„Sind in einer neuen Welle der Aufklärung“

Toviá Ben-Chorin, Rabbiner in der Synagoge St. Gallen, nimmt immer wieder am jüdisch-kulturellen Leben in Vorarlberg teil. Anlässlich des Osterfestes mahnt Rabbi Toviá einen Trialog zwischen Christen, Juden und Moslems ein.

Die Christen feiern in diesen Tagen wie jedes Jahr das Osterfest. Die Wurzeln dafür liegen im Pessach-Fest, das an die Befreiung der Juden aus der ägyptischen Sklaverei erinnert. Für Ben-Chorin sind beide Feste Ausdruck der Hoffnung, wie er im ORF Radio Vorarlberg Samstagsinterview erläutert.

Dieses Element ist nicht mehr verfügbar

Audio: Toviá Ben-Chorin im Gespräch mit ORF-Redakteur Andreas Feiertag

Diese Hoffnung verwirft er auch angesichts des Terrors nicht, der Europa derzeit heimsucht. Das Judentum selbst sei das beste Beispiel dafür: Immer wieder sei sein Volk in der ganzen Welt verstreut gewesen. Ohne die Hoffnung hätte es sich nie so erfolgreich integrieren können, sagt der Rabbiner.

„Leute, die sich nicht kennen, haben Angst“

Aus der Vergangenheit des Judentums schöpft er auch Hoffnung für die Zukunft. Immer wieder habe es Epochen gegeben, in denen Juden, Christen und Muslime friedlich miteinander gelebt hätten. „Mit der Verbreitung des Islams durch Flüchtlinge, die jetzt nach Europa kommen, sind wir wieder in einer neuen Welle der Aufklärung“, sagt Ben-Chorin.

Dabei würden sich Fragen stellen wie: „Wie offen sind wir? Was erwarten wir? Was sind wir bereit zu geben?“ Der einzige Weg in Richtung eines friedlichen Zusammenlebens sieht er in einem Trialog der drei Religionen, denn „Leute, die sich nicht kennen, haben Angst.“

Keine Angst vor Antisemitismus-Welle

Dass durch die Einwanderungswelle auch der Antisemitismus Auftrieb erhalten könnte, hält Ben-Chorin zwar für eine Möglichkeit. Angst hat er aber nicht - das hätten ihn seine Erfahrungen in Deutschland mit türkischen Mitbürgern gelehrt. Man könne mit Muslimen auch zusammensitzen, ohne etwa über den israelisch-palästinensischen Konflikt zu sprechen.

Als Erfolgsrezept hinter einer gelungen Integration sieht Ben-Chorin, dass man sich soweit wie möglich an die Kultur anpasst. Als gelungenes Beispiel sieht er den Umgang mit der Polygamie im Judentum: Die sei in seiner Religion eigentlich erlaubt - werde seit dem 12. Jahrhundert aber nicht mehr praktiziert, weil man sich an die christliche Gesellschaft angepasst habe.

„Erinnerung tragen wir mit uns“

In Vorarlberg wird heuer das 400-jährige Jubiläum jenes Schutzbriefes gefeiert, der den Beginn einer blühenden Jüdischen Gemeinde in Hohenems markiert hat. Spätestens seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs gibt es diese Gemeinde nicht mehr. Heute lebt in Vorarlberg nur mehr rund ein Dutzend Juden.

Dass die Juden nach der Vertreibung nicht mehr nach Vorarlberg zurückgekehrt sind, ist für Ben-Chorin nur allzu verständlich: „Die Erinnerung tragen wir mit uns, wo immer wir gehen.“ Heute gebe es wenig, was sein Volk zurück nach Vorarlberg ziehen würde. Es gebe auch keine lebendige Gemeinde mehr - weil es einfach nicht genug Juden gebe.