Miriam Meckel: „Das Ich im Netz“

Miriam Meckel, Professorin für Corporate Communication und Direktorin am Institut für Medien- und Kommunikationsmanagement der Universität St. Gallen, spricht in der Sendung „Focus“ bei ORF Radio Vorarlberg über „Das ICH im Netz; das Ich-Versteck“.

Die Sendung zum Nachhören:

Zwischen Walt Whitman und Mark Zuckerberg

Miriam Meckel nimmt die Zuhörer mit auf eine literarische Reise von zwei Menschen, die sich nicht begegnet sein können: der amerikanische Dichter im 19. Jahrhundert Walt Whitman und Facebook-Gründer Mark Zuckerberg, der 1984 geboren worden ist.

Sendungshinweis:

„Focus“, 28.3.2014 (WH)

„Go big or go home“

Meckel verlegt die Geschichte in einen leicht abgedunkelten Büroraum mit Bürotischen, auf denen jeweils ein großer dunkler Bildschirm steht. Unter der Decke laufen Kabel mit einem Gewirr von Verbindungen. Ein Transparent hängt von der Decke, auf dem steht: „Go big or go home.“ Den Raum betritt ein grauhaariger zerzauster alter Mann mit Filzhut, der sich vor einen schwarzen Bildschirm setzt. Er berührt die Maus auf dem Schreibtisch und plötzlich erhellt sich der Bildschirm und leuchtet hell aus der Raummitte heraus.

Miriam Meckel

Claude Stahel

Miriam Meckel

Der Mann, sein Gesicht in ein bläulich-weißes Licht getaucht, hebt die Hände und beginnt zu schreiben. An anderer Stelle des Büroraums, leicht abgedunkelt, sitzt ein junger Mann und schaut auf den Bildschirm vor sich. Er hat den Kopf in die Hände gestützt, so als wäge er seine Gedanken ganz wörtlich ab, um zu einer Entscheidung zu kommen. Er wartet auf eine Inspiration, doch auf dem Bildschirm geschieht nichts. Er schaut auf die Timeline, auf der schon seit Minuten keine Neuigkeiten aufgetaucht sind. Er schaut auf den Livestream der vernetzten Welt, die er geschaffen hat. Dabei kann er verfolgen, was alle anderen denken und tun, ohne sich selbst zu zeigen. Er hat die Welt zu einem großen Exhibitionistencamp gemacht, in dem man in aller öffentlichen Sichtbarkeit unsichtbar werden kann. Er ist unsichtbar und versteckt sich hinter der allgegenwärtigen Transparenz. Wenn alle auf den Vordergrund starren, hat keiner mehr Augen für das, was dahinter liegt. Dahinter ist er - und er arbeitet weiter an seinem ICH-Versteck......

Die Hinterstübchen der Internet-Giganten

Diese Giganten analysieren unsere Präferenzen und unser Verhalten. Es geht also darum zu verstehen, wie das Internet funktioniert und wie es sein kann, dass jeder bei der Google-Suche andere Ergebnisse bekommt - oder warum Amazon immer weiß, welches Buch man noch lesen will.

Die Programmierung ist wie ein Filter für das nächste Angebot, das der User bekommt. Man bekomme immer das, was man „ge-liked“, gepostet und gekauft habe, macht Meckel deutlich. Alles, was eine Person suche, sei schon in ihr gefunden worden - alles, was man sich wünsche, schon in der eigenen Wirklichkeit angelegt.

Identität als Produkt

Die Identität bieten wir ungeahnt als Ware auf dem Inszenierungsmarkt des Netzes an. In den USA gibt es seit 1987 einen Score, eine Maßzahl, die die Kreditwürdigkeit von Menschen bemisst: der sogenannte Ficus-Score- ein Standardmaß für die Integrität im Netz. Die Maßzahl berechnet sich nur mit Blick auf die finanziellen Verhältnisse und die Kreditwürdigkeit des Menschen. Wenn der Score nicht stimmt, bekommen Sie nichts- nicht einmal eine Kreditkarte, man ist im Grunde vom Leben abgeschnitten.

Der Neurokapitalismus

Diese digitalisierte Identität als kommerzialisierbares Produkt ist zusammengesetzt aus unserer öffentlichen Inszenierung und den dadurch erzielten Scores. Hier würden wir vermutlich sehr schnell korrumpierbar in unserer Integrität und unserer ICH-Authentizität. Wir würden dafür anfällig, uns als ganzes aus dem Blick zu verlieren, verdeutlicht Meckel.

„Die Selbstverbesserung - self enhancement“

Die Optimierung des Menschen wird in den USA Selbstanreicherung genannt. Sie hat sehr viel zu tun mit dem Menschen als einem handelbaren Produkt.

Selbstkontrolle und Selbstdisziplinierung

Das beginnt mit einem kleinen Armreif, der alles dokumentiert, was sie tun: 8.036 Schritte, 928 Stufen gestiegen, 1.054 Kalorien verbraucht. 6 Stunden und 32 Minuten geschlafen und davon 84 Minuten im Tiefschlaf. Auf dem Weg nach Lech drei Mal scharf gebremst, beim Sex zu wenig Energie verbraucht.

Der mathematische Mensch, 1913 von Robert Musil entworfen, als Analogie des geistigen Menschen, der kommen wird. Der mathematische-informatische Mensch ist eine Funktion aus Problem und Problemlösung aus technischem Fortschritt. Er kennt keine Krankheit sondern nur Dysfunktionen seines physischen Apparats, er kennt keine körperlichen Grenzen, sondern nur Schwellen auf dem Weg zu einer besseren physischen Leistungsfähigkeit. Er ist nicht müde oder unkonzentriert, sondern schlecht eingestellt in seinem Neuro-Enhancement. 50 mg Ritalin über den Tag verteilt lösen das Problem sofort. Der digitale Code, der das Leben bestimmt, kann lauten: „Ich bin 0 oder ich bin 1.“

Diesen Vortrag zum Thema „Das ICH im Netz“ hat Prof. Dr. Miriam Meckel beim 17. Philosophicum Lech gehalten.

Zur Person:

Prof. Dr. Miriam Meckel, Jg. 1967, ist Professorin für Corporate Communication und Direktorin am Institut für Medien- und Kommunikationsmanagement der Universität St. Gallen (Schweiz) sowie Beraterin für strategische Kommunikation. Sie studierte Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, Sinologie, Politikwissenschaft und Jura an den Universitäten Münster und Taipei, Taiwan. Nach dem Studium war sie zehn Jahre als Journalistin für öffentlich-rechtliche und kommerzielle Sender (ARD, VOX, RTL) als Moderatorin, Reporterin und Redakteurin in Nachrichten- und Magazinformaten tätig. 1999 wurde sie als Professorin für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an die Universität Münster berufen und übernahm als Geschäftsführende Direktorin die Leitung des Instituts für Kommunikationswissenschaft. 2001 wurde Miriam Meckel Staatssekretärin im Geschäftsbereich des Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen zunächst als Regierungssprecherin dann als Staatssekretärin für Europa, Internationales und Medien.

Literatur:

Miriam Meckel. NEXT. Erinnerungen an eine Zukunft ohne uns Rowohlt, 2011

Miriam Meckel. Brief an mein Leben. Erfahrungen mit einem Burnout Rowohlt, 2010

Eric Schmidt, Jared Cohen und Jürgen Neubauer. Die Vernetzung der Welt: Ein Blick in unsere Zukunft von

Musik:

Kruder und Dorfmeister The K&D Session