„Nur Zufälle ließen mich überleben"

Wenn Hunger, Demütigungen und Schläge über Jahre hinweg zum Alltag gehören: In „Focus“ ist am Samstag Marko M. Feingold, der älteste Holocaust-Überlebende Österreichs, zu Gast.

Sendehinweis:

4. März 2017, 13.00 bis 14.00 Uhr, ORF Radio Vorarlberg
9. März 2017, 21.00 bis 22.00 Uhr, ORF Radio Vorarlberg (WH)

Es führt uns an die Grenzen der Vorstellungskraft: Was ein Mensch alles zu ertragen imstande ist, wie er an seine physischen und psychischen Grenzen stößt, wenn Hunger, Demütigungen und Schläge über Jahre hinweg zum Alltag gehören und er nie weiß, ob diese ihn umgebende Willkür jeden Augenblick sein Ende bestimmt.

Die Sendung zum Nachhören:

Es war ein Abend mit sehr berührenden Fragen von jungen Menschen an ein Opfer, das die Nazi-Gräuel überlebt hat. Etwa jene: „Welche Gefühle haben Sie, wenn Sie an den gegenwärtigen weltweiten Rechtspopulismus denken?“, fragt eine Schülerin. Ihre Frage richtete sie an den 103-jährigen Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde Salzburg und den ältesten Holocaust-Überlebenden in Österreich, Marko Feingold.

Sein Befund lautet: „Da sind wir schon einen Schritt näher zu dem, was war.“ Das ganze Verleugnen, wir sind nicht so, nütze nichts. Man (Anm.: gemeint sind rechtspopulistische Parteien) heuchle uns etwas vor, bis man genügend Stimmen bekommen habe, bis man wortstark genug sei und man sehe, dass man von GESTERN nichts gelernt habe, sagt Marko Feingold. Ein stürmischer Applaus der 800 Besucher, darunter ca. 500 Schülerinnen und Schüler, brandet im Montforthaus Feldkirch auf.

„Nur ja keine Diktatur!"

Das Carl-Lampert-Forum hatte Marko Feingold eingeladen. Er stelle sich als Zeitzeuge solchen Veranstaltungen nicht zur Verfügung, um Geld zu verdienen; es liege in seiner inneren Kraft, durch das Leiden, das er mitzumachen hatte, die Bevölkerung „das" nicht nochmals erleiden müsse. Nur wer die Vergangenheit nicht kenne, gehe einer solchen Zukunft entgegen. „Nur ja keine Diktatur! Nur eine Demokratie kann uns vor all dem Unheil retten“, lautet der Appell von Marko Feingold.

Geboren 1913, wird der im 104. Lebensjahr stehende Zeitzeuge nicht müde, über seine Jahre in vier Konzentrationslagern und den Holocaust zu erzählen. Auch darüber, wie schwer sich das nach dem Zweiten Weltkrieg neu erstandene Österreich mit der Aufarbeitung dieser Zeit und der Rehabilitierung der Opfer tat und teilweise noch immer tut.

Zufälle bestimmten Leben

Gerettet hätten ihn Zufälle, sagt Feingold. „Das Wort Zufall kommt bei mir immer wieder vor. Ich möchte nicht von Wunder reden, denn sonst hält man mich für einen Heiligen - und das bin ich nicht.“ Zufällig sei er auch nach dem Krieg in Salzburg gelandet, nachdem er am 11. April 1945 aus dem Konzentrationslager Buchenwald befreit worden ist.

Diesen Vortrag hat M. Feingold auf Einladung des Carl Lampert Forums im Montforthaus Feldkirch gehalten.

Zur Person:

Marko M. Feingold, geboren 1913 in Neusohl, heute Slowakei, aufgewachsen in Wien. Nach einer kaufmännischen Lehre war er mehrere Jahre als Handelsangestellter und Reisender tätig. 1939 wurde er in Prag verhaftet und in das Konzentrationslager Auschwitz überstellt, später in die Lager Neuengamme und Dachau. 1945 wurde er von den Amerikanern aus dem KZ Buchenwald befreit.

In Salzburg gründete Feingold 1948 ein Modegeschäft, das er bis 1977 leitete. Seit 1977 leitet er die Israelitische Kultusgemeinde der Stadt Salzburg und hat seitdem in zahlreichen Vorträgen vor Schülern, Studenten, Geistlichen u.a. zur Verbreitung der jüdischen Geschichte gegen das Vergessen beigetragen.

Literatur:

Marko Feingold: „Wer einmal gestorben ist, dem tut nichts mehr weh“. Otto Müller Verlag

MUSIK:

T* „Der Sprachklangbilderduftphilosoph“ Miniaturen für Violoncello solo, nach Texten von Albert Camus
E* 1. Poco rubato 1.24 min

K: Klemens Klex Wolf/*1968

G* THE GOLDBERG VARIATIONS - Aria und 70 Variationen für verschiedene Ensembles; adaptiert, arrangiert und komponiert von Uri Caine nach Johann Sebastian Bach
T* Variation For Cello Solo

K: Uri Caine
V: Johann Sebastian Bach/1685 - 1750