Zu wenig Gebärdensprach-Dolmetscher im Land

Eine Bedarfserhebung des Instituts für Höhere Studien zeigt einen deutlichen Mangel an Dolmetschern für Gebärdensprache - vor allem an Schulen. An Vorarlbergs Pflichtschulen werden nur drei Prozent der Betroffenen gebärdensprachlich orientiert unterrichtet.

Eine Bedarfserhebung des Instituts für Höhere Studien (IHS) zeigt einen deutlichen Mangel an Dolmetschern für Gebärdensprache (ÖGS) und beim Einsatz von ÖGS an Schulen. Ob gehörlose Kinder und Jugendliche eine höhere Bildung erreichen, hängt derzeit in erster Linie vom Engagement der Betroffenen, ihrer Eltern sowie von einzelnen Lehrern oder dem Zufall ab.

Mehr Dolmetscher für Chancengleichheit

Wie viele Personen in Österreich insgesamt gehörlos oder schwerhörig sind und ÖGS als Erstsprache nutzen, ist mangels Daten nicht klar. gehen von 8.000 bis 12.000 Betroffenen aus - dem gegenüber stehen allerdings nur rund 100 ÖGS-Dolmetscher. Dieser Mangel an Dolmetschern vor allem mit Kenntnissen des spezifischeren Vokabulars im mittleren und höheren Bildungsbereich wird in Interviews von den Betroffenen in der Studie als massives Problem genannt.

Allein um gehörlosen Schülern dieselben Chancen auf den Besuch der AHS-Oberstufe oder einer berufsbildenden mittleren oder höheren Schule (BMHS) zu geben wie Schülern ohne Behinderung, bräuchte es laut der IHS-Untersuchung (je nach Intensität der Betreuung) zwischen 27 und 86 zusätzliche Dolmetscher. Über alle Altersgruppen hätten 5.000 bis 6.500 zusätzliche Personen potenziellen Bedarf nach ÖGS-Dolmetschleistungen. Die Politik sei daher gefordert, deren Ausbildung zu fördern und auch entsprechende Stellen zu schaffen, so das Institut in seinen Empfehlungen.

Regelungen in den Bundesländern unterschiedlich

Im Pflichtschulbereich werden nach den unterschiedlichen Definitionen der Landesschulräte rund 1.400 Kinder und Jugendliche (ca. zwei Promille) als gehörlos oder hörbehindert eingestuft. Ob Schülern wegen schlechtem oder fehlendem Hörvermögen sonderpädagogischer Förderbedarf zuerkannt wird und ob sie an einer Sonderschule bzw. eigenen Schulen für Hörbeeinträchtigte (mit manchmal langem Anfahrtsweg oder Internat) oder integrativ unterrichtet werden, ist je nach Bundesland unterschiedlich. Insgesamt wird je die Hälfte an einer Sonderschule bzw. unterstützt von Gebärdensprachpädagogen in einer Klasse mit Kindern ohne Einschränkung beschult.

Internationalen Schätzungen zufolge beherrscht jeder zehnte Gehörlose die Gebärdensprache. An Österreichs Pflichtschulen werden hingegen nur sieben Prozent der Betroffenen gebärdensprachlich orientiert unterrichtet, dabei gibt es eine Bandbreite zwischen drei Prozent in Vorarlberg und Tirol und 29 Prozent im Burgenland.

IHS: „Gehörlose werden nicht ausreichend gefördert“

Der insgesamt gesehen geringe Einsatz von ÖGS an Schulen könnte laut der Studie neben technischen Neuerungen (Cochlea Implantat etc.) auch daran liegen, dass nicht alle gebärdensprachlich orientierten Kinder entsprechend unterrichtet werden, wie zuletzt auch ein Fall aus Kärnten zeigte. Dort wollten Eltern einer gehörlosen HAK-Schülerin erwirken, dass für diese die Gebärdensprache als Unterrichtssprache gilt und sie damit etwa das Recht erhält, Prüfungen per Dolmetsch in ÖGS abzuhalten. Obwohl die ÖGS seit 2005 als eigenständige Sprache anerkannt ist, wurde der Schülerin dies allerdings verwehrt. Landesschulratspräsident Rudolf Altersberger (SPÖ) begründete die Ablehnung in einem Bericht des „Standard“ mit dem „gesetzlichen Korsett“, das ÖGS nicht als Muttersprache anerkenne und damit einen Sprachentausch nicht ermögliche. Die Schule könne daher nur mit Stützlehrern aushelfen.

Bildung Gehörloser und Schwerhöriger wird der IHS-Untersuchung zufolge außerdem nicht ausreichend gefördert: Der Fonds Soziales Wien etwa gewährt Dolmetschleistungen für Bildungszwecke nur für Unter-35-Jährige und für Weiterbildung gar nicht, die zusätzlichen Kosten bei Höherqualifikation oder beruflicher Umorientierung müssen Gehörlose selbst finanzieren. Insgesamt werden derzeit nur ein Drittel der ÖGS-Dolmetschleistungen für Bildung und Beruf genutzt.

Bildungserfolg abhängig von Eigeninitiative

Mangels ausreichender Unterstützung ist der Bildungserfolg gehörloser Menschen der Studie zufolge derzeit stark von Eigeninitiative abhängig: So berichtet im Interview ein Betroffener, dass er nur dank eines zufällig stattfindenden Pilotprojekts einen Lehrplatz in einem „normalen“ Betrieb erhalten hat. Ein anderer verließ extra sein Heimatbundesland, um in Wien eine weiterführende Schule mit speziellem Angebot für gehörlose Schüler zu besuchen. Bis an die Hochschulen schaffen es unter den derzeitigen Bedingungen nur wenige: So gibt es derzeit an den Unis rund 30 Studenten, die ÖGS verwenden - zumindest in Wien werden sie über die Initiative „GESTU. gehörlos erfolgreich studieren“ seit 2010 durch (Schrift-)Dolmetscher und Tutoren unterstützt, allerdings gibt es auch hier laut der Erhebung zu wenig Unterstützungspersonal.

Die ÖGS sei insgesamt, wie in der Studie kritisiert wird, „in einem Defizitdiskurs gefangen, der an die ‚Ausländerpädagogik‘ der 1960er bis frühen 1980er Jahre erinnert“: Da ihr Einsatz im Gegensatz zu Minderheitensprachen nicht gefördert werde, könne sie nicht jene Universalität (z.B. mit für mittlere und höhere Bildung notwendigen Fachausdrücken etc.) entwickeln, dass sie als tatsächliche Erstsprache genutzt werden kann. Außerdem werde, wie bei Migrantensprachen auch, der Einsatz vom ÖGS teils mit dem Argument abgelehnt, dass er „desintegrativ“ wirke.