institution Kirche an die zweite. Ist das nicht eigentlich eine Selbstverständlichkeit für eine Institution, die Nächstenliebe als eines ihrer zentralen Motive hochhält?

Elbs: Das sehe ich genauso. Es ist eine Selbstverständlichkeit. Im Mittelpunkt steht die Not der Opfer, die Hilfe, die Menschen brauchen. Im Mittelpunkt steht der Kinderschutz und die Organisation, wie immer sie heißt, ist an zweiter Stelle oder dritter Stelle. Das ist für mich selbstverständlich.

Die Bischöfe müssen im Vatikan berichten über ihre Erfahrungen mit Missbrauchsopfern. Genauer gesagt: Sie mussten zuerst mit Missbrauchsopfern sprechen, müssen dann berichten und auch sagen, was sie aus diesen Gesprächen gelernt haben. Von außen stellt sich die Frage: Wussten denn die Hirten nicht so recht, welche Leiden ihre Schafe plagen?

Elbs: Ich glaube, dass es so ist, dass das Thema Missbrauch immer eines ist, das sich versteckt. Opfer schämen sich. Menschen, denen Leid angetan worden ist, die schämen sich auch und es braucht oft lange Zeit, bis jemand hier an die Öffentlichkeit tritt und auch mit einer anderen Person über das redet, was ihr oder ihm zugestoßen ist. Das ist für mich auch der Grund, warum es oft lange dauert und warum Dinge auch in der offiziellen Schiene sozusagen nicht wahrgenommen werden konnten, weil es nicht gewusst wurde.

Also es liegt nicht am mangelnden Interesse der Bischöfe?

Elbs: Ich glaube es ist so, dass es sicher ist, dass hier ein Bewusstseinswandel die letzten Jahre stattgefunden hat, dass es von einer Kultur des Wegschauens zu einer Kultur des Hinschauens sich entwickelt hat. Und dieses Lernen an der Situation, Lernen im Gespräch mit betroffenen Menschen, Lernen im Gespräch mit Expertinnen und Experten, ist etwas, was hier auch den Bewusstseinswandel herbeigeführt hat und was auch für uns als Kirche und für die Verantwortlichen ein ganz wichtiger Schritt gewesen ist.

Opferschutzorganisationen fühlen sich bevormundet und sagen: Für uns muss man nicht sprechen, wir können unsere Interessen ganz gut selbst vertreten.

Elbs: Das stimmt. Und ich glaube, dass das auch wichtig ist, dass jede Organisation ihre Interessen, ihren Blick, in die Diskussion einbringt. In dieser Konferenz muss man sagen, dass natürlich Gespräche mit den Opferschutzorganisationen stattgefunden haben, dass auch bei dem Kinderschutztreffen Opfer zur Sprache kommen, ihre Erfahrungen mitteilen und den Bischöfen auch ihre Leidensgeschichten erzählen und hier ins Gespräch kommen. Und es ist auch geplant, dass es einen Versöhnungsgottesdienst gibt zusammen mit den Bischöfen, mit Opfern, um hier auch der Heilung und der Wiedergutmachung Raum zu geben. Insofern: Ja, die Opferschutzorganisationen müssen für sich selbst sprechen, die Kirche will auch ihnen diese Aufgabe nicht abnehmen, aber auf der anderen Seite bemüht sich Papst Franziskus auch, mit den Betroffenen in engem Kontakt, im Gespräch zu sein, auch bei dieser Konferenz.

Der Papst ist selbst schon oft in der Kritik gestanden, weil er bestimmte Urteile in Missbrauchsfällen abgeschwächt haben soll, auf bestimmte Situationen hat er nur zögernd reagiert. Wie glaubwürdig als Reformer ist Papst Franziskus?

Elbs: Ich glaube, dass Papst Franziskus sehr glaubwürdig ist als Reformer. Er ist ein Papst, der dorthin geht, wo Menschen in Not sind, er geht an die Ränder der Gesellschaft, er geht zu Menschen, die von der Gesellschaft irgendwie an den Rand gedrängt sind, ob das Kriminelle sind, ob das Asylsuchende sind, ob das arme Menschen sind. Und in diesem Sinn ist er im Innersten ein Reformer, das heißt, einer, der aus dem Geist des Evangeliums lebt. Und für mich ist er in dieser Haltung absolut glaubwürdig. Man muss natürlich sagen, dass die Kirche 1,4 Milliarden Mitglieder hat, es gibt über 3.000 Diözesanbischöfe und Diözesen, und dass hier ein einzelner Mensch über das Ganze den Überblick haben kann, das ist einfach unmöglich, das ist unrealistisch. Und deshalb ist das natürlich auch immer etwas, was nicht so schnell geht, wie wenn ich nur für 500.000 Menschen Verantwortung trage.

Gehen wir zurück nach Österreich: Bei uns gibt es die Klasnic-Kommission, die die Missbrauchsfälle aufgearbeitet hat in den letzten Jahren. Am Wochenende hat sie wieder Zahlen vorgelegt: 27 Millionen Euro wurden mittlerweile bezahlt an die mutmaßlichen Missbrauchsopfer. Was dabei auffällt: Die meisten Fälle gehen sehr weit zurück, bis in die 1960er-Jahre, und die meisten der mutmaßlichen Täter sind entweder schon verstorben oder schon lange aus dem Amt geschieden. Bewegt sich die Kirche da immer noch zu wenig schnell?

Elbs: Ich glaube, dass das Wichtige der Blick von außen ist. Und das war auch der große Sinn der Klasnic-Kommission, dass unabhängige Expertinnen und Experten hier auf die Situation in der Kirche schauen, dass Menschen dort um Hilfe bitten können, sich um Hilfe an die Klasnic-Kommission wenden können. Und diese Modell haben ja dann die zivilen Organisationen, die Länder, der Bund, auch übernommen. Und das glaube ich zeigt, dass das ein richtiger Ansatz ist. Kinderschutz ist, glaube ich, ein Thema, das immer präsent sein muss, weil die Kinder sind die schwächsten unserer Gesellschaft und deshalb darf man hier auch aus meiner Sicht nie aufhören. Und es ist wichtig, dass hier ein Kulturwandel, ein Haltungswandel geschieht, nämlich mit einer großen Achtsamkeit auf den Schutz der Kinder zu schauen. Und dass auch Menschen, die verletzt worden sind, denen Wunden an der Seele zugefügt wurden, die Möglichkeit finden, Orte der Heilung, des Gesprächs und auch Hilfe zu finden. Und das ist der Versuch und die große Anstrengung, die wir in der Kirche seit einigen Jahren pflegen, für die wir arbeiten, und die uns sehr am Herzen liegt.

Was muss den Ihrer Meinung nach geschehen, dass Missbrauchsfälle in der Kirche so gut wie möglich verhindert werden können?

Elbs: Das Entscheidende ist das Bewusstsein in der Gesellschaft und das Bewusstsein in der Kirche. Und dieses gesellschaftliche Problem oder die gesellschaftliche Frage des Kinderschutzes ist eine Aufgabe für alle Menschen, die mit Kindern arbeiten. Hier braucht es die Haltung des Hinschauens, es braucht diese Haltung, dass die Opfer im Zentrum der Aufmerksamkeit und der Hilfe stehen. Und das ist eine Aufgabe, die nie aufhören wird. Immer dort, wo Menschen miteinander leben, miteinander umgehen, gibt es natürlich Machtverhältnisse, gibt es auch potenziell die Möglichkeit des Missbrauchs, des Machmissbrauches, überall in der Gesellschaft. Und hier müssen wir alle wachsam sein, damit diese Dinge so gut wie möglich vermieden werden können.

Das Gespräch führte Markus Sturn, ORF Vorarlberg

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